Italien in der Hand der Populisten
Patt nach den Wahlen in Italien: Kein Bündnis hat die erforderlichen Stimmen für eine Regierungsmehrheit. Der Ball liegt bei der Bewegung des Exkomikers Beppe Grillo, die bisher jede Koalition ablehnte.
Rom. Luigi Di Maio, der Spitzenkandidat der Fünf-Sterne-Bewegung, kündigte nach seinem Wahlsieg die Dritte Republik in Italien an. Es war ein Triumph: Die Gruppierung des Exkomikers Beppe Grillo ist mit 32,5 Prozent der Stimmen stärkste Partei. Doch noch fehlen den Populisten die Partner.
1 Was bedeutet das Wahlergebnis für die Regierungsbildung?
Nach diesem Wahlergebnis gibt es keine Aussicht auf eine schnelle Regierungsbildung. Die Mehrheit von 316 Sitzen in der Abgeordnetenkammer, für die ein Bündnis oder eine Partei mindestens 40 Prozent der Stimmen benötigt hätte, konnte keine politische Kraft erreichen. Stärkstes Bündnis mit 37 Prozent wurde der Mitte-rechts-Zusammenschluss von Silvio Berlusconis Forza Italia und der fremdenfeindlichen Lega von Matteo Salvini. Auch eine Große Koalition, also ein Zusammenschluss des Mitte-links-Bündnisses um den Partito Democratico mit der Forza Italia reicht für eine Regierungsmehrheit nicht aus. Der PD kommt auf 18,7 Prozent der Stimmen, im Bündnis auf 22,9, die Forza Italia auf 14 Prozent.
2 Welche Konstellationen sind nun möglich?
Die Fünf-Sterne Bewegung hätte als stärkste Partei Anspruch auf das Amt des Ministerpräsidenten. Dafür müsste sie aber eine Koalition mit anderen eingehen, was sie in der Vergangenheit vehement ausgeschlossen hat. Doch die Bewegung ist bekannt dafür, einst in Stein gemeißelte Prinzipien schnell über Bord zu werfen. Von den Zahlen her ist beides denkbar: ein Bündnis mit der fremdenfeindlichen Lega, die bei den Wahlen ihr nationales Rekordergebnis von 17,5 Prozent einfahren konnte, oder ein Bündnis mit dem sozialdemokratischen Partito Democratico.
3 Wie reagiert die abgestrafte Regierungspartei von Matteo Renzi?
Ex-Premier Matteo Renzi soll bereits angekündigt haben, den Vorsitz im linken PD nach dem Absturz von 25 auf 18 Prozent zurückzulegen. Dabei holte Renzi in seinem Wahlkreis in Florenz, wo er für den Senat kandidierte, mehr als 40 Prozent der Stim- men und ließ damit seine Gegner weit hinter sich. Auch wenn es in der Wahlnacht aus der Partei heraus bereits hieß, man gehe in die Opposition, wenn das Ergebnis unter die 20-Prozent-Marke fiele, ist eine Regierungsbeteiligung des Partito Democratico derzeit eine der wahrscheinlichsten Lösungen in der derzeitigen Pattsituation.
4 Welche Reaktionen kommen aus Europa?
Vor allem der große Erfolg der fremdenfeindlichen Lega unter Matteo Salvini bereitet in Brüssel große Sorgen. Rechnet man die Stimmen für Lega und Fünf Sterne zusammen, stimmten fast 50 Prozent der Italiener für Parteien, die in ihrem Programm europaskeptische Töne anschlagen. Das schwache Abschneiden von Berlusconis Forza Italia ist für die Europäische Volkspartei (EVP) eine große Blamage. Die seit Jahren stärkste politische Kraft in Europa hat gehofft, mit Berlusconis Hilfe Antonio Tajani, den Präsidenten des Europaparlaments, zum nächsten Regierungschef Italiens zu machen.
5 Wie geht es nun weiter in Italien?
Bis 23. März wird zumindest offiziell nichts in Sachen Regierungsbildung passieren. An diesem Tag kommen die neu gewählten Abgeordneten der Kammer und des Senats zum ersten Mal zusammen und bestimmen ihren jeweiligen Präsidenten. Bei dieser Wahl wird sich auf der politischen Bühne zeigen, ob und welche Mehrheiten sich in der Zwischenzeit in den Hinterzimmern gebildet haben. Danach wird sich Staatspräsident Sergio Mattarella mit den Kammerpräsidenten und den Anführern der neu gebildeten Parlamentsgruppen zusammensetzen und eine Person bestimmen, die die Regierungsbildung in die Hand nehmen soll. Geht Mattarella nach der Stimmenverteilung vor, wäre dies der Spitzenkandidaten der Fünf-SterneBewegung, der 31-jährige Luigi Di Maio.
6 Warum reagieren die Märkte so gelassen?
Eine Hängepartie bei der Regierungsbildung haben die Investoren schon erwartet und eingepreist. Die Mailänder Börse verlor nur 1,2 Prozent, die Anleihekurse gaben leicht nach. Das größte Risiko, ein Euro-Austrittsreferendum, bleibt vorerst wenig wahrscheinlich. Aber eine Entwarnung wäre verfrüht. Die Sieger haben ihren Anhängern das Azurblaue vom italienischen Himmel versprochen. Von neuen Strukturreformen, die Italiens Wirtschaft wieder flottmachen könnten, ist keine Rede mehr. Im Gegenteil: Die Lega will die Pensionsreform von 2011 wieder rückgängig machen. Das Rechtsbündnis warb mit einer niedrigen Flat Tax bei der Einkommensteuer. Die „Grillini“lockten mit teuren Geschenken für jeden Bürger – aus einer leeren Schatulle. Italien sitzt bereits auf dem höchsten Schuldenberg Europas: 2,3 Billionen Euro, das sind 132 Prozent des BIPs.