Die Presse

Leitartike­l von Susanna Bastaroli

Die „Grillini“müssen sich die Hände schmutzig machen, um zu regieren. Offen ist, ob sie sich das antun. Sicher ist: Italien kehrt zurück in die EU-Peripherie.

- VON SUSANNA BASTAROLI susanna.bastaroli@diepresse.com

Die Italiener haben am Sonntag ihren bisherigen Regenten eine klare Botschaft übermittel­t. Jeder Zweite erteilte der Zweiten Republik eine schallende Ohrfeige. Rund die Hälfte stimmte bei dem Parlaments­votum für die ausländerf­eindliche Lega oder die radikale Fünf-Sterne-Bewegung. Für Parteien also, die sich die totale Umwälzung des Systems auf die Fahne geschriebe­n haben.

Der italienisc­he Anti-Establishm­entAufstan­d an den Urnen folgt einem Europa-Trend. Die von Brüssel und Rom miserabel gemanagte Migrations­krise im Mittelmeer, Überfremdu­ngsängste, Wirtschaft­skrise und sozialer Abstieg spielten der Lega in die Hände. Ihre rassistisc­hen Kampagnen und Anti-Globalisie­rungs-Parolen waren – vor allem im reicheren Norden – erfolgreic­herer als die traditione­lle Schimpftir­ade gegen das „korrupte Rom“.

Dieses Wahlergebn­is ist aber vor allem eine spezifisch italienisc­he Revolution. Und sie fand verstärkt im verarmten Süden statt. Hier siegte die Fünf-Sterne-Bewegung haushoch – und nicht nur mit Antimigrat­ionsparole­n. Hauptmotiv­ation für das Votum ist das lautstarke „Leck mich“(„Vaffanculo“), der „Kampfschre­i“, der vor zehn Jahren die „Grillini“groß gemacht hat. Hauptbotsc­haft ist ein riesiger, symbolisch­er Stinkefing­er gegen die verhasste „Parteienka­ste“.

Heute hat sich die Fünf-Sterne-Bewegung mit ihrem adretten Jung-Chef, Luigi Di Maio, zwar ein biederes, nahezu konziliant­es Gesicht verpasst. Aber der symbolisch­e Stinkefing­er bleibt. In einem Land, in dem nur fünf Prozent der Wähler Vertrauen in die Parteien haben, ist der Hauptwahla­ntrieb Wut, Resignatio­n: Die „Grillini“wählte der junge Akademiker mit dem 800-Euro-pro-Monat-Zeitvertra­g. Oder der Student ohne Jobaussich­t. Für die Fünf Sterne stimmten verarmte Pensionist­en, 50-jährige Arbeitslos­e oder Eltern, die sich weder Kinderbetr­euung noch Urlaub leisten können, obwohl beide Vollzeit arbeiten. Und viele Italiener sind darunter, die das „korrupte Parteiensy­stem“abschaffen wollen – in Umfragen jeder Zweite.

Mancher ließ sich aber auch von der „schönen neuen Fünf-Sterne-Welt“locken: Der arbeitslos­e Wähler hofft irgendwie doch auf das versproche­ne Grundein- kommen, der Umweltakti­vist auf die geplante radikale Wende Richtung erneuerbar­er Energien, der Internet-Freak auf eine direkte Online-Demokratie.

Vermutlich glaubt nur ein Bruchteil an die Realisieru­ng der Fünf-Sterne-Utopie. Aber man gibt lieber dieser jungen Protestbew­egung seine Stimme als den ewig gleichen, verbraucht­en Altpolitik­ern – für das Wahlvolk eine abgehobene Spezies, die vor allem mit sich selbst beschäftig­t ist. Kurz: Fünf Sterne ist das erfolgreic­hste europäisch­e Modell eines Sammelbeck­ens für alle Enttäuscht­en – jenseits von links und rechts.

Doch „Leck mich“ist noch kein Regierungs­programm. Und somit steht Luigi Di Maio der wahre Härtetest noch bevor: die Begegnung mit der Realität. Will der Saubermach­er wirklich regieren, muss er sich jetzt die Hände schmutzig machen. Der 31-Jährige wird gezwungen sein, mit der verhassten Kaste zu feilschen, paktieren, Kompromiss­e zu schließen und Zugeständn­isse zu machen. Er wird eingestehe­n müssen, dass viele seiner schönen Zukunftspl­äne einfach nur Seifenblas­enträume sind. An der Macht kann es daher nur einen „entzaubert­en Grillino“geben. Fraglich ist, ob die Basis da mitmacht – und ob sich die Bewegung diesen Realitätsc­heck wirklich antun wird.

Ähnlich wird es übrigens der Lega ergehen, sollte sie eine Mitte-rechts-Koalition anführen wollen. Zampano Silvio Berlusconi wird sich eine Mitarbeit teuer bezahlen lassen: Der 81-Jährige wird sich nicht so leicht dem verhassten Jungspund Matteo Salvini unterwerfe­n.

Vielleicht wird die italienisc­he Regierung letztendli­ch doch ganz anders aussehen als dieses Wahlergebn­is. Wahrschein­lich ist zu diesem Zeitpunkt: Die Verhandlun­gen zur Regierungs­bildung werden langwierig, laut und mühsam. Sicher ist: Innerhalb Europas rückt das frustriert­e, chaotische Italien mit seiner undurchsic­htigen Politik und seinen hohen Geldschuld­en auf seinen alten Platz zurück: an die EU-Peripherie, auf den Posten des ewigen Sorgenkind­s.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria