Gastfreundschaft für Kleptokraten
Korruption. Transparency International kritisiert die dubiosen Umstände der Verleihung von Pässen und Visa in mehreren Unionsstaaten. Rechtlich gibt es dagegen kaum Handhabe.
Der zweifelhaft beleumundete russische Oligarch Oleg Deripaska hat einen zyprischen Reisepass, der in seiner Heimat wegen Korruption verurteilte frühere thailändische Regierungschef Thaksin Shinawatra einen des EU-Beitrittskandidaten Montenegro, und knapp 5500 Chinesen besitzen ein Schengen-Visum als Entgelt dafür, ungarische Staatsanleihen gekauft zu haben: Der Handel mit europäischen Reisepässen und Aufenthaltsgenehmigungen ist derart lukrativ und undurchsichtig, dass die Antikorruptionsorganisation Transparency International vor einem „systemischen Risiko für ganz Europa“warnt.
Doch gegen die allzu leichte Vergabe solch wertvoller Personaldokumente gibt es derzeit keine europarechtliche Handhabe, hieß es am Montag seitens der Kommission gegenüber der „Presse“. Denn die Verleihung einer Staatsbürgerschaft fällt ebenso wie die Gewährung eines dauerhaften Aufenthaltsrechts in eine rein nationalstaatliche Domäne. Die Verleihung eines in bestimmten Fällen für bis zu fünf Jahre gültigen Visums für den Schengen-Raum wiederum ist zwar der Form nach durch den Schengener Visumskodex, eine EU-Verordnung, reglementiert. Doch wenn der prüfende Konsulatsbeamte des jeweiligen Mitgliedstaates nach Abfrage der zentralen Schengen-Datenbank SIS kein Einreiseverbot gegen den Antragsteller findet, steht der Gewährung des Aufenthaltstitels nichts im Weg. Welche Bedingungen daran geknüpft sind und vor allem, ob diese zu Korruption verleiten, wird nicht EU-weit geschlossen geprüft.
Und wo keine europarechtliche Pflicht, dort kein Anknüpfungspunkt für die Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen den jeweiligen Mitgliedstaat zu eröffnen. Seit Jahren ist man sich in Brüssel dieses Problems bewusst. „Lassen Sie mich eine Frage aufwerfen: Mögen wir die Idee, die Rechte zu verkaufen, die von den EUVerträgen gewährt werden? Meine Antwort ist: Ganz sicher nicht. Die Bürgerschaft darf nicht frei zum Verkauf stehen“, ärgerte sich Viviane Reding, die damalige Kommissarin für Inneres und Justiz, am 15. Jänner 2014 bei einer Aussprache im Europaparlament.
Doch auch sie konnte nur auf Artikel 4 Absatz 3 des EU-Vertrages verweisen, welcher stipuliert: „Nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit achten und unterstützen sich die Union und die Mitgliedstaa- ten gegenseitig bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben.“
Mehr als vier Jahre später lautet die offizielle Botschaft der Kommission so wie damals, dass man die Lage „aus der Nähe beobachte“. Noch heuer wolle man einen Bericht an die Mitgliedstaaten vorlegen, in dem sie dazu ermahnt werden, im Staatsbürgerschafts- und Aufenthaltsrecht stets zu bedenken, dass ihre Entscheidungen Folgen für die gesamte Union haben können.
In einigen Mitgliedstaaten liegen die Dinge ziemlich im Argen. Ungarn zum Beispiel hat unter Ministerpräsident Viktor Orban´ im Juni 2013 ein Programm gestartet, im Rahmen dessen man bis März 2017 für den Kauf von speziellen ungarischen Staatsschuldscheinen im Wert von mindestens 300.000 Euro einen dauerhaften Aufenthaltstitel in Ungarn (und somit Freiheit im Schengen- Raum) erwerben konnte. Das Programm ruht seither, kann aber jederzeit wieder aktiviert werden. In seinen vier Jahren erwarben auf diese Weise 6585 Drittstaatsangehörige sowie 13.300 ihrer Familienmitglieder ungarische Aufenthaltstitel. 5432 der Anleihenkäufer waren Chinesen. Bemerkenswert daran ist, dass man die Anleihen nur über fünf speziell von der Regierung ausgewählte Zwischenhändler kaufen konnte, von denen vier anonym in Steueroasen wie Zypern und den Kaimaninseln residieren. „Wir wissen nicht, wer sie sind. Wir wissen nur, dass sie nicht in Ungarn Steuern zahlen“, sagte Miklos´ Ligeti von Transparency International.
Für Ungarn war das Programm ein Verlustgeschäft von netto umgerechnet 16 Millionen Euro. Denn die Investoren bekommen ihr Kapital fix mit zwei Prozent per anno verzinst nach fünf Jahren zurück – und die Zwischenhändler verrechnen rund zehn Prozent Vermittlungsprovision.