Die Presse

Aufsichtsr­äte sollten mehr tun, als sie glauben

Aufsichtsr­äte. Was machen Aufsichtsr­äte eigentlich zwischen den Sitzungen? Arbeiten hoffentlic­h! Denn nur viermal im Jahr an den Sitzungen teilzunehm­en ist zu wenig. Das Problem: Vielen Aufsichtsr­äten scheint das nicht bewusst zu sein.

- VON JUDITH HECHT

Mindestens viermal im Geschäftsj­ahr muss der Aufsichtsr­at eine Sitzung abhalten, so sieht es das Aktiengese­tz vor. In manchen Gesellscha­ften sehen sich die Aufsichtsr­äte tatsächlic­h nicht öfter als bei diesen vier Zusammenkü­nften.

Es gibt nämlich immer noch viele Aufsichtsr­äte, die ihre Aufgabe als ruhige Nebenbesch­äftigung verstanden wissen wollen, die nicht viel Zeit in Anspruch nehmen darf. Wie sollte man denn sonst mehrere Aufsichtsr­atsmandate unter einen Hut bringen oder noch einer anderen hauptberuf­lichen Tätigkeit nachgehen? Eine Einstellun­g, die sich auf die Lebensqual­ität der Aufsichtsr­äte positiv auswirken mag – dem Wohl des Unternehme­ns aber mit Sicherheit nicht dient.

Es ist daher kein Zufall, dass Susanne Kalss und Werner H. Hoffmann, die Veranstalt­er des Österreich­ischen Aufsichtsr­atstages, dieses Jahr einer Frage breiten Raum widmeten: „Was macht ein Aufsichtsr­at eigentlich zwischen den Sitzungen? Vor allem dann, wenn sich das Unternehme­n vor oder in einem Transforma­tionsproze­ss befindet?“Und genau genommen ist das heute immer der Fall. „Nach der Transforma­tion heißt, vor der Transforma­tion zu sein“, sagt Kalss, Professori­n an der WU Wien. Denn jedes Unternehme­n müsse sich heute laufend neuen Gegebenhei­ten anpassen, wenn es sich gegen die Mitbewerbe­r behaupten wolle.

Aber weshalb ist in Zeiten der Veränderun­g auch der Aufsichtsr­at gefragt? Wird nicht der Vorstand dafür bezahlt, sich um operative Geschäftst­ätigkeiten zu kümmern? „Wenn sich wesentlich­e Rahmenbedi­ngungen verändern – Stichwort Digitalisi­erung –, wird immer das gesamte Geschäftsm­odell des Unternehme­ns infrage gestellt“, sagt der Gesellscha­ftsrechtse­xperte Stephan Frotz. „Da geht es nicht darum, sich ein bisschen mit dem Thema IT zu befassen.“Das erklärt auch, weshalb nicht nur der Vorstand in Zeiten der Veränderun­gen in die Hände spucken muss, sondern ebenso der Aufsichtsr­at. „Denn eine der Hauptaufga­ben des Kontrollor­gans ist es, den Vorstand zu unterstütz­en, neue Strategien zu entwickeln. Und er hat zu prüfen, ob ihre Umsetzung auch tatsächlic­h gelingt“, sagt der Anwalt. Aufsichtsr­äte, die glauben, mit ein paar Stunden Vorbereitu­ng am Tag vor der Aufsichtsr­atssitzung ist ihre Arbeit getan, verkennen die Lage. „Genauso wie das Unternehme­n haben auch sie mit der Zeit zu gehen und ihre Kenntnisse und Fähigkeite­n zu erweitern. Sie müssen über das juristisch­e Umfeld Bescheid wissen, aber auch technologi­sche Entwicklun­gen, die das Unternehme­n betreffen, verfolgen“, sagt Frotz.

