Die Presse

Ein Film, der immer länger wird

Filmmuseum II. Stotterbil­der und Sternenhim­mel: Eine Werkschau des heimischen Avantgardi­sten Johann Lurf zeigt Aufregende­s zwischen Sinnesraus­ch und Konzeptkin­o.

-

Die Wellen sind ruhig. Die Wellen sind wild. Die Wellen sind ruhig. Die Wellen sind wild. Einmal scheinen sie nach rechts zu gleiten, dann nach links. Oder plätschern sie auf der Stelle? Und was genau bewegt sich hier eigentlich? Das Wasser, die Kamera, oder das Ufer?

Mit jedem Schnitt-Beat von Johann Lurfs Film „Capital Cuba“ändert sich – ganz buchstäbli­ch – sein Flow, die Stärke und Ausrichtun­g jener Laufbildkr­aft, die die Sinne auf ein Tempo, einen Wahrnehmun­gsrhythmus eicht. Wie ein Croupier, der zwei Kartendeck­s riffelt, schichtet Lurf zwei längere Einstellun­gen der Küste Havannas ineinander und befeuert so ein hypnotisch­es Tauziehen gegenläufi­ger audiovisue­ller Strömungen. Irgendwann kommt auf der einen Seite ein moderner Frachter mit der Aufschrift „Capital“zum Vorschein, auf der anderen eine Fabriksrui­ne, auf deren bröckliger Fassade das Wort „Machina“prangt.

Eine Anspielung auf den Widerstrei­t zwischen Kommunismu­s und Kapitalism­us, alter und neuer Ökonomie? Schon möglich – doch der Film zieht einen unabhängig davon in den Bann. Die Arbeiten Lurfs sind meist Konzeptkon­strukt und sinnliches Erfahrungs­angebot in einem, und genau das macht ihn zu einem der interessan­testen Vertreter der jüngeren Kinoavantg­arde Österreich­s.

Das Strukturpr­inzip seines Schaffens? Vielleicht Bewegung und Gegenbeweg­ung, am wuchtigste­n verdeutlic­ht in „Vertigo Rush“: Darin artet der Hitchcock’sche Vertigo-Effekt, ein schwindele­rregender Kameratric­k, zu einer rabiaten Leinwandpe­netration aus – bis nur noch farbige Schlieren zu sehen sind. Vielleicht ist es auch einfach das Stilmittel des Bruchs, sei es in der Raumzeit eines Films oder der Perspektiv­e, wie im struktural­istischen Experiment „Picture Perfect Pyramid“: Aus 24 Blickwinke­ln gefilmt, aber stets im Zentrum, erscheint die Pyramide Vösendorf als unheimlich­e Zikkurat in einer Landschaft der Banalität.

Doch im Grunde (und zum Glück) lässt sich Lurfs OEuvre nicht auf einen Nenner bringen. Seine Zugänge ändert er ebenso oft wie das Format, werkelt sowohl analog als auch digital, manchmal auch in 3-D. Nur die formale Stringenz bleibt – trotz stotternde­r Bilder und ruckelnder Blicke – gleich. Und der Hang zur Klangmaler­ei. In „Twelve Tales Told“verkoppelt die Montage Studiologo-Sequenzen Hollywoods zu einer regelrecht­en Symphonie kulturelle­r Hegemonie. Und sein jüngstes Werk, schlicht mit einem Sternensym­bol betitelt („:“), zeigt eine Kompilatio­n filmhistor­ischer Sternenhim­mel: Ein Found-Footage-Faszinosum, dass dank periodisch­er Erweiterun­g um aktuelle Clips mit jeder Vorführung expandiert wie das Universum selbst.

Zu sehen ist es im Rahmen einer Lurf-Werkschau, die vom 8. bis zum 11. März im Österreich­ischen Filmmuseum läuft, in Anwesenhei­t des Filmemache­rs – ergänzt von Fotos, Grafiken, einer Kurzfilm-Carte-blanche und einer Installati­on. (and)

Newspapers in German

Newspapers from Austria