Ein Filmemacher ohne Drehbuch: Gefühle mit dem Publikum teilen
Regisseur Juri Rechinsky darüber, wie das Leben die Dreharbeiten zu seinem Film umkrempelte und warum für ihn Genres nicht so wichtig sind.
Wenn man Juri Rechinsky sagt, dass einen sein Film „Ugly“zu Tränen gerührt hat, dann antwortet er knapp: „Then it worked.“Rechinsky (auf Deutsch Retschinsky ausgesprochen) ist Filmemacher geworden, weil er seine Gefühle mit dem Publikum teilen will, wie er im Gespräch mit der „Presse“erzählt.
Und die sind in seinem Spielfilmdebüt ziemlich schwieriger Natur. Der Film, der seit vergangenem Freitag in österreichischen Kinos zu sehen ist, handelt von Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit, von Verfall und Tod, aber auch von den unerwarteten Wendungen, die das Leben nehmen kann. „Es ist nicht möglich, sich immer gut und wohlzufühlen“, sagt Rechinsky von seinem zweiten Arbeitszimmer aus, dem Cafe´ Dialog im dritten Bezirk. Hier hat er viel an seinem Film gearbeitet, hier wartet sogar ein eigener Tisch auf ihn. „Das wäre ein Zustand der Regungslosigkeit. Dann würde man keine neuen Dinge mehr entdecken.“Sein Film handelt auch von Krisen, die der 1986 geborene Filmemacher selbst erlebt hat.
„Ugly“erzählt von zwei Paaren, die vor riesengroßen Herausforderungen stehen. Sie wanken, scheitern, gehen weiter. Hanna (Angela Gregovic)´ liegt nach einem Autounfall schwer verletzt in einem ukrainischen Krankenhaus; ihr pessimistischer Freund, Jura (der nicht nur dem Namen nach dem Regisseur ähnelt), ist mit der Situation überfordert. Hannas Mutter, Martha (Maria Hofstätter), wiederum leidet an Alzheimer; eine überfordernde Situation für ihren Partner, Joseph. Rechinsky sagt, das Wichtigste sei ihm gewesen, „etwas Lebendiges“auf Zelluloid zu bannen. Er warf das fertige Drehbuch über Bord und ließ die Darsteller improvisieren. Entstanden ist ein rauer und poetischer Film, in dem wenig gesprochen wird.
Unvorhersehbar und improvisiert war auch die Situation während der Dreharbeiten. Ein Teil des Films wurde im Winter 2014 in der südukrainischen Industriestadt Krywyj Rih gedreht, während in Kiew die Lage am Maidan eskalierte, erzählt der Regisseur, der selbst in der ukrainischen Hauptstadt aufgewachsen ist. „Ein Teil der ukrainischen Crew hing die ganze Zeit am Telefon“, sagt er. Manche mussten nach Kiew zurück, die Sorge um Verwandte und Freunde war groß. „Es war genau dieses Unbekannte, das alles zerstören kann, wie im Film.“
Die Ereignisse in der Ukraine verfolgt er sonst von Wien aus, wo er mit Ehefrau Angela Gregovic´ (ja, die Hanna aus „Ugly“) und seinem Sohn lebt. „Ab einem gewissen Zeitpunkt musste ich aufhören, Nachrichten aus der Ukraine zu lesen“, sagt er in Bezug auf die Lage in seiner Heimat, die sich nach der russischen Krim-Annexion und dem Krieg im Donbass noch immer nicht beruhigt hat. „Sonst ist man in einem permanenten Angstzustand.“
Kritik wie am jungen Seidl
Heftige Reaktionen gab es auf „Ugly“in der Ukraine, wo der Film im Frühling anlaufen wird. Auch bei seinem Doku-Vorgänger „Sickfuckpeople“über Drogensüchtige in Odessa sei die Reaktion großteils negativ gewesen. „Es gibt viele Menschen, die nicht wollen, dass so etwas über ihr Land gezeigt wird.“Es ergehe ihm offenbar, sagt Rechinsky augenzwinkernd, ganz ähnlich wie dem jungen Ulrich Seidl. Seidl lobt er als entscheidungsfreudigen, konstruktiven Kollegen, der mit seinem Einspringen als Koproduzent die Fertigstellung von „Ugly“erst ermöglichte. Ob sein nächstes Projekt wieder ein Spielfilm wird oder eine Doku, wisse er nicht, sagt Rechinsky. Ein spezifisches Genre sei für ihn nicht entscheidend. Wichtiger sei: „Ich will etwas teilen.“
„Es gibt sie nicht, die Liebe“, schmettert Jura seiner Familie entgegen, „es gibt nur Körper, Fleisch und Knochen!“Es ist eine dunkle Stunde für ihn, sitzt er doch im Kreise seiner Nächsten in der Finsternis. Und Jura ist unfähig, den Kern seines Weltschmerzes zu erklären, seine Worte tappen im Dunkeln. Eine schmerzliche Szene, aber auch voller Zärtlichkeit, beseelt von Trauer, Wut – und Liebe –, obwohl es diese in Zeiten des schwindenden Lichts schwer hat.
In „Ugly“geht es ganz unbescheiden um den Widerstreit elementarer Kräfte: dort Tod, Leid und Verfall; hier Leben, Glück und Hingabe. Elementar ist auch die Erzählform: Aus den kraftvollen Bildern und der assoziativen Montage erfährt man mehr als aus dem spärlich gesäten Dialog.
Was sieht man? Jura, der nach einem Autounfall im kargen, blauen Zimmer eines ukrainischen Spitals an der Seite seiner Freundin leidet, die zwischen Schlaf und Schmerz schwankt. Und, parallel, ein wohlhabendes österreichisches Paar: Sie (Maria Hofstätter) hat Alzheimer, regrediert im reinlich weißen Bungalow, er (Raimund Wallisch) sieht zu und verzweifelt daran. Hier sind alle gleich vor der Natur, winden sich in ihrer Gewalt, wie jemand unter einem Wechselduschbad (die erste Einstellung des Films) oder wie sturmgebeuteltes Schilf (das Schlussbild). Zeit und Raum sind sekundär in diesem Strudel der Gefühle.
Der aus der Ukraine stammende Juri Rechinsky, 2013 mit der harten Drogen-Doku „Sickfuckpeople“erstmals aufgefallen, beweist auch diesmal (titelgemäß) Mut zur Hässlichkeit, doch die Wärme einer Berührung ist ihm ebenso wichtig; manchmal wirkt es, als wolle Wolfgang Thalers Kamera die Figuren umarmen. Thaler, Hofstätter und manch verstörender Moment erinnern an Ulrich Seidl (dessen Firma mitproduziert hat), doch im Kern ist der Film eher dem Transzendenzkino von Tarkovski und Terrence Malick seelenverwandt.
Solche Positionen sind selten im heimischen Film, sie lassen sich schwer vermarkten – neben Rechinsky fällt einem nur noch Peter Brunner ein, der sein neues Werk, „To the Night“, in New York gedreht hat. Umso erfreulicher, dass „Ugly“bis 21. März im Metro-Kino läuft und beim jungen Streaminganbieter VOD Club Austria zur Verfügung stehen wird.