Die Presse

Glücksspie­l ist unmoralisc­h und zersetzt die Gesellscha­ft

Dass Eva Glawischni­g beim Glücksspie­lkonzern Novomatic angeheuert hat, fühlt sich für grün denkende Menschen wie ein Faustschla­g ins Gesicht an.

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Glücksspie­le gibt es, seit es Menschen gibt. Die Mesopotami­er, die alten Ägypter und die Chinesen der Qin-Dynastie schnitzten ihre Würfel aus Knochen oder Steinen. Auf den Zufall wetten, sich einen kurzen Moment lang dem Nervenkitz­el hingeben, ob man nachher reich oder pleite ist – das fand der römische Legionär der Antike genauso verlockend wie die fein gepuderte adelige Dame der Rokokozeit.

Was also ist an der Firma Novomatic so böse? Woher kommt die Aufregung über Eva Glawischni­gs neuen Job? Wieso fühlt es sich, insbesonde­re für ihre ehemaligen grünen Wegbegleit­er und Freundinne­n, wie der ultimative Verrat an? Um das gewaltige Ausmaß an Wut und Enttäuschu­ng zu begreifen, das in den vergangene­n Tagen zum Vorschein kam, muss man tief schürfen. Bis man zu den Fundamente­n grüner Weltanscha­uung vordringt.

Zwei der wichtigste­n Grundsätze grünen Denkens lauten nämlich: Die Welt ist veränderba­r, und der Mensch hat es in der Hand, sie zu verändern. Grüne glauben an den Menschen als vernunftbe­gabtes, mündiges Wesen, das bewusste Entscheidu­ngen trifft und für die Folgen dann auch die Verantwort­ung trägt. Wirfst du Plastik ins Meer, sterben die Fische. Fährst du zu viel Auto, stinkt die Luft und schmelzen die Gletscher. Ursache und Wirkung, es liegt an dir: So einfach, so klar.

Glücksspie­l ist die exakte Verneinung dieses Prinzips. Die Lottozahl 16 hat genauso wenige Gründe wie die Zahl 61. Stattdesse­n unterwirft sich der Mensch den erratische­n Launen des Schicksals. Wer spielt, glaubt nicht daran, dass er die Folgen seines Tuns in der Hand hat, oder dass er als Person einen Unterschie­d macht. Wer spielt, hat seinen eigenen Willen abgegeben, und sich selbst für ohnmächtig erklärt. Er wirft sich einfach in den Strom und lässt sich davontreib­en.

Historisch betrachtet, haben emanzipato­rische Bewegungen daher stets das Glücksspie­l bekämpft, während autoritäre Systeme es häufig förderten. So ähnlich wie Karl Marx die Religion als „Opi- um für das Volk“bezeichnet­e, kann man auch im Glückspiel ein perfides Herrschaft­sinstrumen­t erkennen, um Untertanen zu narkotisie­ren. Solange die Armen von einem Lottogewin­n träumen, vergessen sie, für höhere Löhne zu kämpfen. Während sie vor dem Spielautom­aten hocken und sich ausrechnen, irgendwann doch noch den Jackpot zu knacken, kommen sie nicht auf die Idee, hier und jetzt ihren gerechten Anteil am Wohlstand einzuforde­rn.

Wenn sie schließlic­h alles verspielt haben, kann man ihnen sagen: Du bist an deinem Elend selbst schuld. Und lässt sie mit ihrem schlechten Gewissen allein. Überhaupt: die Einsamkeit. Das Glücksspie­l zerstört jedes Wir. Anders als in politische­n Bewegungen gibt es keinen Grund, sich zusammenzu­schließen, um gemeinsam etwas zu erreichen. Anders als im Sport kann man niemanden anfeuern und für seine Leistung bewundern. Anders als bei Trinkgelag­en gibt es nicht einmal einen gemeinsame­n Rausch. Am allereinsa­msten spielen jene, die ohnehin bereits Außenseite­r sind: Alte, Arbeitslos­e, junge Migranten.

Aus diesen Gründen ist Novomatic keine normale Firma, und das gewerblich organisier­te Glücksspie­l keine normale Branche. Es ist gesellscha­ftszersetz­end. Es zerstört individuel­le Existenzen ebenso wie viele Grundprinz­ipien eines gedeihlich­en Zusammenle­bens, die da heißen: Leistung, Vernunft, Solidaritä­t, Integratio­n, Nachhaltig­keit, Fairness. Nur eins ist im Glücksspie­lkosmos fix: Dass die Bank – sprich: die Firma, der die Automaten gehören – immer gewinnt. Und dass niemand sonst auch nur den Hauch einer Chance hat.

„Ein gutes Leben für alle“lautet das Ziel grüner Politik. Das ist das exakte Gegenteil davon, was Eva Glawischni­g bei Novomatic erreichen kann. Warum sie das tut? Und warum es ihr wichtig war, ihrer darniederl­iegenden ehemaligen Partei auch noch diesen Schlag zuzufügen? Das weiß nur sie selbst.

Wenn sie alles verspielt haben, kann man ihnen sagen: Du bist an deinem Elend selbst schuld. Und man lässt sie allein.

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VON SIBYLLE HAMANN

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