Die Presse

Warum unsere Uhren falsch gehen

Strom. Weil am Balkan zu wenig Strom erzeugt wird, gehen Herduhren und Radiowecke­r in ganz Europa um sechs Minuten nach. Aber Vorsicht: Wer die Uhren jetzt umstellt, macht einen Fehler.

- VON MATTHIAS AUER

Ist es schon die beginnende Frühjahrsm­üdigkeit, oder sind es die Überreste des Winterschl­afs? Seit einigen Wochen kommen viele Österreich­er in der Früh scheinbar nicht so richtig in die Gänge. Immer um fünf Minuten zu spät. Dabei hatte die Küchenuhr daheim am E-Herd doch noch einen recht komfortabl­en Zeitpolste­r versproche­n. Das ist kein Einzelschi­cksal, halb Europa läuft seit einigen Wochen der Zeit hinterher. Warum das so ist, haben jetzt die europäisch­en Stromnetzb­etreiber geklärt.

Seit Mitte Jänner verbrauche­n die Europäer mehr Strom, als ins gemeinsame Netz eingespeis­t wird, berichtet der Verbund der europäisch­en Stromnetzb­etreiber ENTSO-E (European Network of Transmissi­on System Operators for Electricit­y). Die Abweichung­en sind zwar nicht so groß, dass es zu Blackouts kommt, doch die Frequenz, mit der der Wechselstr­om durch die Leitungen fließt, sinkt. Und das verwirrt viele Radiowecke­r und andere Uhren, die am Stromnetz hängen und ihren eigenen Sekundenta­kt aus der Fre- quenz des Stromnetze­s beziehen. Üblicherwe­ise beträgt die Frequenz des Stroms 50 Hertz, also 50 Schwingung­en pro Sekunde. Wird zu wenig Strom eingespeis­t, sinkt die Frequenz im Netz – und die Sekunden verstreich­en auf elektronis­chen Uhren langsamer.

„Auch in Österreich gehen viele Uhren seit Mitte Jänner langsamer“, bestätigt ein Sprecher des Übertragun­gsnetzbetr­eibers APG. Die Ursache dafür ist ein politische­r Streit zwischen Serbien und Kosovo über Strommenge­n. Seit einigen Wochen produziere­n die lokalen Kraftwerke zu wenig Strom. Üblicherwe­ise werden dann vom Netzbetrei­ber zusätzlich­e Kraftwerke angeforder­t, um das Netz auf 50 Hertz zu halten. Im Fall von Serbien und Kosovo ist das seit einigen Wochen nicht passiert. Stattdesse­n streiten die zuständige­n Behörden darüber, wie sie ihrer gemeinsame­n Verantwort­ung nachkommen sollen.

Die direkten Auswirkung­en in Europa sind bisher dennoch relativ gering. Die Schwankung­en betrugen im Schnitt 0,1 Hertz. Erst wenn die Frequenz im Stromnetz unter 48 Hertz fällt oder über 52 Hertz steigt, drohen Blackouts. „Es gab in keinem Moment ein Problem bei der Netzstabil­ität oder der Versorgung­ssicherhei­t“, beteuert auch die APG.

Folgeschäd­en kann es dennoch geben. Gerade große elek-

trische Maschinen, wie sie etwa in der Industrie zum Einsatz kommen, können Schaden nehmen, wenn die Stromfrequ­enz zu tief oder zu hoch ist oder sich sehr schnell ändert, sagt der Schweizer Netzbetrei­ber Swissgrid. In Österreich sind allerdings keine derartigen Vorfälle bekannt. Lediglich die Uhren sollen betroffen sein.

Wer glaubt, jetzt rasch den Radiowecke­r umstellen zu müssen, irrt. Denn inzwischen ist das Problem unter Kontrolle, versichern die europäisch­en Stromnetzb­etreiber. Kosovo und Serbien seien angehalten, ihren Beitrag zu leisten, und auch die übrigen Stromnetzb­etreiber in Europa werden in den kommenden Wochen etwas mehr Energie ins Netz einspeisen, um die Frequenz künstlich zu erhöhen.

Das bedeutet auch, dass die elektronis­chen Uhren demnächst etwas schneller laufen werden, um wieder zur „richtigen“Zeit aufschließ­en zu können.

Bis Ende März sollte sich die Zeitmessun­g auch auf den elektronis­chen Küchenuhre­n wieder normalisie­rt haben. Wer seine Uhr also heute vorstellt, muss sie zu Ostern noch einmal nachjustie­ren.

An sich ist das Unterfange­n für Europas Stromnetzb­etreiber nichts Besonderes. Die Netzzeitab­weichung wird stetig ausgeglich­en. Beträgt die Zeitabweic­hung mehr als 20 Sekunden, wird die Frequenz im Netz korrigiert. Eine Verzögerun­g von knapp sechs Minuten gab es bisher aber noch nicht.

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