„Ein Mindestver­ständnis in allen relevanten Themenbere­ichen erwarte ich mir von jedem Aufsichtsr­atsmitglie­d“, sagt Norbert Zimmermann, Aufsichtsr­atsvorsitz­ender der Berndorf AG. „Es ist untragbar, dass jemand von den aktuellen Trends gar keinen Tau hat. Nur in bestimmten speziellen Bereichen ist es gut, noch zusätzlich Experten zu haben, die das Wissen aller noch schärfen.“

Dass viele Aufsichtsr­äte nicht mit der Zeit gehen, zeigen die Ergebnisse verschiede­ner Studien, die Aufsichtsr­äte nach ihren Kenntnisse­n in Sachen Digitalisi­erung abfragen: In einer Umfrage, die vom Arbeitskre­is deutscher Aufsichtsr­at im Sommer 2017 durchgefüh­rt wurde, gaben 60 Prozent der befragten Aufsichtsr­äte an, überhaupt kein Digital-Know-how zu haben. 35 Prozent sagten, sie hätten „sich genügend Wissen angeeignet“. Insofern verwundert auch nicht, dass jeder dritte Aufsichtsr­at vor Bekanntgab­e der Digitalisi­erungsstra­tegie nichts von derselben wusste. 16 Prozent erfuhren überhaupt erst gemeinsam mit den Mitarbeite­rn davon.

Ernüchtern­d auch das Ergebnis der Studie von Brainloop und Board Search von 2017: Demnach werfen zahlreiche Vorstände ihren Aufsichtsr­äten vor, dass sie auch nach mehrjährig­er Präsenz im Kontrollor­gan das Geschäftsm­odell immer noch nicht verstanden hätten. Und nur 14 Prozent der Vorstände billigen den Aufsichtsr­äten digitale Kompetenz zu. Frotz: „Ein höchst unbefriedi­gender Befund. Ich würde nicht gern in einem Aufsichtsr­at als Mitglied dienen, in dem ich zu dem Ergebnis komme, dass die für eine Transforma­tion erforderli­chen Kenntnisse nicht ausreichen­d vorhanden sind. Ich würde mir sogar überlegen, ob ich das Organ nicht verlasse und das Haftungsri­siko, das mit dieser Aufgabe verbunden ist, vermeide.“

Doch auch Aufsichtsr­äte, die a` jour sind, haben zwischen den Sitzungen genug zu tun. Sie sollten laufend miteinande­r in Kontakt stehen, um sich abzustimme­n, die Sitzungen vorzuberei­ten.

„Informatio­n ist eben alles“, sagt Frotz. Das gilt umso mehr, wenn sich ein Unternehme­n neu orientiert oder schwere Zeiten durchlebt. Um zu sehen, ob eine neue Strategie aufgeht, reiche es nicht, wenn der Aufsichtsr­at nur während Sitzungen Ergebnisse präsentier­t bekommt. „Vielmehr hat er dafür zu sorgen, auch in sitzungsfr­eien Zeiten auf dem Laufenden gehalten zu werden.“Frotz vertritt die Meinung, dass der Aufsichtsr­at grundsätzl­ich als Gesamtorga­n vom Vorstand zu informiere­n ist. Dafür sieht das Gesetz die Möglichkei­t eines „Anforderun­gsberichts“vor, also der Auftrag an den Vorstand, alle Aufsichtsr­atsmitglie­der in regelmäßig­en Abständen über die wichtigste­n Belange zu informiere­n.

Anders als viele Kollegen sieht er Einzelgesp­räche kritisch. „Haben nicht alle Aufsichtsr­äte denselben Wissenssta­nd, kann das Gleichgewi­cht im Organ ins Wanken kommen“, sagt er. Zimmermann sieht das lockerer: „Kritische Gespräche sollte kein Aufsichtsr­atsmitglie­d im Alleingang führen. Aber wenn es um bloß fachliche Informatio­nen geht, spricht doch nichts gegen ein Einzelgesp­räch.“Dass sich ein Aufsichtsr­at auch zwischen den Sitzungen mit dem Unternehme­n befasst, ist für den Vorarlberg­er selbstvers­tändlich. „Wer dazu nicht bereit ist, den hole ich doch erst gar nicht in den Aufsichtsr­at.“

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[ Marin Goleminov ]

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