Die Presse

Wann würde sie Kopftuch tragen?

Interview. Die Vorkämpfer­in der Emanzipati­on präsentier­t am Sonntag in Wien ihr Buch „Meine algerische Familie“. Zuvor verriet sie der „Presse“ihre Eindrücke von einem tief traumatisi­erten Land und von tapferen islamische­n Frauen.

- VON NORBERT MAYER Präsentati­on im Theater in der Josefstadt am 11. März um elf Uhr: Alice Schwarzer liest aus ihrem Buch „Meine algerische Familie“. Soeben erschienen bei Kiepenheue­r & Witsch, 224 S., geb. 22,70 Euro, als E-Book 18,99 Euro.

Alice Schwarzer verriet der „Presse“ihre Eindrücke von einem tief traumatisi­erten Land und von tapferen islamische­n Frauen.

Die Presse: Seit den Neunzigerj­ahren besuchen Sie die Familie einer muslimisch­en Freundin in Algerien. Daraus ist Ihr eben erschienen­es Buch erwachsen, das Einblick in das Leben mehrerer Generation­en gibt. Was hat die Familie zu diesem raffiniert­en Gruppenpor­trät gesagt? Alice Schwarzer: „Meine Familie“ist eine sehr typische, algerische Familie: zwischen Tradition und Moderne. Die Großeltern waren noch Analphabet­en, die Großmutter hat zwei ihrer Töchter noch zwangsverh­eiratet – und die Enkelinnen tragen im Urlaub im Ausland die höchsten High Heels und die kürzesten Miniröcke. Sie sind einerseits exemplaris­ch, anderersei­ts sehr konkret. Das Buch zeigt sie ja auch auf zahlreiche­n Fotos. Darum habe ich meine Kollegin Djamila, die Deutsch kann, das Manuskript vorher lesen lassen. Sie hat grünes Licht gegeben. Meine gesamte Großfamili­e konnte bis auf Weiteres nur die Fotos bestaunen.

Warum haben Sie das Buch geschriebe­n? Ich wollte den Unterschie­d zwischen frommen Muslimen, wie es auch viele in meiner Familie sind, und fanatische­n Islamisten zeigen. Und klarmachen, dass Algerien heute ein Schlüssell­and ist, auch für Europa. Kippt diese autokratis­che Semidemokr­atie bei den Wahlen 2019 ins Chaos, kippt ganz Nordafrika – und dann schwappt die Welle direkt nach Europa.

Können Sie differenzi­eren, wie diese Generation­en zur Gleichbere­chtigung stehen? Unterschie­dlich. Djamilas Nichten haben in den „schwarzen Jahren“studiert und sind, trotz Lebensgefa­hr, Tag für Tag ohne Kopftuch zur Uni gegangen. Da hingen Plakate mit Sprüchen wie: „Frauen ohne Kopftuch schlagen wir den Kopf ab.“Einmal entkamen sie um wenige Meter einem Attentat, das ihnen galt. Ihr jüngerer Bruder, der in dieser Zeit zwischen seiner liberalen Familie und seinen fundamenta­listischen Kumpels in der Moschee zerrissen war, hat eine emanzipier­te Frau geheiratet, wünscht sich aber, dass sie das Kopftuch trägt, „freiwillig“natürlich, wie er sagt. Sie sehen, in meiner Familie ist die ganze Bandbreite vertreten. Was lässt Sie hoffen, dass der Fundamenta­lismus in Algerien nur Episode bleibt? Mit den Islamisten sind die Algerier durch. Sie haben einfach am eigenen Leib erlebt, wie diese Leute alles massakrier­en, was nicht bei drei auf den Knien ist. Aber Algerien ist aufgrund der „schwarzen Jahre“heute ein tief traumatisi­ertes Land. Viele flüchten sich in den Glauben, einen rigiden Glauben, der vorher in Algerien unbekannt war. Und die Regierung mit dem alten, kranken Präsidente­n Bouteflika an der Spitze ist abwesend. Sie geht weder die ökonomisch­en Probleme an, noch führt sie offene politische Debatten. Die Algerier sind entspreche­nd resigniert. Was gefährlich ist, denn 2019 sind Wahlen. Wir müssten also dringend unsere wirtschaft­lichen Beziehun- gen zu Algerien intensivie­ren und die wahren demokratis­chen Kräfte unterstütz­en.

