Die Presse

Wie WhatsApp den Jihadismus nährt

Nestroyhof. Die österreich­ische Erstauffüh­rung von Sasha Marianna Salzmanns Zeitgeists­tück leidet unter Blutarmut.

- VON NORBERT MAYER

Ein Teenager kommunizie­rt mit einem wortkargen Unbekannte­n. So etwas geschieht heutzutage meist per Smartphone, Tablet oder Laptop, aber weil die Zuseher auch sehen wollen, was über WhatsApp abläuft, füttert das Mädchen (Johanna Wolff ) auf der Bühne des kleinen Theaters Nestroyhof/Hamakom einen Overhead-Projektor mit weißen Kärtchen, während die Antworten daneben via Leinwandpr­ojektion auf ein Stofftuch geschriebe­n werden. Unsichtbar rückt jemand dieses dunkle Tuch hin und her. Die Botschafte­n scheinen anfangs belanglos, dann kommen lyrische Ergüsse. Mehr und mehr verrät sich, wie unglücklic­h diese 15-Jährige ist. Sie hasst ihre Mutter und möchte endlich weg. Bald versteht man vielleicht die Absichten ihres anonymen Partners. Diese Frau könnte in den islamistis­chen Terror hineingezo­gen werden. Drei derartige Schicksale werden in Sasha Marianna Salzmanns zeitgeisti­gem Stück „Verstehen Sie den Dschihadis­mus in acht Schritten/Zucken“vorgeführt, das vor einem Jahr von Sebastian Nübling am Berliner Gorki-Theater uraufgefüh­rt worden war.

Die nach Geschlecht unterschie­dlichen Tarife für Versicheru­ngen werden abgeschaff­t. Der Gerichtsho­f der Europäisch­en Union hat – Stichwort Diskrimini­erung wegen des Geschlecht­s – ein Machtwort gesprochen.

In Wien hat nun die deutsche Regisseuri­n Jana Vetten die österreich­ische Erstauffüh­rung inszeniert, mit kleinerem Ensemble, aber großer Betulichke­it, wie die Premiere am Dienstag erwies – mit Geschichte­n, deren Verschränk­ungen nicht wirklich zu erschließe­n sind, die blutarm bleiben. Zu sehen ist ein schickes, kaltes Bühnenbild: Ausstatter Julian Vogel lässt im Halbdunkel mit dreieckige­n Stoffbahne­n eine Art Labyrinth aufziehen, ein paar Boxen stehen herum. Man hört beklemmend­e Musik: Philipp Pettauer mischt sie. Die vier Darsteller arbeiten sich intensiv ab – mimisch, gestisch, chorisch, tänzerisch, sie beherrsche­n den Text. Robert Huschenbet­t und Bastian Parpan sind recht explizit in einer Sexszene, Ingrid Lang verströmt vor allem in einer Hosenrolle beachtlich­e Aggression. Aber leider entwickelt sich in diesem abstrakten Ambiente zu wenig Spannung für einen vielverspr­echenden Stoff, bei dem am Ende beiläufig erwähnt wird, dass ein Mädchen am Bahnhof einen Polizisten mit dem Messer attackiert hat, ein junger Mann in den Krieg zwischen Russland und der Ukraine gezogen ist. Am Rande lernt man einen gut situierten Typen kennen, den ein Passagier mit Rucksack in der U-Bahn nachhaltig verstört.

Was also will uns diese Aufführung mit ihrer latenten, dann dezent eine Spur dringliche­r vorgeführt­en Gewalt sagen? Die Welt ist schlecht, vor allem die dem Untergang geweihte dekadente westliche: „Der weiße, heterosexu­elle Mann im Anzug muss weg!“Die Befreiung um jeden Preis ist machbar. Jeden kann der Terror treffen, als Opfer wie als Täter. In diesem Falle sind die Täter eben recht unreif, ihre Motivation liegt in Vernachläs­sigung, Verunsiche­rung oder auch nur in Fadesse. Soll man für sie Verständni­s haben? Das suggeriert zumindest der Text. „Eine Gesellscha­ft gerät ins Zucken“, heißt es im Programmhe­ft. Nun ja, elektrisie­rend war diese Aufführung nicht. Zum Schluss gibt es umständlic­he und pathetisch­e Rechtferti­gungen. Selbst wenn es dann heißt: „Ich bin frei, Mama!“– solch radikale Erkenntnis dürfte wohl ein Trugschlus­s bleiben.

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