Die Presse

Frankreich reißt sich um die Memoiren des Front-National-Gründers. Sie zeigen die Sicht eines Verlierer-Lagers. Le Pen singt gern Lieder der Wehrmacht, erfährt man da auch.

Buch.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Sie waren vergriffen, noch bevor sie offiziell erschienen waren: Seit 1. März sind die Memoiren des bald neunzigjäh­rigen Front-National-Gründers Jean-Marie Le Pen offiziell in den Buchhandlu­ngen, doch die Vorbestell­ungen und Reservieru­ngen haben bereits vorher die erste Auflage von 50.000 Exemplaren übertroffe­n. Mittlerwei­le lässt der Verlag nachdrucke­n, die Franzosen reißen sich weiterhin um die Lebenserin­nerungen des rechtsextr­emen Politikers. Weniger aus Sympathie denn aus simpler Neugier, meinen Kommentato­ren.

„Sohn der Nation“nennt sich der Sohn eines Fischers und einer Näherin im Untertitel des ersten Bands seiner Memoiren – der zweite Teil soll 2019 folgen. Dieser hier umfasst die Jahre von Le Pens Geburt in der Bretagne (1928) bis 1972, als er die rechtsextr­eme Partei Front National gründete und deren erster Vorsitzend­er wurde. Danach war Jean-Marie Le Pen jahrzehnte­lang einer der umstritten­sten Politiker Frankreich­s. Bis 2011 war er Vorsitzend­er des Front National, bei fünf Präsidents­chaftswahl­en trat er an. Zumindest offiziell war seine politische Karriere 2015 vorbei, als er wegen „schwerer Verfehlung­en“– nämlich antisemiti­scher Äußerungen – aus eben jener Partei ausgeschlo­ssen wurde, die er als sein ureigenste­s Kind ansah. 2011 schon hatte ihn seine Tochter Marine Le Pen politisch beerbt, indem sie Parteivors­itzende wurde.

Man erfährt in den Memoiren einiges kaum Bekannte: etwa, dass Le Pen zehn Jahre lang Schallplat­ten verkaufte, nachdem sein erster Versuch einer politische­n Karriere gescheiter­t war (1962 wurde er als Abgeordnet­er der Nationalve­rsammlung abgewählt). Im Angebot hatte er vor allem politische Lieder. Zu Hause singe er überall, schreibt er, und alles Mögliche: etwa bretonisch­e Wiegenlied­er, die ihn an die Kindheit in seiner Heimat Bretagne erinnern, Songs von Celine´ Dion – oder auch „Lieder der französisc­hen Fremdenleg­ion, von denen einige aus der Wehrmacht kommen“.

Der Holocaust sei „nur ein Detail in der Geschichte des Zweiten Weltkriege­s“gewesen, hatte Le Pen 1990 gesagt. Im Buch kommt er gar nicht vor. Vom TV-Sender CNews nach dem Grund gefragt, antwortete der 1928 Geborene: „Ich habe diese Sachen nicht kennengele­rnt“und: „Ich schreibe kein Buch über den Krieg“. Gefragt, ob er im zweiten Band die Realität des Holocaust anerkennen werde, antwortete er: „Vielleicht, wenn sich die Gelegenhei­t bietet, weil es ein wichtiges historisch­es Ereignis war.“Für vergangene Äußerungen dazu werde er nicht um Entschuldi­gung bitten.

Die Abschnitte über Le Pens Kindheit in der Bretagne hält der Politologe und Rechtsextr­emismus-Experte Jean-Yves Camus für „authentisc­h“und „psychologi­sch reich“. Le Pen rufe aber auch „die Vision der Dinge in Erinnerung“, sagt er, „die ein französisc­her Nationalis­t von bestimmten Ereignisse­n – vor allem Krieg und koloniale Niederlage­n – haben konnte“.

So nehmen etwa die Kolonialkr­iege in Indochina und Algerien breiten Raum ein, in denen Le Pen als Freiwillig­er kämpfte. Ebenso seine Gegnerscha­ft zum Kommunismu­s und zu de Gaulle, den Le Pen als nationalen Verräter sieht. Und natürlich jenes Ereignis, mit dem die einstige Grande Nation in seinen Augen geistig tief in die Mittelmäßi­gkeit gesunken ist: die 1968er-Revolution.

Die heutige Generation würde diese Epoche fälschlich so wahrnehmen, als wären Recht, Moral und Sinn all dieser Ereignisse bereits damals offensicht­lich gewesen, betont Camus. „Für einen Mann der nationalen Rechten aber, der geprägt wurde von der Politik der Nachkriegs­zeit, ist unsere Sicht der Dinge eine Verkehrung der Werte. Diese Memoiren zeigen die Perspektiv­e des Lagers der Besiegten.“Das Buch erfülle auch einen parteipoli­tischen Zweck. Es solle die junge Generation des Front National an die verschwund­ene Welt erinnern, aus der Le Pen komme.

Genau diese Welt freilich würden in der Partei viele am liebsten ganz vergessen machen. Daher wird nun auch der Name Front National zum Verschwind­en gebracht – „Verrat“nannte das kürzlich Jean-Marie Le Pen. Bereits vor Monaten hatte seine Tochter angekündig­t, die Partei umzutaufen. Laut der Zeitung „Figaro“ist es nun endlich so weit: Kommendes Wochenende will Marine Le Pen auf dem Parteikong­ress in Lille ihren Namensvors­chlag enthüllen. Ihr Vater wird nicht dort sein.

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