Wie Kohlenstoff plötzlich zum Supraleiter wird
US-Physiker entdeckten an einem System aus Graphen faszinierende elektronische Eigenschaften.
Dünner geht es nicht: Graphen (auf der zweiten Silbe betont), eine 2004 erstmals hergestellte Modifikation des Kohlenstoffs, besteht nur aus einer einzigen, flachen Schicht von Atomen, wie Bienenwaben in einem hexagonalen Gitter angeordnet. Das etwa von Bleistiftminen bekannte Grafit (das man aufgrund unkonsistenter Rechtschreibregeln nicht „Graphit“schreiben darf ) ist im Prinzip ein Stapel aus solchen Schichten. Die Elektronen, die diese Schichten im Grafit zusammenhalten, sind im Graphen sozusagen frei, ähnlich wie die Leitungselektronen in einem Metall.
So ist Graphen ein sehr guter elektrischer Leiter, besser als Kupfer. Das kann sich radikal ändern, wenn man zwei Graphen-Schichten aufeinander platziert und die obere ganz leicht dreht, um einen Winkel von genau 1,05 Grad. Dann hört die elektrische Leitung plötzlich auf, das Material wird zum Isolator.
Wenn ein Material, das eigentlich aufgrund seiner Elektronenstruktur ein Leiter sein sollte, ein Isolator ist, nennen die Physiker es einen Mott-Isolator, und sie können (zumindest einander) auch erklären, wie das passiert. Es hat damit zu tun, dass die Elektronen irgendwie dann doch lokalisiert sind – im Fall des Graphen durch die größere Struktur, die durch die Kombination der beiden zueinander verschobenen Gitter entsteht, Grafiker (die man leider nicht „Graphiker“schreiben darf ) kennen das als Moire-´Muster. So gelang es, via Quantenphysik den Winkel auszurechnen, bei dem zwei Schichten Graphen zum Isolator werden; und es gelang Physikern um Pablo Jarillo-Herrero am MIT nun, dieses System tatsächlich herzustellen und den Effekt zu messen.
Noch erstaunlicher ist, was dieselben Physiker in einer zweiten Publikation – ebenfalls in Nature (5. 3.) – berichten: Bei Anlegen von genügend großer elektrischer Spannung wird der Isolator offenbar zum Supraleiter, leitet den Strom also ganz ohne Widerstand! Das funktioniert zwar nur unterhalb einer Temperatur von 1,7 Kelvin, die Physiker hoffen aber, aus diesem, nur aus Kohlenstoff bestehenden System zu lernen, wie Hochtemperatursupraleiter (mit Sprungtemperaturen über 100 Kelvin) zu verstehen sind. „Normalerweise müssen wir verschiedene Arten von Materialien herstellen, um alle Zustände zu untersuchen“, sagt Jarillo-Herrero: „Jetzt können wir all diese Physik in einer einzigen Apparatur erforschen. Es könnte nicht einfacher werden.“