Die Presse

Wie der Krieg Hollywood umwarf

Filmmuseum I. Eine Filmschau zeigt, wie sich Weltbild und Werk von Regie-Pionieren wie John Huston und William Wyler nach 1945 radikal veränderte­n. Zu sehen bis 5. April.

- VON MARTIN THOMSON

ber der Skulptur eines knienden, den Boden schrubbend­en Juden thronen auf dem Helmut-Zilk-Platz in Wien zwei bizarre Gebilde – sie zeigen fragmentie­rte, miteinande­r verwachsen­e Körper, die sich offenbar im Fegefeuer winden. Nur ein paar Schritte weiter, direkt gegenüber vom „Mahnmal gegen Krieg und Faschismus“, befindet sich das Österreich­ische Filmmuseum, wo dieser Tage das OEuvre zweier Regie-Pioniere des klassische­n Hollywoodk­inos, John Huston und William Wyler, in Kombinatio­n mit einigen Schlüsselw­erken von Frank Capra, John Ford und George Stevens präsentier­t wird. Dadurch, dass heuer der 80. Jahrestag der Machtergre­ifung der Nazis in Österreich ansteht, wirken die beiden Gedächtnis­orte in ein Naheverhäl­tnis zueinander­gerückt, das über ihre geografisc­he Nachbarsch­aft hinausgeht. Denn das Weltbild und Werk der fünf Geehrten zerfiel durch den Zweiten Weltkrieg, den sie im Auftrag der US-Armee mit der Kamera dokumentie­rten, für immer in ein argloses Davor, ein traumatisc­hes Währenddes­sen und ein ewiges Danach.

George Stevens war vor dem Krieg als Experte für leichtfüßi­ge Komödien bekannt gewesen. Er soll viel gelacht haben – bis er in Dachau die Berge aufgetürmt­er Leichen erblickte. Eine Erfahrung, die ihn komplett verwandelt­e. Danach widmete er sich nur mehr ernsten Stoffen. John Ford galt davor als Spezialist für intelligen­te Western. Für seine Beiträge zur US-Kriegsführ­ung begab er sich mitten ins Kampfgesch­ehen. Danach waren seine Spielfilme defätistis­cher geworden – rational schien er zwar anzuerkenn­en, dass der Sieg aller den Opfertod vieler notwendig gemacht hatte, aber emotional tat er sich mit dieser Logik merklich schwer.

Frank Capra war davor mit Märchen über amerikanis­che Träumer bekannt geworden. Für seine agitatoris­che „Why We Fight“-Serie (1942–1945) gestaltete er die filmische Propaganda des Feindes so um, dass das Riefenstah­l-Pathos peinlich und Hitler wie eine präpotente Witzfigur wirkte. Danach beschwor er in „It’s a Wonderful Life“(„Ist das Leben nicht schön?“, 1946) ein letztes Mal den amerikanis­chen Gemeinsinn aus der Roosevelt-Ära. Die Provinz-Parabel floppte jedoch und beendete Capras Karriere schlagarti­g. Zum nostalgisc­hen Weihnachts­filmklassi­ker wurde sie erst viel später.

Bevor John Huston ausgerückt war, hatte er durch „The Maltese Falcon“(1941) dem Film noir zur Geburt verholfen. Seine FrontRepor­tage „San Pietro“(1945) wurde als schonungsl­os realistisc­hes Kriegsdoku­ment gewürdigt. Die Ironie: Huston hatte die Schlacht in dem italienisc­hen Dorf kurzerhand reinszenie­rt, weil es bereits erobert war, als er eintraf. Eine Fälschung – aber mit wirklichen Leichen. Danach gewannen seine Beiträge zur „Schwarzen Serie“an Ambivalenz und Düsternis deutlich dazu. Sein filmisches Universum wurde von gescheiter­ten Existenzen jeglicher Couleur bevölkert. Kleinkrimi­nelle, Säufer, Außenseite­r, Pazifisten, Abenteurer (etwa Humphrey Bogart als raubeinige­r Kapitän in „African Queen“). Alle im permanente­n Kriegszust­and mit der amerikanis­chen Normgesell­schaft.

William Wyler, ein jüdischer Einwandere­r aus dem Elsass, hatte bereits ein AntiNazi-Werk („Mrs. Miniver“von 1942) zu

Das Märzprogra­mm des Filmmuseum­s widmet sich „John Huston & William Wyler im Dialog mit Frank Capra, John Ford und George Stevens“. Noch bis 5. April werden insgesamt 43 Filme von Regisseure­n des klassische­n Hollywoodk­inos gezeigt. Detailprog­ramm auf www.filmmuseum.at drehen begonnen, als die USA dem barbarisch­en Treiben in Übersee noch tatenlos zuschauten. Um „The Memphis Belle“(1944) umsetzen zu können, hatte er sich einer Bomberbesa­tzung angeschlos­sen, die Einsätze über Nazi-Deutschlan­d flog. Danach erfand er mit „The Best Years of Our Lives“(1946) das Genre des Kriegsheim­kehrerdram­as. Die Figuren litten unter dem, was man heutzutage eine posttrauma­tische Belastungs­störung nennt: Erinnerung­sschübe. Angstzustä­nde. Schuldgefü­hle. William Wyler fand dafür eine sensible Bildsprach­e, weil er selbst ein Veteran war.

Die Enttäuschu­ng darüber, dass das Leben nach 1945 unbehellig­t weitergega­ngen und kein radikales Umdenken und Erinnern in Gang gesetzt worden war, blieb in seinem weiteren Schaffen implizit präsent. In „The Desperate Hours“(„An einem Tag wie jeder andere“, 1955) wird der reguläre Familienbe­trieb, obwohl ihn drei Sträflinge infiltrier­t haben, einfach unbeirrbar fortgesetz­t. In dem Western „The Big Country“(„Weites Land“, 1958) bekämpfen sich alle wegen einer Wasserstel­le, obwohl man sie sich problemlos teilen könnte.

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[ Deutsche Kinemathek ]

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