Das Hören von Farben bleibt ein Mysterium
Psychologie. Synästhesie-Gene hat die jüngste Analyse nicht gefunden, nur Hinweise auf verstärkte Hirnverschaltungen.
Hör, es klagt die Flöte wieder / Golden wehn die Töne nieder / Durch die Nacht, die mich umfangen / Blickt zu mir der Töne Licht.“So verdichtete Clemens von Brentano 1802 eine Erfahrung, die er selbst nicht kannte, die der Synästhesie, in der mehrere Sinne bzw. die für sie zuständigen Regionen im Gehirn sich verschalten: Da werden Töne nicht nur gehört, sondern auch gesehen oder gerochen, da werden Farben auch geschmeckt, 60 Verbindungen kennt man, es können auch mehrere Sinne zusammenspielen. Das kann belasten, aber auch genutzt werden: Liszt und Syd Barrett (Pink Floyd) komponierten in Farben, Nabokov richtete sich beim Schreiben danach, Paul Klee übersetzte gerne Töne in Farben, Einstein erdachte Formeln in farbigen Kringeln, Richard Feynman hielt es ebenso.
Wie das zugeht, ist völlig unklar, es läuft oft in Familien, deshalb sucht man lange schon nach Genen. Gefunden hat man bisher keine, es wäre auch verwunderlich: Kinder haben oft ganz andere Synästhesien als ihre Eltern, Zwillinge auch. Auch der Mechanismus ist unklar: Es kann sich um ein Verstärken von Verbindungen zwischen Hirnregionen handeln oder um ein Erlahmen der abschottenden Kontrolle.
Auf Ersteres deutet das jüngste Gründeln in Genen, eine Gruppe um den Cambridge-Psychologen Simon Baron-Cohen – der sich sonst eingehend mit Autismus beschäftigt und über ihn nun von Synästhesien lernen will – hat es unternommen, an drei Familien über drei Generationen hinweg: Die Mitglieder hatten die unterschiedlichsten Synästhesien, manche hatten auch keine. Und es hat sich schon etwas gefunden: In jeder Familie zeigten sich Varianten ganz bestimmter Gene.
Aber das waren in jeder Familie Varianten ganz anderer Gene: Ein bzw. das Synästhesie-Gen gibt es nicht. Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten, zumindest Verwandtschaften: Zu den Genen zählten einige, von denen man weiß, dass sie mit Axogenese in der frühen Kindheit zu tun haben: Da sorgen sie für intensiveres Wachstum der Auswüchse, mit denen Nervenzellen sich miteinander verbinden (meist nicht direkt, sondern über den Spalt der Synapsen hinweg).
Kommt Synästhesie also durch verstärkte Verschaltung? Na ja, man kennt auch Gegenteiliges: Unter dem Einfluss halluzinatorischer Drogen wie LSD oder Psilocybin kann jeder zum Synästheten werden, es liegt offenbar in allen bereit. Zum Wecken braucht es auch gar keine Drogen, Buntstifte reichen: Die hat in einem früheren Experiment Stephen Palmer (Berkeley) Testpersonen in die Hand gedrückt und sie zum Malen eine Begleitmusik wählen lassen ( Pnas 110, S. 8836): Wer Stifte in düsteren Farben erhalten hatte, rief eher nach Moll, die anderen bevorzugten Dur. Und umgekehrt: Als Musik Farbtönen zugeordnet werden sollte – ja, so heißen die: Farbtöne –, wurde Moll mit Grau assoziiert. Das spricht gegen gestärkte Verschaltung und für leicht zu schwächende Kontrolle.