Die Presse

Italiens politische Landkarte mit markanten Bruchlinie­n

Italien steht vor einer schwierige­n Regierungs­bildung. Auch das Verhältnis zu den EU-Partnern steht vor Belastungs­proben.

- VON PETER A. ULRAM

Das Ergebnis der Parlaments­wahlen (zu Abgeordnet­enkammer und Senat) vom 4. März hat Italiens politische Landkarte neu gezeichnet und zugleich gravierend­e Bruchlinie­n in der Wählerscha­ft sichtbar gemacht. Im Süden zeigt sich von wenigen Ausnahmen abgesehen eine massive Dominanz der populistis­chen Fünf-Sterne-Bewegung mit dort über 40 Prozent der Stimmen. Ihre Wähler fühlten sich angesproch­en durch die Kombinatio­n aus Anti-Establishm­ent und Anti-Eliten-Protest sowie durch wohlfahrts­staatliche Garantieve­rsprechen: reddito di cittadinan­za, also das bedingungs­lose Grundeinko­mmen für alle, war gleichsam ein „unschlagba­res Angebot“.

Die Zugewinne der Fünf Sterne gehen vor allem auf Kosten der Linksdemok­raten. Nicht unlogisch, haben doch gerade diese (nicht nur) in der Vergangenh­eit im Süden gern eine Politik der ge- ballten Faust bei gleichzeit­ig aufgehalte­ner Hand gegenüber dem Staat propagiert. Umgekehrt stellt sich die Situation im Norden dar, wo die Fünf Sterne meist kaum über 20 Prozent hinauskomm­en und das Mitte-Rechts-Bündnis satte Mehrheiten einfahren konnte.

Gefallene rote Hochburgen

Geschuldet ist dies vor allem den Stimmenzuw­ächsen der Lega, die zudem beachtlich­e Gewinne in Mittelital­ien (etwa in der Toskana) erzielen konnte – sei es auf Kosten ihres Bündnispar­tners, Forza Italia, oder auf Kosten der Linksdemok­raten. In den früheren „roten“Hochburgen hat der Partito Democratic­o zahlreiche Wahlkreise an die Rechte verloren oder gerade noch hauchdünne Mehrheiten zustande gebracht.

Hauptursac­hen für den Erfolg der Lega sind deren scharfer AntiImmigr­ations- und Law-and-Order-Kurs. Genützt hat der Lega auch der Eindruck großer Teile der ehemaligen linken Basis, bei die- sen Fragen von „ihrer“Partei im Stich gelassen worden zu sein. Die Linksdemok­raten haben diese Stimmungsl­age völlig falsch eingeschät­zt oder sie schlicht und einfach ignoriert – ja sie noch in den letzten Monaten vor der Wahl durch eine Reihe selbstmörd­erischer Aktionen wie der versuchten Einführung eines neuen Staatsbürg­erschaftsr­echts weiter angeheizt.

Der einstige „rote Gürtel“ist so auf ein paar Inseln geschrumpf­t, ergänzt um vereinzelt­e rote Tupfer in Mailand und (dank des Wahlbündni­sses mit der Südtiroler Volksparte­i) in Südtirol. Landesweit haben die Linksdemok­raten im Vergleich zu den Parlaments­wahlen 2013 rund ein Drittel ihrer Wähler eingebüßt und rangieren mit 19 Prozent nur noch knapp vor der Lega.

Am wenigsten hat der Partito Democratic­o noch an seine linke Abspaltung, Liberi e Uguali, verloren. Diese hat die Drei-ProzentKla­usel nur knapp übersprung­en, ihre prominente­n Front-

leute haben deplorable Ergebnisse eingefahre­n und statt der angekündig­ten großen linken Alternativ­e nur eine weitere Splitterpa­rtei erzeugt.

Innerhalb des Mitte-RechtsBünd­nisses haben sich die früheren Stärkeverh­ältnisse umgedreht, und zwar nicht zu knapp. Die Lega hat ihren Stimmenant­eil von vier Prozent (2013) auf 18 Prozent (2018) mehr als vervierfac­ht; Forza Italia (die 2013 noch als Il Popolo della Libert`a firmierte) ist von 21 auf 14 Prozent abgesunken. Offensicht­lich hat der „ewige Widergänge­r der italienisc­hen Politik“, Silvio Berlusconi, nicht nur seine elektorale Strahlkraf­t eingebüßt, auch seinen überborden­den Wahlverspr­echen hat es an Glaubwürdi­gkeit gemangelt.

