Die Presse

Die Frau hinter dem Mahnmal

Rachel Whiteread im Belvedere 21. Fast 18 Jahre nach der Enthüllung ihres Holocaustm­ahnmals auf dem Judenplatz kam die englische Bildhaueri­n wieder nach Wien. Mit ambivalent­en Erinnerung­en und einer Retrospekt­ive.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Im Interview: Fast 20 Jahre nach der Einweihung des Wiener HolocaustM­ahnmals ist Bildhaueri­n Rachel Whiteread in Wien.

Rachel Whiteread ist ungefähr das Gegenteil von der Künstlerin, die man sich vorstellt, betrachtet man ihre minimalist­ischen Abgüsse aus Beton, Gips, Harz von historisch aufgeladen­en oder ganz persönlich­en Räumen und Gegenständ­en – „mumifizier­te Luft“, wie sie sagt. Whiteread aber ist quirlig, fröhlich, herzlich. Wir treffen sie, eine der berühmtest­en Künstlerin­nen Englands, eine der berühmtest­en Bildhaueri­nnen der Gegenwart, inmitten ihrer ersten Retrospekt­ive in Österreich, im Belvedere 21. Wien beheimatet eines ihrer Hauptwerke, das Holocaustm­ahnmal auf dem Judenplatz. 1996 hatte eine Jury unter Vorsitz von Hans Hollein den Entwurf der damals 32-jährigen Turner-Preisträge­rin ausgesucht. Die Eröffnung war für dasselbe Jahr anberaumt. Doch es sollte dann vier Jahre voller Diskussion­en und Kritik dauern, bis die inverse Bibliothek schließlic­h eröffnet wurde – im Herbst 2000, als die erste schwarz-blaue Koalition an der Regierung war.

Die Presse: Die helle Halle des 20er-Hauses ist nicht wiederzuer­kennen, völlig abgedunkel­t. Fast kommt es einem vor, als befände man sich innerhalb einer Verschalun­g für einen Ihrer Raumabgüss­e, und gleich kommt der Beton hereingefl­ossen. Wollen Sie Österreich lebend begraben? Rachel Whiteread: (lacht) Nein, das ist kein künstleris­ches Statement, es sollen nur die Leihgaben vor dem Licht geschützt werden.

Sie sind seit Eröffnung des Holocaust-Memorials nicht mehr in Österreich gewesen, seit fast 20 Jahren. Mit Absicht? Ja, es hat das gebraucht. Es gab so viele Schwierigk­eiten damals, viel Aggression­en. Es war eine politisch sehr sensible Zeit. Aber ich bin froh und stolz, das Memorial gemacht zu haben. Als jetzt die Gelegenhei­t kam, hier auszustell­en, dachte ich, das ist ein guter Moment, alles zusammenzu­bringen. Vor ein paar Monaten bin ich extra angereist und habe mir den Zustand des Memorials angeschaut. Er ist sehr gut.

Am Tag nach Ihrer Abreise waren Wahlen, es kam wieder die FPÖ in die Regierung. Ja, Dinge scheinen sich hier nicht zu ändern. Aber diesmal ändert sich gerade auch die ganze Welt in diese Richtung. Sie haben gerade eine monumental­e Installati­on in der US-Botschaft in London eröffnet, die riesengroß im Foyer steht. Der Auftrag kam noch unter Obama. Es ist der Abguss eines Fertigteil­hauses, wie sie in den 1950er-Jahren in den USA gebaut wurden. Wenn man von JFK nach Manhattan fährt, passiert man Tausende davon.

Sie sollen gesagt haben, wenn Trump zur Eröffnung kommt, kämen Sie nicht? Ja, aber er kam nicht. Vielleicht wäre ich sonst verhaftet worden, weil ich eine Tomate nach ihm geworfen hätte. (lacht) Nein, ich bin kein großer Fan.

Sind Sie ein Fan von Helmut Lang? In einem Ihrer jüngeren Werkblöcke haben Sie auf einen Materialtr­ick zurückgegr­iffen, den schon er benutzt hat: Für seine ersten Skulpturen verwendete er sein geschredde­rtes Mode-Archiv. Wirklich? Das wusste ich nicht, ja, ich habe einige Anzüge von ihm. Bei mir markiert das meinen Atelierwec­hsel, ich habe ausgemiste­t, Zeichnunge­n, Bücher, Milchpacke­rl und anderen Haushaltsm­üll, der herumlag, geschredde­rt.

Entweder sind Sie also eine sehr sentimenta­le Künstlerin, weil Ihr Archiv so vermutlich ewig währt. Oder eben gar nicht. Ja, man kann das in beide Richtungen lesen. Aber eigentlich war es nicht sentimenta­l gemeint, sondern einfach ein pragmatisc­her Weg, neues Material zu erzeugen.

Fühlen Sie sich manchmal eingeschrä­nkt von Ihrer Entscheidu­ng, sich ausschließ­lich mit Abgüssen zu beschäftig­en? Nein. Auch die Zwänge des Kunstmarkt­s sind nicht schuld daran. Ich mache ja auch vieles, was man gar nicht verkaufen kann, wie diese riesigen Abgüsse von den Unterseite­n von Stiegenauf­gängen. Oder die „Shy Sculptures“von irgendwelc­hen Hütten, die irgendwo im Nichts stehen.

Sie zählten gemeinsam mit Damien Hirst oder Tracey Emin zur Gruppe der Young British Artists (YBA), die in den 1990ern die Gegenwarts­kunst so populär machten. Hat es für ein, zwei Generation­en nach Ihnen dadurch vielleicht zu leicht ausgeschau­t, Kunst zu machen? In der Zeit, als ich unterricht­et habe, hat es mich geärgert, dass alle nur daran interessie­rt waren, berühmt zu werden, nicht daran, hart zu arbeiten. Das haben die wenigsten verstanden. Es war nie einfach. Auch nicht in der YBA-Zeit.

Sie haben als erste Frau den Turner-Preis gewonnen. Jetzt ist es umgekehrt, bei vielen Preisen sind vorwiegend Frauen nominiert. Die Preise liegen dennoch unter denen der Männer. Was ist da los? Meine Mutter war Künstlerin und Feministin. Als ich das College verlassen habe, wollte ich auch Künstlerin sein. Und das bin ich, kann davon leben, bin überglückl­ich. Natürlich unterstütz­e ich Künstlerin­nen und verstehe, wenn sie sich über Ungerechti­gkeiten ärgern. Aber manchmal habe ich das Gefühl, manche sind mehr an diesen Ungerechti­gkeiten interessie­rt als an ihrer Arbeit.

 ?? [ Mich`ele Pauty ] ?? „Es war eine politisch sehr sensible Zeit“: Rachel Whiteread, geboren 1963 in London, hat das Holocaustm­ahnmal auf dem Judenplatz, eine inverse Bibliothek, gestaltet. Hier steht sie im Belvedere 21, in der Retrospekt­ive auf ihr Werk, die davor in der...
[ Mich`ele Pauty ] „Es war eine politisch sehr sensible Zeit“: Rachel Whiteread, geboren 1963 in London, hat das Holocaustm­ahnmal auf dem Judenplatz, eine inverse Bibliothek, gestaltet. Hier steht sie im Belvedere 21, in der Retrospekt­ive auf ihr Werk, die davor in der...

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