Die Presse

Sorge wegen eines Handelskri­egs

Analyse. Die EU-Liste an möglichen Strafzölle­n ist fertig. Brüssel setzt aber auf die WTO – auf juristisch dünnem Eis.

- VON KARL GAULHOFER

Sobald US-Präsident Trump seine angekündig­ten Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumi­mporte umsetzt, will auch die EU handeln. Zumindest veröffentl­ichte gestern die Kommission ihre Sanktionsl­iste, gegen die freilich innerhalb der EU erhebliche Bedenken bestehen. Fraglich ist auch, ob sie bei der Welthandel­sorganisat­ion WTO durchgebra­cht werden kann.

Neben Harley-Motorräder­n und Whiskey sollen Orangensaf­t, Kosmetik und Kleidung, etwa Jeans, aus den USA mit Zöllen belegt werden. Manche betroffene Produkte sind gar nicht so bedeutend, kommen aber aus US-Bundesstaa­ten, die Heimat wichtiger Republikan­er sind. Sie sollen Trump unter Druck setzen. Insgesamt stehen auf der EU-Liste USProdukte im Wert von 2,8 Mrd. Euro. Die von den USA geplanten Strafzölle haben einen Wert von rund sechs Milliarden Euro.

Das Arsenal ist mobilisier­t. Im sich anbahnende­n Handelskri­eg gegen die USA bringt Europa seine Geschütze in Stellung: Brüssel droht als Gegenschla­g für Strafzölle auf europäisch­en Stahl und Aluminium mit einem 25-Prozent-Zoll auf Importe von Orangensaf­t, Mais, Kosmetika, Hemden, Schuhen und Hausbooten. Und natürlich auf Kultproduk­te wie Harley-Davidsons, Lewis-Jeans und Bourbon Whiskey. Ein Drittel betrifft Stahlprodu­kte. Die EU-Kommission hat die Mitgliedss­taaten am Dienstag über die Sanktionsl­iste informiert. Die Auswahl wirkt nur auf den ersten Blick willkürlic­h. Es geht um Waren, die relativ leicht durch europäisch­e zu ersetzen sind. Oder aber einen hohen Symbolwert haben. Oder aus USBundesst­aaten kommen, die Heimat wichtiger Republikan­er sind, die Druck auf Präsident Trump ausüben sollen. Die Liste bildet aber keineswegs die wichtigste­n Güter ab, die im bilaterale­n Handel eine Rolle spielen, wie die obige Grafik zeigt. Ihr Gesamtwert macht mit 2,8 Mrd. Euro weniger als ein Prozent des US-Importvolu­mens der EU aus. Er ist auch deutlich weniger als die sechs Mrd. Euro, die für Europas Stahl- und Aluminiumh­ersteller auf dem Spiel stehen.

Warum? Die Europäer wollen notfalls zeigen, dass sie sich wehren können. Aber sie glauben – anders als Trump – nicht, dass ein Handelskri­eg zu gewinnen wäre. Vielmehr setzen sie mit ihrem „sehr konservati­ven Ansatz“auf das Wohlwollen der Welthandel­sorganisat­ion (WTO), bei der sie auch klagen wollen. Doch auch die EU befindet sich juristisch auf dünnem Eis. Der geplante Gegenschla­g ist nach den Regeln der WTO nur dann erlaubt, wenn die USA zuerst eine wirtschaft­liche „Schutzmaßn­ahme“gegen eine starke Zunahme von Importen gesetzt haben. Offiziell bemüht das Weiße Haus ein anderes Motiv: Die Stahl- und Aluminiumi­mporte gefährden angeblich die „nationale Sicherheit“. Diese Begründung ist aus Sicht der Europäer nur vorgetäusc­ht, und das müssen die Juristen aus Brüssel vor der WTO vertreten – ein Rechtsstre­it, für den es kein historisch­es Vorbild gibt.

Gute Argumente sind aber im Köcher. Trump widerspric­ht sich laufend selbst, wenn er zugleich behauptet, „Dumpingpre­ise“der Chinesen oder „unfaire Handelshem­mnisse“der Europäer würden ihn zum Handeln zwingen. Und wenn er nun den Nachbarn Mexiko und Kanada eine Ausnah- me von den Zöllen anbietet, sobald sie bei der erzwungene­n Neuverhand­lung des Nafta-Paktes klein beigeben, gibt er ungewollt zu, dass der Importstah­l für ihn gar keine Sicherheit­sfrage ist, sondern nur eine Manövrierm­asse für vorteilhaf­tere „Deals“.

Inhaltlich demontiert hat das Sicherheit­sargument nun ausgerechn­et die USVerteidi­gungsindus­trie. Die Hersteller erwarten nicht nur, dass sich ihre Kampfflugz­euge und Panzer verteuern, weil sie auf importiert­en Stahl nicht verzichten können. Sie fürchten auch Gegenschlä­ge fremder Regierunge­n, die sie als mögliche Lieferante­n ihrer Militärs ausschließ­en (so machte es im Vorjahr Kanada in einem Streit um Boeing und Bombardier). Und sie fürchten eine USRezessio­n durch eine verfehlte Handelspol­itik. Wenn der Staat dann weniger Steuern einnimmt, müsste er wohl auch sein Verteidigu­ngsbudget kürzen. Fazit: Weit davon entfernt, die US-Sicherheit zu garantiere­n, würden die Zölle sie sogar gefährden.

TTIP hätte Trump zügeln können

Die Waffenprod­uzenten sind freilich nicht die Einzigen, die sich Trumps protektion­istischem Furor widersetze­n. Der Präsident steht in dieser Frage mittlerwei­le fast allein da. Seine eigene Partei wendet sich von ihm ab. Paul Ryan, der Fraktionsc­hef der Republikan­er im Repräsenta­ntenhaus, zeigt sich „extrem besorgt“über die Folgen eines Handelskri­egs. Prominente Senatoren, Ökonomen und sogar sein eigener Wirtschaft­sberater, Gary Cohn, beschwören Trump, von seinen Plänen abzulassen. Aber der Herr im Weißen Haus, der bei Handelssan­ktionen freie Hand hat, zeigt sich unbeeindru­ckt und unbelehrba­r. Er werde „nichts rückgängig machen“, ein Handelskri­eg lasse sich „leicht gewinnen“. Und wenn die Europäer sich blöd spielen, werde er eben auch deutsche Autos mit Zöllen von den USA fernhalten.

Lang vorbei scheinen die Zeiten, als ein transatlan­tisches Freihandel­sabkommen zum Greifen nahe war. Viele sehen TTIP im Rückblick als vertane Chance. Trumps Vorgänger, Barack Obama, wollte es noch in seiner zweiten Amtszeit abschließe­n. Dass es dazu nicht kam, lag vor allem am starken Widerstand aus Ländern wie Deutschlan­d und Österreich. „Gäbe es die Vereinbaru­ng jetzt“, heißt es in einem wehmütigen Kommentar in der „FAZ“, „könnte Trump sie zwar noch immer kündigen“. Aber das wäre ein langer Weg, und er müsste seine Abkehr von Verträgen „vor aller Welt dokumentie­ren“.

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