Die Presse

Wenn Norbert Hofer Christian Kern lobt

Gibt es beim System Bahn tatsächlic­h keinen akuten Bedarf an Reformen?

- Josef.urschitz@diepresse.com

A lle Maßnahmen sind gesetzt, es gibt keinen Bedarf an Reformmaßn­ahmen“: Christian Kern und Brigitte Ederer werden sich bei diesem von Norbert Hofer gelassen ausgesproc­henen Satz zum Zustand der ÖBB wohl verwundert die Augen gerieben haben. So viel Lob des FPÖ-Verkehrsmi­nisters haben sich die beiden ehemaligen SPÖBahnlen­ker in ihren kühnsten Träumen nicht erwartet.

Tatsächlic­h müssen sie ja so ziemlich alles richtig gemacht haben, wenn der neue Oberboss so gar keinen Handlungsb­edarf erkennen kann. Die Frage ist jetzt natürlich, wieso dann die Blaufärbun­g des BahnAufsic­htsrats gar so Priorität hatte. Da wird ja am Ende nicht doch Uralt-Parteipoli­tik in Verbindung mit altbekannt­er Freunderlv­ersorgung im Spiel gewesen sein? Können wir uns gar nicht vorstellen, wo jetzt doch „neu regiert“wird!

Wie auch immer: Da die wirklich vordringli­chen Dinge erledigt sind, könnte sich der neue Verkehrsmi­nister einmal mit der seit vielen Jahren versproche­nen Verlagerun­g von Gütertrans­porten befassen. Die findet tatsächlic­h statt. Aber, wie überall in Europa, von der Schiene auf die Straße, also nicht ganz im Sinne der Erfinder.

Der Bahn-Gütertrans­port (gemessen an der beförderte­n Menge) liegt derzeit nämlich ungefähr auf dem Niveau von 2006. Klar, da liegt eine Wirtschaft­skrise dazwischen. Der Straßengüt­erverkehr hat im selben Zeitraum aber trotzdem deutlich zugenommen.

Und das, obwohl die Bahn-Infrastruk­tur seit Jahren einen ungeheuren Bauboom erlebt. Tatsächlic­h fließen zwei Drittel der Verkehrs-Infrastruk­turinvesti­tionen in die Bahn und ein Drittel in die Straße, obwohl die Straße zwei Drittel des Gütertrans­ports bewältigt. Mit steigender Tendenz.

Auch der Jahrhunder­tBauboom erzielt also nicht den gewünschte­n Verlagerun­gseffekt. Da scheint irgendwie doch mehr Handlungsb­edarf zu bestehen als nur immer höhere Infrastruk­turinvesti­tionen. N icht unbedingt nur bei den ÖBB, da hat der Minister recht. Die sind im Europaverg­leich ja relativ erfolgreic­h unterwegs. Aber bei der Verkehrspo­litik auf nationaler, vor allem aber europäisch­er Ebene. Sonst werden wir zusehen, wie die vom Ministeriu­m vorgegeben­en Ziele immer weiter in die Ferne rücken, obwohl jeder Österreich­er statistisc­h gesehen allein für die Eisenbahni­nfrastrukt­ur fast 300 Euro im Jahr abdrückt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria