Frankreich reißt sich um die Memoiren des Front-National-Gründers. Sie zeigen die Sicht eines Verlierer-Lagers. Le Pen singt gern Lieder der Wehrmacht, erfährt man da auch.
Buch.
Sie waren vergriffen, noch bevor sie offiziell erschienen waren: Seit 1. März sind die Memoiren des bald neunzigjährigen Front-National-Gründers Jean-Marie Le Pen offiziell in den Buchhandlungen, doch die Vorbestellungen und Reservierungen haben bereits vorher die erste Auflage von 50.000 Exemplaren übertroffen. Mittlerweile lässt der Verlag nachdrucken, die Franzosen reißen sich weiterhin um die Lebenserinnerungen des rechtsextremen Politikers. Weniger aus Sympathie denn aus simpler Neugier, meinen Kommentatoren.
„Sohn der Nation“nennt sich der Sohn eines Fischers und einer Näherin im Untertitel des ersten Bands seiner Memoiren – der zweite Teil soll 2019 folgen. Dieser hier umfasst die Jahre von Le Pens Geburt in der Bretagne (1928) bis 1972, als er die rechtsextreme Partei Front National gründete und deren erster Vorsitzender wurde. Danach war Jean-Marie Le Pen jahrzehntelang einer der umstrittensten Politiker Frankreichs. Bis 2011 war er Vorsitzender des Front National, bei fünf Präsidentschaftswahlen trat er an. Zumindest offiziell war seine politische Karriere 2015 vorbei, als er wegen „schwerer Verfehlungen“– nämlich antisemitischer Äußerungen – aus eben jener Partei ausgeschlossen wurde, die er als sein ureigenstes Kind ansah. 2011 schon hatte ihn seine Tochter Marine Le Pen politisch beerbt, indem sie Parteivorsitzende wurde.
Man erfährt in den Memoiren einiges kaum Bekannte: etwa, dass Le Pen zehn Jahre lang Schallplatten verkaufte, nachdem sein erster Versuch einer politischen Karriere gescheitert war (1962 wurde er als Abgeordneter der Nationalversammlung abgewählt). Im Angebot hatte er vor allem politische Lieder. Zu Hause singe er überall, schreibt er, und alles Mögliche: etwa bretonische Wiegenlieder, die ihn an die Kindheit in seiner Heimat Bretagne erinnern, Songs von Celine´ Dion – oder auch „Lieder der französischen Fremdenlegion, von denen einige aus der Wehrmacht kommen“.
Der Holocaust sei „nur ein Detail in der Geschichte des Zweiten Weltkrieges“gewesen, hatte Le Pen 1990 gesagt. Im Buch kommt er gar nicht vor. Vom TV-Sender CNews nach dem Grund gefragt, antwortete der 1928 Geborene: „Ich habe diese Sachen nicht kennengelernt“und: „Ich schreibe kein Buch über den Krieg“. Gefragt, ob er im zweiten Band die Realität des Holocaust anerkennen werde, antwortete er: „Vielleicht, wenn sich die Gelegenheit bietet, weil es ein wichtiges historisches Ereignis war.“Für vergangene Äußerungen dazu werde er nicht um Entschuldigung bitten.
Die Abschnitte über Le Pens Kindheit in der Bretagne hält der Politologe und Rechtsextremismus-Experte Jean-Yves Camus für „authentisch“und „psychologisch reich“. Le Pen rufe aber auch „die Vision der Dinge in Erinnerung“, sagt er, „die ein französischer Nationalist von bestimmten Ereignissen – vor allem Krieg und koloniale Niederlagen – haben konnte“.
So nehmen etwa die Kolonialkriege in Indochina und Algerien breiten Raum ein, in denen Le Pen als Freiwilliger kämpfte. Ebenso seine Gegnerschaft zum Kommunismus und zu de Gaulle, den Le Pen als nationalen Verräter sieht. Und natürlich jenes Ereignis, mit dem die einstige Grande Nation in seinen Augen geistig tief in die Mittelmäßigkeit gesunken ist: die 1968er-Revolution.
Die heutige Generation würde diese Epoche fälschlich so wahrnehmen, als wären Recht, Moral und Sinn all dieser Ereignisse bereits damals offensichtlich gewesen, betont Camus. „Für einen Mann der nationalen Rechten aber, der geprägt wurde von der Politik der Nachkriegszeit, ist unsere Sicht der Dinge eine Verkehrung der Werte. Diese Memoiren zeigen die Perspektive des Lagers der Besiegten.“Das Buch erfülle auch einen parteipolitischen Zweck. Es solle die junge Generation des Front National an die verschwundene Welt erinnern, aus der Le Pen komme.
Genau diese Welt freilich würden in der Partei viele am liebsten ganz vergessen machen. Daher wird nun auch der Name Front National zum Verschwinden gebracht – „Verrat“nannte das kürzlich Jean-Marie Le Pen. Bereits vor Monaten hatte seine Tochter angekündigt, die Partei umzutaufen. Laut der Zeitung „Figaro“ist es nun endlich so weit: Kommendes Wochenende will Marine Le Pen auf dem Parteikongress in Lille ihren Namensvorschlag enthüllen. Ihr Vater wird nicht dort sein.