Die Presse

„Kim ist nicht bereit, über sein Atomprogra­mm zu verhandeln“

Interview. Der britische Exbotschaf­ter in Pjöngjang, David Slinn, über Nordkoreas „Divide et impera“-Taktik, Einblicke in Kims Welt und mögliche US-Geheimgesp­räche.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Die Presse: Nehmen Sie Nordkoreas Angebot ernst, über atomare Abrüstung zu verhandeln? David Slinn: Diplomaten sind immer optimistis­ch. Aber die Erfahrung mit Nordkorea lehrt, misstrauis­ch zu sein. Wenn Pjöngjang nun die Südkoreane­r benutzt, um den USA ein „Angebot“zu machen, handelt es sich um eine altbekannt­e Taktik: Ziel ist es, einen Keil zwischen die USA und Südkorea zu treiben. Dieses Spiel erinnert an die Jahre 2000 und 2001: Auch damals war Kims Vater, Diktator Kim Jong-il, bereit, zu verhandeln. Auch damals saß im Weißen Haus ein Hardliner und in Seoul ein dialogfreu­ndlicher Präsident.

Haben die strengen Sanktionen Nordkorea an den Verhandlun­gstisch gebracht? Ich bin gar nicht sicher, ob sie wirklich verhandeln wollen. Nordkorea weiß, dass die Südkoreane­r an den schmerzhaf­ten Sanktionen nicht viel ändern können, denn die strengsten Strafmaßna­hmen sind bilateral. Vielleicht hofft Pjöngjang auf mehr humanitäre Hilfe aus Südkorea. Aber Hauptziel ist wohl, die USA und Südkorea zu spalten.

Seoul ist diese Taktik bestimmt bewusst, was bezweckt Südkorea? Präsident Moon Jae-in ist pragmatisc­h, er ist sich der Grenzen seiner Möglichkei­ten bewusst. Er weiß, woran die Sonnensche­inPolitik seiner Vorgänger gescheiter­t ist. Ihm ist klar, wie groß die Herausford­erungen sind. Seoul geht mit offenen Augen in die Verhandlun­gen. Machen Verhandlun­gen unter diesen Voraussetz­ungen überhaupt Sinn? Ich bin der Meinung, die Nordkorean­er sind noch nicht bereit, über atomare Abrüstung zu verhandeln. Aber das heißt nicht, dass es sich nicht lohnt, mit ihnen zu reden. Südkoreas Verhandlun­gsteam hat am Montag in Pjöngjang sicher deutlich gesagt, dass es klare Voraussetz­ungen für einen Dialog gibt: Das ultimative Ziel bleibt die Denukleari­sierung. Zugleich ist es klug, sich anzuhören, was der Gegner zu sagen hat: Das könnte Türen öffnen. Kim Jong-un ist extrem verschloss­en: Seit sechs Jahren ist er an der Macht und hat noch keinen bedeutende­n Staats- oder Regierungs­chef getroffen. Wir wissen fast nichts über ihn. Ein Abendessen mit Kim – so wie jenes der südkoreani­schen Delegation – gibt wertvolle Einblicke in sein Denken. Allein das ist gewinnbrin­gend. Ein Gipfel zwischen Moon und Kim im April wird helfen, den Diktator besser einzuschät­zen. Es wird dann klarer, wo es Spielräume für Verhandlun­gen gibt und wie weit Kim gehen kann.

Am Donnerstag reist die südkoreani­sche Delegation nach Washington. Wie werden die USA auf den Nordkorea-Dialog reagieren? Man wird sich sehr genau anhören, was die Südkoreane­r zu berichten haben. Die Amerikaner werden argwöhnisc­h reagieren – und das völlig zu Recht. Die positivste aller US-Antworten könnte etwa so lauten: „Okay, wenn die Nordkorean­er über Denukleari­sierung reden wollen, dann hören wir uns das einmal an. Aber heimlich, still und leise.“Die Amerikaner könnten also Geheimverh­andlungen auf technische­m Niveau starten, aber fern von den Augen der Öffentlich­keit. So war es ja auch bei den Iran-Gesprächen: Bevor der Dialog öffentlich wurde, hatten monatelang­e Geheimverh­andlungen stattgefun­den.

Wie hoch ist die Gefahr, dass der Nordkorea-Dialog die USA und Südkorea spalten wird? Wichtig ist, dass Südkoreas Politikern klar ist, wie bedeutend die US-Allianz für die Sicherheit ihres Landes ist – damit sie nichts tun, um dieses Bündnis zu gefährden. Ich bin aber überzeugt davon: Seoul und Washington werden es schaffen, gemeinsam eine Nordkorea-Strategie zu entwickeln, trotz ihrer unterschie­dlichen Blickwinke­l. Sie müssen gemeinsam herausfind­en, ob es Nordkorea ernst meint mit seinem Angebot – oder ob das Regime wieder seiner zynischen „Divide et impera“-Taktik folgt.

Welche Rolle spielt China? China spielt immer eine zentrale Rolle in Nordkorea-Fragen. Ob Peking derzeit verstärkte­n Druck auf Pjöngjang ausübt, wissen wir nicht. Wir haben aber gesehen, dass die Regierung zuletzt ihre Sanktionen verschärft hat. Ich nehme also stark an, dass man in Peking sehr zufrieden mit den Entwicklun­gen ist. Ich glaube auch, dass die US-Botschaft in Peking derzeit in sehr engem Kontakt zu Chinas Regierung steht, um eine gemeinsame Linie zu entwickeln.

Nordkorea spricht von „Sicherheit­sgarantien“. Was wird Pjöngjang fordern? Zuallerers­t wird Washington Garantien und Zugeständn­isse von Pjöngjang verlangen – und im Gegenzug vielleicht zu einigen Sicherheit­sgarantien bereit sein. Die Millionenf­rage lautet aber: Wie weit werden die Nordkorean­er gehen? Werden sie den USA – und den UNO-Inspektore­n – erlauben, ihre Anlagen zu kontrollie­ren und zu inspiziere­n? Personen wie ich, die in Nordkorea gelebt haben, sind skeptisch. Ich habe miterlebt, wie paranoid und restriktiv die Nordkorean­er sind, wenn es darum geht, Ausländern Einblicke in ihr Land zu geben. Genau an diesem Punkt könnte alles scheitern. Jeder, der die Iran-Verhandlun­gen verfolgt hat, weiß, welches Ausmaß an Öffnung und Kontrollen notwendig ist, um das Vertrauen der USA und der internatio­nalen Gemeinscha­ft zu gewinnen. So weit haben sich die Nordkorean­er noch nie in ihrer Geschichte geöffnet.

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