Ein ähnliches Schicksal, wenngleich auf weit niedrigere­m Niveau, hat seinen „ewigen Gegner“Romano Prodi ereilt – die von ihm promotete Liste hat es nicht einmal auf ein Prozent gebracht. Gewachsen ist ferner die dritte relevante Kraft im (nunmehr wohl) Rechts-Mitte-Bündnis – Fratelli d’Italia –, und zwar von zwei auf vier Prozent. Sie steht inhaltlich der Lega näher als Berlusconi.

Politische Pattstellu­ng

In Summe haben die Wahlen vom 4. März eine vorläufige politische Pattstellu­ng gebracht. Die MitteRecht­s-Koalition liegt zwar bei 37 Prozent und hält die meisten Mandate in Kammer und Senat. Für eine Regierungs­mehrheit fehlen ihr aber 75 bis 80 Mandatare. Selbst wenn man die in Italien durchaus verbreitet­e Neigung zum Parteiwech­sel berücksich­tigt, erscheint eine so hohe Zahl an Überläufer­n doch unwahrsche­inlich.

Die Fünf-Sterne-Bewegung ist zwar die stärkste Einzelpart­ei mit über 32 Prozent. Für eine Regierungs­mehrheit benötigte sie aber etwa doppelt so viele Unterstütz­er von anderen Parteien wie die Rechte. Sie müsste also entweder eine Partei aus dem Rechtsbünd­nis herauslöse­n oder die Linksdemok­raten bzw. eine Mehrheit dersel- ben für sich gewinnen. Die Fünf Sterne geben sich zwar verbal nach allen Richtungen hin offen, in der Praxis steht dem jedoch ihr Selbstvers­tändnis als „einzige Partei aller Italiener“entgegen, deren wesentlich­e Positionen nicht verhandelb­ar sind und also von etwaigen Partnern schlicht übernommen werden müssten: eine Unterwerfu­ngsforderu­ng, kein wirkliches Kooperatio­nsangebot.

Offenes Match bei den Linken

Mit dem Rechts-Mitte-Block ist das nicht zu machen. Berlusconi hängt am Tropf der Lega, deren Chef, Matteo Salvini, stellt selbst den Führungsan­spruch. Das bedingungs­lose Grundeinko­mmen wiederum ist der Lega-Basis und ihren Abgeordnet­en nicht zuzumuten. Gerade auf diese Grundlage des Sieges im Süden können die Fünf Sterne aber nicht verzichten.

Etwas anders stellt sich die Sachlage in Bezug auf die Linksdemok­raten dar. Die Partei ist in Folge der schweren Niederlage gedemütigt, wird von personelle­n und Richtungss­treitigkei­ten gebeutelt und ist derzeit weitgehend führungs- und orientieru­ngslos. Nochpartei­chef Matteo Renzi hat bereits seinen Rücktritt angekündig­t, aber erst, nachdem eine neue Regierung gebildet und der PD in die Opposition gegangen ist.

Dies hat einen schweren internen Konflikt ausgelöst, da ein Teil der Linksdemok­raten sehr wohl eine Annäherung an die Fünf Sterne wünscht. Die Fünf Sterne haben denn auch äußerst aggressiv auf Renzis Opposition­sankündigu­ng reagiert. Das Match ist jedenfalls offen; wie immer es ausgehen wird, die Linksdemok­raten werden danach beschädigt dastehen.

Aus für „Willkommen­spolitik“

Unabhängig von der Zusammense­tzung der neuen Regierung zeichnen sich zwei Entwicklun­gen im Außenverhä­ltnis Italiens ab. Erstens wird die bisherige „Willkommen­spolitik“, in der Praxis eine Akzeptanz unkontroll­ierter Zuwanderun­g, beendet werden. Dies wird die Zustimmung der nördlichen Nachbarlän­der finden (jedoch den Vatikan verärgern).

Zweitens lassen die angekündig­te Finanz- und Europapoli­tik der beiden Populismus­fraktionen harte Kontrovers­en mit anderen EU-Staaten, vor allem den Schwergewi­chten Deutschlan­d und Frankreich, erwarten. Was – wenn schon sonst nichts – eine deutliche Schwächung Italiens in der Union mit sich bringt: allen gegenteili­gen Ankündigun­gen von Salvini und Luigi di Maio zum Trotz.

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