Warum unsere Uhren falsch gehen
Strom. Weil am Balkan zu wenig Strom erzeugt wird, gehen Herduhren und Radiowecker in ganz Europa um sechs Minuten nach. Aber Vorsicht: Wer die Uhren jetzt umstellt, macht einen Fehler.
Ist es schon die beginnende Frühjahrsmüdigkeit, oder sind es die Überreste des Winterschlafs? Seit einigen Wochen kommen viele Österreicher in der Früh scheinbar nicht so richtig in die Gänge. Immer um fünf Minuten zu spät. Dabei hatte die Küchenuhr daheim am E-Herd doch noch einen recht komfortablen Zeitpolster versprochen. Das ist kein Einzelschicksal, halb Europa läuft seit einigen Wochen der Zeit hinterher. Warum das so ist, haben jetzt die europäischen Stromnetzbetreiber geklärt.
Seit Mitte Jänner verbrauchen die Europäer mehr Strom, als ins gemeinsame Netz eingespeist wird, berichtet der Verbund der europäischen Stromnetzbetreiber ENTSO-E (European Network of Transmission System Operators for Electricity). Die Abweichungen sind zwar nicht so groß, dass es zu Blackouts kommt, doch die Frequenz, mit der der Wechselstrom durch die Leitungen fließt, sinkt. Und das verwirrt viele Radiowecker und andere Uhren, die am Stromnetz hängen und ihren eigenen Sekundentakt aus der Fre- quenz des Stromnetzes beziehen. Üblicherweise beträgt die Frequenz des Stroms 50 Hertz, also 50 Schwingungen pro Sekunde. Wird zu wenig Strom eingespeist, sinkt die Frequenz im Netz – und die Sekunden verstreichen auf elektronischen Uhren langsamer.
„Auch in Österreich gehen viele Uhren seit Mitte Jänner langsamer“, bestätigt ein Sprecher des Übertragungsnetzbetreibers APG. Die Ursache dafür ist ein politischer Streit zwischen Serbien und Kosovo über Strommengen. Seit einigen Wochen produzieren die lokalen Kraftwerke zu wenig Strom. Üblicherweise werden dann vom Netzbetreiber zusätzliche Kraftwerke angefordert, um das Netz auf 50 Hertz zu halten. Im Fall von Serbien und Kosovo ist das seit einigen Wochen nicht passiert. Stattdessen streiten die zuständigen Behörden darüber, wie sie ihrer gemeinsamen Verantwortung nachkommen sollen.
Die direkten Auswirkungen in Europa sind bisher dennoch relativ gering. Die Schwankungen betrugen im Schnitt 0,1 Hertz. Erst wenn die Frequenz im Stromnetz unter 48 Hertz fällt oder über 52 Hertz steigt, drohen Blackouts. „Es gab in keinem Moment ein Problem bei der Netzstabilität oder der Versorgungssicherheit“, beteuert auch die APG.
Folgeschäden kann es dennoch geben. Gerade große elek-
trische Maschinen, wie sie etwa in der Industrie zum Einsatz kommen, können Schaden nehmen, wenn die Stromfrequenz zu tief oder zu hoch ist oder sich sehr schnell ändert, sagt der Schweizer Netzbetreiber Swissgrid. In Österreich sind allerdings keine derartigen Vorfälle bekannt. Lediglich die Uhren sollen betroffen sein.
Wer glaubt, jetzt rasch den Radiowecker umstellen zu müssen, irrt. Denn inzwischen ist das Problem unter Kontrolle, versichern die europäischen Stromnetzbetreiber. Kosovo und Serbien seien angehalten, ihren Beitrag zu leisten, und auch die übrigen Stromnetzbetreiber in Europa werden in den kommenden Wochen etwas mehr Energie ins Netz einspeisen, um die Frequenz künstlich zu erhöhen.
Das bedeutet auch, dass die elektronischen Uhren demnächst etwas schneller laufen werden, um wieder zur „richtigen“Zeit aufschließen zu können.
Bis Ende März sollte sich die Zeitmessung auch auf den elektronischen Küchenuhren wieder normalisiert haben. Wer seine Uhr also heute vorstellt, muss sie zu Ostern noch einmal nachjustieren.
An sich ist das Unterfangen für Europas Stromnetzbetreiber nichts Besonderes. Die Netzzeitabweichung wird stetig ausgeglichen. Beträgt die Zeitabweichung mehr als 20 Sekunden, wird die Frequenz im Netz korrigiert. Eine Verzögerung von knapp sechs Minuten gab es bisher aber noch nicht.