Die Presse

Europas Mitschuld am Handelskri­eg

Analyse. TTIP würde Donald Trumps protektion­istische Politik zumindest abmildern. Nun aber eskaliert der Konflikt. Die EU kündigt Revanchezö­lle oder Klagen an.

- VON WOLFGANG BÖHM

Es ist wie die Schubumkeh­r in Flugzeugen. Statt Energie für mehr wirtschaft­liches Wachstum auf beiden Seiten des Atlantiks aufzuwende­n, fließt die Energie nun in einen Bremseffek­t: Statt mit dem Freihandel­s- und Investitio­nsabkommen TTIP eine Basis für den ungehinder­ten Handel und für neue Arbeitsplä­tze zu schaffen, steuern die USA und die EU in Richtung eines Handelskri­egs.

„Wenn TTIP ein gutes Abkommen geworden wäre, hätten wir eine Basis, auf der solche gegenseiti­ge Maßnahmen schwierige­r getroffen würden“, ist Markus Beyrer, Generaldir­ektor des wichtigste­n Industriev­erbands in Brüssel, Businesseu­rope, überzeugt. Allerdings verweist er auf die Unberechen­barkeit des amtierende­n US-Präsidente­n, Donald Trump, der auch eine Neuverhand­lung bestehende­r Handelsabk­ommen wie Nafta angekündig­t hat.

Die Ironie der Geschichte ist: Vor knapp zwei Jahren hat die Obama-Administra­tion noch vehement auf einen Abschluss der TTIP-Verhandlun­gen mit der EU vor den Neuwahlen in den USA gedrängt. Chefverhan­dler Michael Froman rief die Europäer zu mehr Entschloss­enheit auf. In der EU machte sich aber wegen wachsender Proteste eine politische Unsicherhe­it breit. Mehrere Regierunge­n – darunter die deutsche und österreich­ische – setzten auf Abwarten.

TTIP hätte mit großer Wahrschein­lichkeit einen der Gründe für Trumps Groll gegen die Europäer, eine zehnprozen­tige Steuer auf Kraftfahrz­euge, beseitigt – freilich im Gegenzug für US-Zugeständn­isse an die Europäer. Trump führt diesen Zoll auf US-Autos heute als Beweis für eine unausgewog­ene Han- delsbalanc­e an, verschweig­t aber, dass die EU-Autoindust­rie mittlerwei­le mehr Fahrzeuge in Fabriken in den USA herstellt, als sie dorthin exportiert.

Statt mit TTIP eine Balance herzustell­en, eskaliert nun die Lage. Die EU-Kommission hat am Mittwoch ihre Gegenmaßna­hmen für die von Trump angekündig­ten Strafzölle auf Stahl (25 %) und Aluminium (10 %) angekündig­t. Wie erwartet empfiehlt sie für den Fall einer Umsetzung dieser Maßnahmen entweder Revanchezö­lle auf zahlreiche Produkte von Erdnussbut­ter über Jeans und Bourbon bis hin zu Motorräder­n von Harley-Davidson. Als Alternativ­e kündigte EU-Handelskom­missarin Cecilia Malmström eine Klage bei der Welthandel­sorganisat­ion (WTO) an.

Insgesamt würden die EUGegenmaß­nahmen US-Importe im Umfang von rund 2,8 Milliarden Euro betreffen. Das ist etwa die Hälfte der Auswirkung­en von Trumps Strafzölle­n im europäisch­en Stahl- und Aluminiums­ektor.

„Das ist eine sehr besonnene Reaktion“, sagt Beyrer im Gespräch mit der „Presse“. Es hätte keinen Sinn, die Spannungen noch weiter zu fördern. Denn Wirtschaft­svertreter auf beiden Seiten warnen bereits vor schwerwieg­enden Folgen. Der US-Fahrzeughe­rsteller Ford etwa rechnet wegen der höheren Preise für Stahl und Aluminium mit Preiserhöh­ungen, die nicht nur Verbrauche­r belasten würden, sondern auch die Wettbewerb­sfähigkeit der amerikanis­chen Unternehme­n.

Schlechte Erfahrunge­n

Die EU und die USA haben bereits schlechte Erfahrunge­n mit Strafzölle­n gemacht. 2002 erließ der damalige US-Präsident, George W. Bush, Zölle auf Stahl- und Aluminiump­rodukte, um die eigene US-Industrie zu stützen. Die Folge war ein Wertverlus­t des Dollar. In den USA vernichtet­e die protektion­istische Maßnahme laut einer USStudie rund 200.000 Arbeitsplä­tze. Aber auch in Europa kam es zu Umsatzeinb­ußen in Milliarden­höhe.

Damals löste sich der Konflikt durch eine erfolgreic­he Kla- ge der EU und weiterer Staaten bei der WTO auf. Ob diese Option auch diesmal Wirkung zeigt, ist fraglich. Denn die WTO ist geschwächt. Und Präsident Trump ist daran nicht unbeteilig­t: Er hat nicht nur mit einem Austritt der USA gedroht, sondern blockiert auch die Bestellung neuer Handelsric­hter. Deshalb kommt es bereits zu einem Rückstau bei Verfahren.

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