Die Presse

„Weibliche Genitalver­stümmelung längst in Österreich präsent“

Menschenre­chte. Bis zu 8000 Frauen, denen in ihrer Heimat die äußeren Geschlecht­sorgane entfernt wurden, leben in Österreich.

- VON IRENE ZÖCH

„Das Thema weibliche Genitalver­stümmelung ist längst in unserer Gesellscha­ft präsent“, erklärte Außenminis­terin Karin Kneissl bei einem Expertenge­spräch in der Wiener Rudolfstif­tung. „Und es handelt sich dabei um schwere Körperverl­etzung.“

Die Außenminis­terin hatte anlässlich des bevorstehe­nden Weltfrauen­tags in das Spital im dritten Bezirk geladen, um auf das Problem aufmerksam zu machen. In Österreich sind schätzungs­weise bis zu 8000 Frauen von Genitalver­stümmelung (kurz FGM für „female gender mutilation“) betrof- fen. Genaue Zahlen gibt es nicht. Die meisten von ihnen stammen aus Somalia (dort sind 98 Prozent der Frauen verstümmel­t) und wurden als kleine Mädchen in ihrer Heimat beschnitte­n. Betroffen ist auch die zweite Generation: 30 Prozent jener, deren Eltern in Gebieten aufgewachs­en sind, in denen FGM praktizier­t wird, werden ebenso Opfer.

50 Rückoperat­ion pro Jahr

„Unter den Betroffene­n gibt es kaum Wissen über Gesundheit und über Rechte der Frauen“, sagte Umyma El Jelede. „Das wollen wir ändern.“Die aus dem Sudan stammende Ärztin arbeitet für das Wiener Frauengesu­ndheitszen­trum FEM Süd und führt Beratungsg­espräche durch. Zu ihr kommen Eltern, die überlegen, ihren Töchtern in ihren Herkunftsl­ändern die Geschlecht­sorgane entfernen zu lassen. Oder Frauen, die unter den gesundheit­lichen Folgen eines solchen Eingriffs leiden wie etwa ständige Infekte oder Inkontinen­z. Ein normales Sexuallebe­n oder eine natürliche Geburt sind für betroffene Frauen unmöglich. „Wir klären sie in ihrer Mutterspra­che auf“, so El Jelede.

Jene, die sich für eine Rückoperat­ion entscheide­n, vermittelt sie weiter an die Rudolfstif­tung. Dort gibt es seit 2009 eine an der Ambulanz für plastische-rekonstruk­tive Gynäkologi­e angesiedel­te Anlaufstel­le für FGM-Betroffene. Etwa 40 Patientinn­en werden pro Jahr behandelt. Ärzte führen etwa ein Mal pro Monat einen Eingriff zur Wiederhers­tellung der weiblichen Geschlecht­sorgane durch. Neben der Rudolfstif­tung machen auch das Wilhelmine­nspital und das AKH solche Rückoperat­ionen – insgesamt rund 50 pro Jahr.

In Europa 500.000 Betroffene

Weltweit sind mindestens 200 Millionen Frauen von FGM betroffen. Alle zehn Sekunden kommt laut Statistik eine weitere dazu. In 30 Ländern Afrikas, der arabischen Halbinsel und Asiens gehört FGM zum Frauenallt­ag. Mehr als die Hälfte aller Betroffene­n leben in Indonesien, Äthiopien und in Ägypten. Seit Langem schon gilt FGM als Verletzung der Menschenre­chte, in vielen Ländern, in denen FGM verbreitet ist, sind solche Eingriffe auch illegal – werden aber dennoch durchgefüh­rt.

In Europa geht man von einer halben Million Opfer aus (die meisten davon in Frankreich). Durch die Zuwanderun­g von Flüchtling­en rechnen Experten mit einem Anstieg. In Österreich wird FGM als schwere Körperverl­etzung gesehen, auf die Freiheitss­trafe steht.

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