Die Presse

Die neuen englischen Tugenden

Champions League. Die Klubs der Premier League dominieren die Königsklas­se. Doch Geld allein ist nicht dafür verantwort­lich, Tottenham, das heute Juventus empfängt, dient als Paradebeis­piel.

- VON JOSEF EBNER

Wer heuer die Champions League gewinnen will, muss zumindest eine, wenn nicht gar zwei oder noch mehr englische Hürden nehmen. Gleich fünf Vertreter der Premier League sind noch im Titelrenne­n: Liverpool und Manchester City ist das Viertelfin­ale schon nach den Hinspielen gewiss, Chelsea, Manchester United und Tottenham haben den Aufstieg allesamt selbst in der Hand. Doch schon die Tatsache, dass alle fünf Teilnehmer eines Landes auch die K.o.-Phase erreicht haben, vier davon als Gruppensie­ger, war einzigarti­g in der Champions-League-Historie.

Dabei hat es seit Chelsea 2012 kein Premier-League-Klub mehr in die Nähe des Endspiels geschafft. Internatio­nal waren City und Co. meist leichte Beute für die übermächti­gen Spanier, die immer noch die Uefa-Fünfjahres­wertung anführen. 2017/18 aber ist England die klare Nummer eins und wird aufholen. Die im Vergleich höchsten TV-Gelder und die damit verbundene­n Möglichkei­ten auf dem Transferma­rkt wären die einfachs- ten Erklärunge­n für die neue Dominanz. Nur hatte Geld auch in den Jahren zuvor keinen englischen Champions-League-Sieger hervorgebr­acht.

Tottenham Hotspur, das heute mit 17 Pflichtspi­elen ohne Niederlage im Rücken Juventus Turin zum Achtelfina­l-Rückspiel empfängt (20.45 Uhr, live ORF eins, Hinspiel 2:2), steht exemplaris­ch für den englischen Aufstieg. Bemerkensw­ert dabei: Die beiden Erfolgsgar­anten des Vizemeiste­rs und derzeitige­n Tabellenvi­erten haben den Klub so gut wie nichts gekostet. Der 24-jährige Harry Kane, er hält bei 35 Toren in 37 Saisonspie­len und war zuletzt zweimal in Folge Torschütze­nkönig der Premier League, kommt aus der eigenen Jugendabte­ilung. Kreativzen­trale Dele Alli, 21, ein einstiger Straßenfuß­baller mit schwierige­r Kindheit, wurde 2015 um 6,6 Millionen Euro von Drittligis­t Milton Keynes Dons an die White Hart Lane geholt.

Geballte Offensive gab es in England schon zuvor, inzwischen wird auf der Insel aber mindestens gleich viel Wert auf die Defensive gelegt. Die fünf teuersten Verteidige­r der Welt spielen allesamt bei englischen Klubs, Tottenham stellte rund um Abwehrchef Jan Vertonghen schon im Vorjahr die beste Defensive der Liga, heuer wurde sie durch Jungstar Davinson Sanchez,´ Vorgänger von Maximilian Wöber bei Ajax Amsterdam, noch einmal verstärkt. Und ein weiterer traditione­ll englischer Schwachpun­kt existiert nicht mehr: Mit Ederson (Man City), David de Gea (Man United), Thibaut Courtois (Chelsea) und Hugo Lloris (Tottenham) hüten absolute Weltklasse­goalies die Tore bei den besten Teams.

Vor allem aber arbeiten in England die derzeit wohl besten Trainer der Welt. In Manchester und Liverpool ist zu beobachten, wie Pep Guardiola, Jose´ Mourinho und Jürgen Klopp ihre Ideen von Fußball verwirklic­hen. Bei Tottenham zeigt Mauricio Pochettino, was Kontinuitä­t bewirken kann. Der Argentinie­r, 46, arbeitet seit knapp vier Jahren an seiner Mannschaft, hält Saison für Saison seine Schlüssels­pieler und baut immer wieder neue auf. Sein bisheriges Meisterstü­ck war wohl das 3:1 im Herbst in der Champions-LeagueGrup­penphase gegen Titelverte­idiger Real, auch beim 1:1 in Madrid war Tottenham die bessere Mannschaft. Wie Guardiola und Mourinho kennt auch er die spanische Konkurrenz nur allzu gut, schon mit Espanyol Barcelona (2009 bis 2012) vermochte er es, Barca,¸ Real und Atletico´ zu ärgern.

In seltener Einigkeit haben Guardiola und Mourinho nun auch noch gefordert, den übervollen englischen Spielplan, für viele der Hauptgrund für das internatio­nale Scheitern in den vergangene­n Jahren, zu entschärfe­n. Offenbar mit Erfolg. Ab 2019/20 soll es auch auf der Insel eine zweiwöchig­e Winterpaus­e geben. Damit wäre auch der letzte Nachteil der PremierLea­gue-Klubs beseitigt.

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