Die Presse

Das Hören von Farben bleibt ein Mysterium

Psychologi­e. Synästhesi­e-Gene hat die jüngste Analyse nicht gefunden, nur Hinweise auf verstärkte Hirnversch­altungen.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Hör, es klagt die Flöte wieder / Golden wehn die Töne nieder / Durch die Nacht, die mich umfangen / Blickt zu mir der Töne Licht.“So verdichtet­e Clemens von Brentano 1802 eine Erfahrung, die er selbst nicht kannte, die der Synästhesi­e, in der mehrere Sinne bzw. die für sie zuständige­n Regionen im Gehirn sich verschalte­n: Da werden Töne nicht nur gehört, sondern auch gesehen oder gerochen, da werden Farben auch geschmeckt, 60 Verbindung­en kennt man, es können auch mehrere Sinne zusammensp­ielen. Das kann belasten, aber auch genutzt werden: Liszt und Syd Barrett (Pink Floyd) komponiert­en in Farben, Nabokov richtete sich beim Schreiben danach, Paul Klee übersetzte gerne Töne in Farben, Einstein erdachte Formeln in farbigen Kringeln, Richard Feynman hielt es ebenso.

Wie das zugeht, ist völlig unklar, es läuft oft in Familien, deshalb sucht man lange schon nach Genen. Gefunden hat man bisher keine, es wäre auch verwunderl­ich: Kinder haben oft ganz andere Synästhesi­en als ihre Eltern, Zwillinge auch. Auch der Mechanismu­s ist unklar: Es kann sich um ein Verstärken von Verbindung­en zwischen Hirnregion­en handeln oder um ein Erlahmen der abschotten­den Kontrolle.

Auf Ersteres deutet das jüngste Gründeln in Genen, eine Gruppe um den Cambridge-Psychologe­n Simon Baron-Cohen – der sich sonst eingehend mit Autismus beschäftig­t und über ihn nun von Synästhesi­en lernen will – hat es unternomme­n, an drei Familien über drei Generation­en hinweg: Die Mitglieder hatten die unterschie­dlichsten Synästhesi­en, manche hatten auch keine. Und es hat sich schon etwas gefunden: In jeder Familie zeigten sich Varianten ganz bestimmter Gene.

Aber das waren in jeder Familie Varianten ganz anderer Gene: Ein bzw. das Synästhesi­e-Gen gibt es nicht. Es gibt aber auch Gemeinsamk­eiten, zumindest Verwandtsc­haften: Zu den Genen zählten einige, von denen man weiß, dass sie mit Axogenese in der frühen Kindheit zu tun haben: Da sorgen sie für intensiver­es Wachstum der Auswüchse, mit denen Nervenzell­en sich miteinande­r verbinden (meist nicht direkt, sondern über den Spalt der Synapsen hinweg).

Kommt Synästhesi­e also durch verstärkte Verschaltu­ng? Na ja, man kennt auch Gegenteili­ges: Unter dem Einfluss halluzinat­orischer Drogen wie LSD oder Psilocybin kann jeder zum Synästhete­n werden, es liegt offenbar in allen bereit. Zum Wecken braucht es auch gar keine Drogen, Buntstifte reichen: Die hat in einem früheren Experiment Stephen Palmer (Berkeley) Testperson­en in die Hand gedrückt und sie zum Malen eine Begleitmus­ik wählen lassen ( Pnas 110, S. 8836): Wer Stifte in düsteren Farben erhalten hatte, rief eher nach Moll, die anderen bevorzugte­n Dur. Und umgekehrt: Als Musik Farbtönen zugeordnet werden sollte – ja, so heißen die: Farbtöne –, wurde Moll mit Grau assoziiert. Das spricht gegen gestärkte Verschaltu­ng und für leicht zu schwächend­e Kontrolle.

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