Leiden an der Bürokratie
Politik. Die Regierung will den Standort stärken und Wachstum als Ziel in die Verfassung schreiben. Die Firmen leiden aber an anderem – wie zu viel Bürokratie.
Die Regierung will Wachstum als Ziel in die Verfassung schreiben, doch die Firmen leiden vor allem an der Bürokratie.
Um 700 Mio. Euro baut Boehringer Ingelheim eine Biotech-Produktionsanlage in Wien. Das ist die größte Einzelinvestition in der Hauptstadt seit dem GM-Werk in Aspern. Grund genug für die Regierungsspitze, dem Unternehmen seine Aufwartung zu machen. Den Besuch nutzte sie auch gleich, um Werbung für ihre Standortoffensive zu machen, die heute, Mittwoch, im Ministerrat beschlossen werden soll. Damit will Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Österreich „aus dem Mittelfeld wieder ganz nach vorn bringen“.
Eine ganze Reihe von Punkten ist in dem Paket enthalten. Für die größte Aufregung sorgte im Vorfeld die Verankerung des Wirtschaftswachstums als Staatsziel in der Verfassung. Wachstum soll damit ebenbürtig mit Umweltschutz werden, was etwa bei der gerichtlichen Entscheidung rund um die dritte Piste des Wiener Flughafens relevant sein könnte. Zudem sollen auch Genehmigungen von Betriebsanlagen vereinfacht sowie eine Lehrlingsoffensive gestartet werden. Andere zuletzt diskutierte Vorhaben wie der Zwölf-StundenTag oder die Senkung von Körperschaftsteuer und Lohnnebenkosten finden sich nicht in dem Paket.
Ein Gesetz für den Standort
Dafür sollen Wirtschafts- und Infrastrukturministerium damit beauftragt werden, ein „StandortEntwicklungsgesetz“zu erstellen. In diesem sollen jene Maßnahmen definiert werden, durch die der heimische Wirtschaftsstandort im internationalen Vergleich wieder an Attraktivität zulegen kann. Welche Maßnahmen das sein können, ist offen. Es könnten sowohl konkrete Infrastrukturprojekte, aber auch Vorgaben wie eine gewisse Steuerquote in dem Gesetz enthalten sein, heißt es dazu im Wirtschaftsministerium.
Wie schwierig das Gießen einer Standortoffensive in Gesetzesform werden dürfte, zeigte sich am Dienstag exemplarisch bei einer Veranstaltung der Deutschen Handelskammer in Österreich, die zeitgleich mit dem Regierungsbesuch bei Boehringer Ingelheim stattfand. Dort erklärten Manager, was das Schlagwort „hohe Bürokratie“in der Praxis konkret bedeute. Demnach wird etwa der Fachkräftemangel, der angesichts der guten Konjunktur viele Unternehmen betrifft, durch gesetzliche Vorgaben weiter verschlimmert.
Aus welch unerwarteter Ecke Probleme kommen können, sagte Strabag-Chef Thomas Birtel. Konkret geht es um das Lohn- und Sozialdumpinggesetz, das eigentlich auf Scheinfirmen und Billigarbeits- kräfte aus Osteuropa abzielt. Es erschwert aber auch den Einsatz von Experten aus Westeuropa. „Wenn wir einen hoch qualifizierten Spezialisten aus Deutschland für drei, vier Tage auf einer Baustelle brauchen“, dann erfordere das einen „Ordner an Unterlagen“, um nachzuweisen, dass der Mitarbeiter auf österreichischem Niveau verdient und in Deutschland sozialversichert ist. Das wäre „lange im Voraus zu planen“, was aber nicht möglich ist, wenn der Experte „dringend gebraucht“wird.
Das Problem betrifft auch Technologiefirmen, so Klaus Peter Fouquet. Als Chef von Bosch Österreich lud er früher jedes Jahr Softwareingenieure der indischen Konzerntochter zum Austausch und zur Ausbildung ins Entwicklungszentrum nach Wien. „Das haben wir aufgegeben, es ist mit diesem Gesetz nicht mehr möglich.“Man bräuchte aber diese Zusammenarbeit. „Ein solcher Auswuchs schädigt eindeutig den Technolo- giestandort Österreich.“Zudem sei das Gesetz nicht klar ausformuliert, weshalb es jede Landesbehörde anders interpretiere, so die Kritik der Manager. In Graz müssten somit andere Unterlagen gebracht werden als in Wien.
Nur 2517 Rot-Weiß-Rot-Karten
Noch drastischer ist die Situation, wenn es darum geht, Mitarbeiter aus Drittstaaten nach Österreich zu holen. Dafür gibt es seit 2011 die Rot-Weiß-Rot-Karte. Aufgrund der komplexen Vorgaben wird sie jedoch kaum genutzt. Statt der einst geplanten 8000 Karten pro Jahr wurden im Vorjahr nur 2517 Karten ausgestellt. Die Verfahren dauern oft Monate statt der gesetzlich vorgegebenen acht Wochen.
Was das bedeutet, beschrieb jüngst Wolfgang Platz, Chef des Wiener Softwarespezialisten Tricentis, gegenüber der „Presse“. Sein Unternehmen wächst derzeit um hundert Prozent im Jahr und beschäftigt 200 Entwickler in Ös- terreich. Es könnten aber bereits 40 mehr sein. „Wenn es nicht so schwierig wäre, Mitarbeiter von außerhalb der EU nach Österreich zu holen“, sagt Platz. So muss etwa bereits bei der Antragsstellung aus dem Ausland eine fixe Wohnung in Österreich vorhanden sein. Ein Aufenthalt im Hotel in den ersten Wochen ist auch für hoch qualifizierte Experten unmöglich. Die dadurch verlängerte Verfahrensdauer führt dazu, dass auf plötzliche Auftragsspitzen nicht entsprechend reagiert werden kann: „Ich brauche die Leute nicht in einem halben Jahr, sondern sofort“, so Platz. (bin/auer/gau/jaz)