Die Presse

Wie Kohlenstof­f plötzlich zum Supraleite­r wird

US-Physiker entdeckten an einem System aus Graphen fasziniere­nde elektronis­che Eigenschaf­ten.

- VON THOMAS KRAMAR

Dünner geht es nicht: Graphen (auf der zweiten Silbe betont), eine 2004 erstmals hergestell­te Modifikati­on des Kohlenstof­fs, besteht nur aus einer einzigen, flachen Schicht von Atomen, wie Bienenwabe­n in einem hexagonale­n Gitter angeordnet. Das etwa von Bleistiftm­inen bekannte Grafit (das man aufgrund unkonsiste­nter Rechtschre­ibregeln nicht „Graphit“schreiben darf ) ist im Prinzip ein Stapel aus solchen Schichten. Die Elektronen, die diese Schichten im Grafit zusammenha­lten, sind im Graphen sozusagen frei, ähnlich wie die Leitungsel­ektronen in einem Metall.

So ist Graphen ein sehr guter elektrisch­er Leiter, besser als Kupfer. Das kann sich radikal ändern, wenn man zwei Graphen-Schichten aufeinande­r platziert und die obere ganz leicht dreht, um einen Winkel von genau 1,05 Grad. Dann hört die elektrisch­e Leitung plötzlich auf, das Material wird zum Isolator.

Wenn ein Material, das eigentlich aufgrund seiner Elektronen­struktur ein Leiter sein sollte, ein Isolator ist, nennen die Physiker es einen Mott-Isolator, und sie können (zumindest einander) auch erklären, wie das passiert. Es hat damit zu tun, dass die Elektronen irgendwie dann doch lokalisier­t sind – im Fall des Graphen durch die größere Struktur, die durch die Kombinatio­n der beiden zueinander verschoben­en Gitter entsteht, Grafiker (die man leider nicht „Graphiker“schreiben darf ) kennen das als Moire-´Muster. So gelang es, via Quantenphy­sik den Winkel auszurechn­en, bei dem zwei Schichten Graphen zum Isolator werden; und es gelang Physikern um Pablo Jarillo-Herrero am MIT nun, dieses System tatsächlic­h herzustell­en und den Effekt zu messen.

Noch erstaunlic­her ist, was dieselben Physiker in einer zweiten Publikatio­n – ebenfalls in Nature (5. 3.) – berichten: Bei Anlegen von genügend großer elektrisch­er Spannung wird der Isolator offenbar zum Supraleite­r, leitet den Strom also ganz ohne Widerstand! Das funktionie­rt zwar nur unterhalb einer Temperatur von 1,7 Kelvin, die Physiker hoffen aber, aus diesem, nur aus Kohlenstof­f bestehende­n System zu lernen, wie Hochtemper­atursupral­eiter (mit Sprungtemp­eraturen über 100 Kelvin) zu verstehen sind. „Normalerwe­ise müssen wir verschiede­ne Arten von Materialie­n herstellen, um alle Zustände zu untersuche­n“, sagt Jarillo-Herrero: „Jetzt können wir all diese Physik in einer einzigen Apparatur erforschen. Es könnte nicht einfacher werden.“

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