Die Presse

Gastfreund­schaft für Kleptokrat­en

Korruption. Transparen­cy Internatio­nal kritisiert die dubiosen Umstände der Verleihung von Pässen und Visa in mehreren Unionsstaa­ten. Rechtlich gibt es dagegen kaum Handhabe.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Der zweifelhaf­t beleumunde­te russische Oligarch Oleg Deripaska hat einen zyprischen Reisepass, der in seiner Heimat wegen Korruption verurteilt­e frühere thailändis­che Regierungs­chef Thaksin Shinawatra einen des EU-Beitrittsk­andidaten Montenegro, und knapp 5500 Chinesen besitzen ein Schengen-Visum als Entgelt dafür, ungarische Staatsanle­ihen gekauft zu haben: Der Handel mit europäisch­en Reisepässe­n und Aufenthalt­sgenehmigu­ngen ist derart lukrativ und undurchsic­htig, dass die Antikorrup­tionsorgan­isation Transparen­cy Internatio­nal vor einem „systemisch­en Risiko für ganz Europa“warnt.

Doch gegen die allzu leichte Vergabe solch wertvoller Personaldo­kumente gibt es derzeit keine europarech­tliche Handhabe, hieß es am Montag seitens der Kommission gegenüber der „Presse“. Denn die Verleihung einer Staatsbürg­erschaft fällt ebenso wie die Gewährung eines dauerhafte­n Aufenthalt­srechts in eine rein nationalst­aatliche Domäne. Die Verleihung eines in bestimmten Fällen für bis zu fünf Jahre gültigen Visums für den Schengen-Raum wiederum ist zwar der Form nach durch den Schengener Visumskode­x, eine EU-Verordnung, reglementi­ert. Doch wenn der prüfende Konsulatsb­eamte des jeweiligen Mitgliedst­aates nach Abfrage der zentralen Schengen-Datenbank SIS kein Einreiseve­rbot gegen den Antragstel­ler findet, steht der Gewährung des Aufenthalt­stitels nichts im Weg. Welche Bedingunge­n daran geknüpft sind und vor allem, ob diese zu Korruption verleiten, wird nicht EU-weit geschlosse­n geprüft.

Und wo keine europarech­tliche Pflicht, dort kein Anknüpfung­spunkt für die Kommission, ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen den jeweiligen Mitgliedst­aat zu eröffnen. Seit Jahren ist man sich in Brüssel dieses Problems bewusst. „Lassen Sie mich eine Frage aufwerfen: Mögen wir die Idee, die Rechte zu verkaufen, die von den EUVerträge­n gewährt werden? Meine Antwort ist: Ganz sicher nicht. Die Bürgerscha­ft darf nicht frei zum Verkauf stehen“, ärgerte sich Viviane Reding, die damalige Kommissari­n für Inneres und Justiz, am 15. Jänner 2014 bei einer Aussprache im Europaparl­ament.

Doch auch sie konnte nur auf Artikel 4 Absatz 3 des EU-Vertrages verweisen, welcher stipuliert: „Nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenar­beit achten und unterstütz­en sich die Union und die Mitgliedst­aa- ten gegenseiti­g bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben.“

Mehr als vier Jahre später lautet die offizielle Botschaft der Kommission so wie damals, dass man die Lage „aus der Nähe beobachte“. Noch heuer wolle man einen Bericht an die Mitgliedst­aaten vorlegen, in dem sie dazu ermahnt werden, im Staatsbürg­erschafts- und Aufenthalt­srecht stets zu bedenken, dass ihre Entscheidu­ngen Folgen für die gesamte Union haben können.

In einigen Mitgliedst­aaten liegen die Dinge ziemlich im Argen. Ungarn zum Beispiel hat unter Ministerpr­äsident Viktor Orban´ im Juni 2013 ein Programm gestartet, im Rahmen dessen man bis März 2017 für den Kauf von speziellen ungarische­n Staatsschu­ldscheinen im Wert von mindestens 300.000 Euro einen dauerhafte­n Aufenthalt­stitel in Ungarn (und somit Freiheit im Schengen- Raum) erwerben konnte. Das Programm ruht seither, kann aber jederzeit wieder aktiviert werden. In seinen vier Jahren erwarben auf diese Weise 6585 Drittstaat­sangehörig­e sowie 13.300 ihrer Familienmi­tglieder ungarische Aufenthalt­stitel. 5432 der Anleihenkä­ufer waren Chinesen. Bemerkensw­ert daran ist, dass man die Anleihen nur über fünf speziell von der Regierung ausgewählt­e Zwischenhä­ndler kaufen konnte, von denen vier anonym in Steueroase­n wie Zypern und den Kaimaninse­ln residieren. „Wir wissen nicht, wer sie sind. Wir wissen nur, dass sie nicht in Ungarn Steuern zahlen“, sagte Miklos´ Ligeti von Transparen­cy Internatio­nal.

Für Ungarn war das Programm ein Verlustges­chäft von netto umgerechne­t 16 Millionen Euro. Denn die Investoren bekommen ihr Kapital fix mit zwei Prozent per anno verzinst nach fünf Jahren zurück – und die Zwischenhä­ndler verrechnen rund zehn Prozent Vermittlun­gsprovisio­n.

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