Europas Mitschuld am Handelskrieg
Analyse. TTIP würde Donald Trumps protektionistische Politik zumindest abmildern. Nun aber eskaliert der Konflikt. Die EU kündigt Revanchezölle oder Klagen an.
Es ist wie die Schubumkehr in Flugzeugen. Statt Energie für mehr wirtschaftliches Wachstum auf beiden Seiten des Atlantiks aufzuwenden, fließt die Energie nun in einen Bremseffekt: Statt mit dem Freihandels- und Investitionsabkommen TTIP eine Basis für den ungehinderten Handel und für neue Arbeitsplätze zu schaffen, steuern die USA und die EU in Richtung eines Handelskriegs.
„Wenn TTIP ein gutes Abkommen geworden wäre, hätten wir eine Basis, auf der solche gegenseitige Maßnahmen schwieriger getroffen würden“, ist Markus Beyrer, Generaldirektor des wichtigsten Industrieverbands in Brüssel, Businesseurope, überzeugt. Allerdings verweist er auf die Unberechenbarkeit des amtierenden US-Präsidenten, Donald Trump, der auch eine Neuverhandlung bestehender Handelsabkommen wie Nafta angekündigt hat.
Die Ironie der Geschichte ist: Vor knapp zwei Jahren hat die Obama-Administration noch vehement auf einen Abschluss der TTIP-Verhandlungen mit der EU vor den Neuwahlen in den USA gedrängt. Chefverhandler Michael Froman rief die Europäer zu mehr Entschlossenheit auf. In der EU machte sich aber wegen wachsender Proteste eine politische Unsicherheit breit. Mehrere Regierungen – darunter die deutsche und österreichische – setzten auf Abwarten.
TTIP hätte mit großer Wahrscheinlichkeit einen der Gründe für Trumps Groll gegen die Europäer, eine zehnprozentige Steuer auf Kraftfahrzeuge, beseitigt – freilich im Gegenzug für US-Zugeständnisse an die Europäer. Trump führt diesen Zoll auf US-Autos heute als Beweis für eine unausgewogene Han- delsbalance an, verschweigt aber, dass die EU-Autoindustrie mittlerweile mehr Fahrzeuge in Fabriken in den USA herstellt, als sie dorthin exportiert.
Statt mit TTIP eine Balance herzustellen, eskaliert nun die Lage. Die EU-Kommission hat am Mittwoch ihre Gegenmaßnahmen für die von Trump angekündigten Strafzölle auf Stahl (25 %) und Aluminium (10 %) angekündigt. Wie erwartet empfiehlt sie für den Fall einer Umsetzung dieser Maßnahmen entweder Revanchezölle auf zahlreiche Produkte von Erdnussbutter über Jeans und Bourbon bis hin zu Motorrädern von Harley-Davidson. Als Alternative kündigte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström eine Klage bei der Welthandelsorganisation (WTO) an.
Insgesamt würden die EUGegenmaßnahmen US-Importe im Umfang von rund 2,8 Milliarden Euro betreffen. Das ist etwa die Hälfte der Auswirkungen von Trumps Strafzöllen im europäischen Stahl- und Aluminiumsektor.
„Das ist eine sehr besonnene Reaktion“, sagt Beyrer im Gespräch mit der „Presse“. Es hätte keinen Sinn, die Spannungen noch weiter zu fördern. Denn Wirtschaftsvertreter auf beiden Seiten warnen bereits vor schwerwiegenden Folgen. Der US-Fahrzeughersteller Ford etwa rechnet wegen der höheren Preise für Stahl und Aluminium mit Preiserhöhungen, die nicht nur Verbraucher belasten würden, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Unternehmen.
Schlechte Erfahrungen
Die EU und die USA haben bereits schlechte Erfahrungen mit Strafzöllen gemacht. 2002 erließ der damalige US-Präsident, George W. Bush, Zölle auf Stahl- und Aluminiumprodukte, um die eigene US-Industrie zu stützen. Die Folge war ein Wertverlust des Dollar. In den USA vernichtete die protektionistische Maßnahme laut einer USStudie rund 200.000 Arbeitsplätze. Aber auch in Europa kam es zu Umsatzeinbußen in Milliardenhöhe.
Damals löste sich der Konflikt durch eine erfolgreiche Kla- ge der EU und weiterer Staaten bei der WTO auf. Ob diese Option auch diesmal Wirkung zeigt, ist fraglich. Denn die WTO ist geschwächt. Und Präsident Trump ist daran nicht unbeteiligt: Er hat nicht nur mit einem Austritt der USA gedroht, sondern blockiert auch die Bestellung neuer Handelsrichter. Deshalb kommt es bereits zu einem Rückstau bei Verfahren.