Hat Ihre algerische Familie zur Silvestern­acht in Köln eine Meinung? Was wird von diesen gewaltbere­iten Jugendlich­en gehalten, die offenbar vor allem aus den Slums von Algier nach Europa gekommen sind? Die Ansichten sind unterschie­dlich. Die meisten wollen es nicht wahrhaben, gucken weg, schämen sich. Eine Minderheit erkennt: Das sind frustriert­e, in den Moscheen verhetzte junge Männer, die wegen ihrer Perspektiv­losigkeit nach Europa gegangen sind, die traditione­lle Frauenvera­chtung im Gepäck. Nicht nur in meiner Familie bewundern restlos alle die deutsche Kanzlerin – aber niemand versteht ihre „Naivität“, wie sie sagen, in der Flüchtling­sfrage.

Der Islam wird hierzuland­e gern auf die Kopftuchfr­age reduziert. Sie eignet sich dazu auch optimal, weil es um Macht geht, um ein Symbol der Unterdrück­ung. Wie sieht das Ihre algerische Familie? Einerseits wird das Kopftuch toleriert, eine von Djamilas Schwestern, die liebenswür­dige Akila, trägt Kopftuch. Seit den Neunzigerj­ahren, aus Angst. Anderersei­ts wird es von den Frauen der Familie strikt als „Unterdrück­ungsinstru­ment“abgelehnt. Wie von vielen Algerierin­nen, auch gläubigen.

Gibt es Situatione­n, in denen Sie in solch einem Land ein Kopftuch tragen würden? Ja. In Lebensgefa­hr.

Sehen Sie in Bundeskanz­lerin Angela Merkel eine Verbündete? In welchem Punkt?

Als konkretes politische­s Beispiel für erfolgreic­he Emanzipati­on. Merkel hat allein durch ihre Existenz und auch mit der in ihrer Verantwort­ung gemachten Frauenpoli­tik viel zum Fortschrit­t der Emanzipati­on beigetrage­n. In Fragen des politisier­ten Islam allerdings pflegt sie eine mir unverständ­liche Ignoranz. Bis heute unterschei­det sie nicht zwischen dem Islam als Glauben und dem Islamismus als politische­r Machtstrat­egie und redet bei beiden von „Religion“. Genau das ist übrigens eines der Hauptprobl­eme bei ihrem zum Teil zu Recht kritisiert­en Umgang mit dem Flüchtling­sproblem. Sie solidarisi­ert sich mit der Minderheit der Vertreter der rückständi­gen bis islamistis­chen, scharia-gläubigen Verbände – statt mit der Mehrheit der aufgeklärt­en Musliminne­n und Muslime.

Wer sind dazu also Ihre größten Gegner? Meine größten Gegner sind die schariaglä­ubigen Muslime und ihre beflissene­n, oft auch linken Sympathisa­nten.

Müssen Sie in reiferem Alter auch über manche Tollheiten der Emanzipati­on lachen, die vor 40, 50 Jahren abgingen? Nun, ich bin nicht für alle Torheiten des Feminismus verantwort­lich, sondern nur für das, was ich und „Emma“geschriebe­n oder getan haben. Und da bin ich relativ in Frieden mit mir. Eine gewisse Radikalitä­t ist ja auch der Zeit geschuldet. Wir sind damals gegen verschloss­ene Türen gerannt – und nicht zum Sektempfan­g zum Frauentag ins Rathaus eingeladen worden.

 ??  ??
 ?? [ Imago] ?? „Mit den Islamisten sind die Algerier durch“, sagt Alice Schwarzer, Gründerin der Zeitschrif­t „Emma“.
[ Imago] „Mit den Islamisten sind die Algerier durch“, sagt Alice Schwarzer, Gründerin der Zeitschrif­t „Emma“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria