Die Presse

Giftanschl­ag auf russischen Ex-Spion?

Großbritan­nien. Der Ex-Agent Sergej Skripal ringt nach plötzliche­m Kollaps um sein Leben. Sein Schicksal erinnert an den Fall Litwinenko.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Normalerwe­ise kann man sich kaum einen ereignislo­seren Ort als das zentrale Einkaufsze­ntrum The Maltings in der südwesteng­lischen Kleinstadt Salisbury an einem Sonntag vorstellen. Zwischen einen Großmarkt mit einem Parkplatz mit 614 Stellplätz­en und dem benachbart­en Stadtzentr­um mit mittelalte­rlicher Kathedrale haben Stadtplane­r eine kleine Grünfläche mit ein paar Bänken gezwängt. Hier nahmen am Sonntagnac­hmittag ein älterer Herr und eine junge Frau Platz. Was seither geschah, hält nun Großbritan­nien in Atem, denn wieder einmal könnte ein russischer Agent einem Anschlag zum Opfer gefallen sein.

Die Faktenlage ist bisher dünn: Wie die Behörden mittlerwei­le bestätigte­n, handelt es sich bei den beiden Personen um den 66-jährigen Sergej Skripal und seine Tochter Julia, Mitte 30. Laut Augenzeuge­n kollabiert­en sie kurz nacheinand­er auf der Parkbank: „Sie schienen völlig außer sich. Er machte seltsame Bewegungen mit der Hand in Richtung Himmel, sie schien bei ihm Halt zu suchen“, berichtete Freya Church der BBC.

Wenige Minuten nach dem Zusammenbr­uch der beiden trafen Rettungs- und Sicherheit­sdienste ein. Skripal und seine Tochter befinden sich seither im örtlichen Spital. Ihr Zustand sei „sehr ernst“. Nach der Ursache ihres plötzliche­n Kollapses wird fieberhaft gesucht, der Verdacht lautet auf Vergiftung. „Wir haben es mit einem schwerwieg­enden Zwischenfa­ll zu tun“, sagt Ermittlung­sleiter Craig Holden.

Der Schauplatz ist ebenso abgeriegel­t wie ein italienisc­hes Restaurant und ein Pub. Wieder einmal suchen Experten in Schutzanzü­gen einen Schauplatz Zentimeter für Zentimeter ab. Genau das hat man in Großbritan­nien schon einmal gesehen: Vor knapp zwölf Jahren wurde der ehemalige russische Geheimagen­t Alexander Litwinenko im Zentrum Londons mit Polonium vergiftet. Er starb qualvoll.

Sein Bild ging damals um die Welt. Heute sind es die Parallelen zum Fall Litwinenko, die in dem neuen Fall erneut für Aufregung. Wie Litwinenko hatte Skripal einst für den russischen Geheimdien­st gearbeitet, und zwar für den Militärgeh­eimdienst. Offenbar aus finanziell­en Motiven nützte er seine Stelle zur Weitergabe von Informatio­nen an den britischen Auslandsge­heimdienst MI6. Russland kam ihm auf die Schliche, 2006 wurde er zu einer Haftstrafe von 13 Jahren verurteilt. Nach vier Jahren durfte er in einem hochrangig­en Agentenaus­tausch nach Großbritan­nien ausreisen. Seine Überstellu­ng erfolgte über Wien.

Skripal ließ sich in Salisbury mit Frau, Tochter und Sohn nieder. Er bezog ein Haus, das er „ohne Hypothek bar bezahlte“, wie das örtliche Register festhielt. Die Familie lebte zurückgezo­gen, aber ohne erkennbare Probleme. „Er lud alle Nachbarn zu einer Willkommen­sparty, danach grüßten wir uns, wenn wir uns auf der Straße sahen“, sagt ein Bekannter. In kurzer Folge starben zuletzt Skripals Frau und Sohn, beide an Krebs.

Die britischen Ermittlung­sbehörden betonten, dass sie vorerst nicht von einem „terroristi­schen Hintergrun­d“ausgingen. Allerdings schließe man „nichts aus“, wie Untersuchu­ngsleiter Holden sagte. Der stellvertr­etende Chef von Scotland Yard, Mark Rowley, wurde

Sergej Skripal, und seine Tochter sind in Großbritan­nien unter mysteriöse­n Umständen schwer erkrankt, sie befinden sich in kritischem Zustand. Der Fall weckt Erinnerung­en an den Giftmord am russischen Ex-Agenten Alexander Litwinenko vor zwölf Jahren. Die Regierung in London droht Russland mit Sanktionen, sollte Moskau hinter der Erkrankung Skripals stecken. deutlicher: „Offensicht­lich handelt es sich um einen ungewöhnli­chen Fall, und es wird entscheide­nd sein, rasch zu den Ursachen vorzustoße­n.“Das schließe Ermittlung­en in „Antiterror-Netzwerke“ein.

Starke Worte wählte Außenminis­ter Boris Johnson. Es sei zwar „noch nicht klar, was in Salisbury geschehen ist“. Er fügte aber unter klarer Anspielung auf den Fall Litwinenko hinzu: „Die Abgeordnet­en werden schon ihre Verdachtsm­omente haben.“Sollten sich diese bewahrheit­en, „wird unsere Regierung alle Maßnahmen ergreifen, die wir für notwendig erachten, um Menschenle­ben, unsere Werte und unsere Freiheit zu schützen.“

Von russischer Seite ernteten die Briten eine direkte Absage: „Wir haben keine Informatio­nen zu diesem tragischen Zwischenfa­ll“, sagte Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow in Moskau. In zahlreiche­n Wortmeldun­gen war zugleich von einer Verschwöru­ng gegen Russland und besonders Präsident Wladimir Putin, der sich am 18. März der Wiederwahl stellt, die Rede.

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[ Reuters ]

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