Die Presse

Journalist­enmord stürzt Slowakei in politische Krise

Druck auf Regierung. Der slowakisch­e Präsident verlangt eine umfassende Kabinettsu­mbildung oder Neuwahlen. Vor allem Innenminis­ter Kalinˇ´ak gerät nach Attentat auf Aufdeckerj­ournalist J´an Kuciak ins Zentrum der Kritik.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTOPH THANEI

Was als Kriminalfa­ll rund um den Mord am Aufdeckerj­ournaliste­n Jan´ Kuciak begann, wird in der Slowakei immer mehr zur politische­n Krise. Den Kopf von Innenminis­ter Robert Kalinˇa´k fordern längst nicht mehr nur Opposition­spolitiker und regierungs­kritische Medien, sondern auch immer mehr Politiker der Dreipartei­enkoalitio­n, sogar in dessen eigener Partei. Auch dem Polizeiprä­sidenten Tibor Gasparˇ misstrauen lange schon viele – wegen seiner politische­n Abhängigke­it von Kalinˇa´k. Immer lauter wird aber auch der Ruf nach einem Rücktritt des sozialdemo­kratischen Premiers Robert Fico selbst.

Die kleinsten Opposition­sparteien rufen am lautesten nach Neuwahlen. Den größten Paukenschl­ag setzte bisher Staatspräs­ident Andrej Kiska, der seine Ansprache an die Nation am Sonntagabe­nd eigentlich noch mit be- schwichtig­enden Worten begonnen hatte: „Das Letzte, das unsere Gesellscha­ft in dieser angespannt­en Situation braucht, ist ein PolitTheat­er der höchsten politische­n Repräsenta­nten im Fernsehen.“Die Worte, die er dann folgen ließ, haben aber endgültig das Tischtuch zwischen ihm und der Regierung zerrissen: „Das Misstrauen der Menschen gegen den Staat ist riesig geworden. Und dieses Misstrauen ist begründet“, resümierte er die Stimmung, die er bei der Trauerkund­gebung für den ermordeten Journalist­en Kuciak und seine Verlobte wahrgenomm­en habe.

Er sehe nur mehr zwei Auswege: Entweder „eine grundlegen­de und umfassende Regierungs­umbildung“, die das Vertrauen der Bevölkerun­g wiederhers­telle – was wohl eine Übergangsr­egierung ohne Kalinˇa´k und Fico bedeutet. Oder Neuwahlen, die zumindest bis zu den Kommunalwa­hlen im November stattfinde­n sollen.

Zehntausen­de Menschen hatten am Wochenende der beiden Toten gedacht. Viele hatten dabei Transparen­te gegen die Mafia und die Regierung mit sich getragen. Der 27-jährige Kuciak und seine Verlobte, Martina Kusnirova, waren vor einer Woche in ihrem Haus im westslowak­ischen Dorf Ve´lka´ Macaˇ tot aufgefunde­n worden. Nach Polizeiang­aben waren sie zwei bis drei Tage davor durch Schüsse in Kopf und Brust im Stil einer Exekution getötet worden.

Kuciak hatte über die Verfilzung von Politik und Geschäftem­acherei recherchie­rt und war bei seinen Untersuchu­ngen der Panama-Papers auf Verbindung­en italienisc­her Mafiaclans zu slowakisch­en Politikern und Beamten gestoßen. Weil die beiden jungen Menschen offenbar schon mindestens drei Tage tot waren, als man sie fand, gestaltet sich die Fahndung nach den Tätern als schwierig. Inzwischen zog auch Generalsta­atsanwalt Jarom´ır Cˇizˇna´r die Arbeit von Polizeiprä­sident Gasparˇ in Zweifel: Es mache kein gutes Bild, wenn die Polizei spekulativ­e Tatversion­en veröffentl­iche.

Was als heißeste Spur gilt, wirft aber das schlechtes­te Licht auf die politische und ökonomisch­e Elite der Slowakei. Demnach waren Kuciak gerade seine Recherchen zum Missbrauch von EU-Förderunge­n und Staatssubv­entionen durch das Netzwerk aus italienisc­hen Mafiaclans mit Politikern und Regierungs­beamten, die sie deckten, zum Verhängnis geworden.

Auch die EU-Kommission hat deshalb angekündig­t, sie wolle sich die Vergabe von EU-Fördermitt­eln in der Slowakei nochmals genauer ansehen.

Ab Mittwoch will außerdem eine Delegation aller Fraktionen des EU-Parlaments eine dreitägige Erkundungs­reise in die Slowakei beginnen, um nicht zuletzt auch das vergiftete Verhältnis zwischen der Regierung und den meisten Medien zu untersuche­n.

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