Lieder aus den bösen Zwanziger- und Fünfzigerjahren
Tim Fischer, Meister des deutschen Chansons, war im Theater Akzent.
Mit seinem zwischen Emotion und Sarkasmus pendelnden Gesang, mit seinem hochartifiziellen Habitus, ist Chansonnier Tim Fischer eine Lichtgestalt des Entertainments im deutschen Sprachraum. Wie Max Raabe liebt er den Zeitgeist der Weimarer Republik. Doch während Raabe sich eher an die humoristisch ausbeutbaren Lieder jener Ära hält, lässt Fischer sein flexibles Falsett vorzugsweise durch die finsteren Winkel des menschlichen Herzens flanieren. Von den alten, bösen Liedern – die kunstvoll verdecken, dass sie nur Gutes bewirken wollen – brachte Fischer an diesem Abend etwa die BrechtVertonungen „Mutter Beimlein“und „Die Legende der Dirne Evlyn Roe“.
Maliziös und doch im Dienste eines Humanismus waren auch die Lieder von Friedrich Hollaender, der mit hintergründigen Schlagern für Marlene Dietrich weltbekannt wurde. Fischer aber konzentrierte sich auf die Lieder, die Hollaender für Blandine Ebinger komponiert hat. Besonders ergreifend war das berlinernde „Wenn ick mal tot bin“(1929), das dem eigenen Ableben kess Freiheitsoptionen („Da fällt die Schule aus“) andichtete. Mit munterer Mädchenstimme resümierte Fischer schließlich: „Wenn ick mal tot bin, ist mein schönster Tag. Wenn ick mal tot bin, dann fängt mein Leben erst an.“
Souverän karikierte er Fünfzigerjahre-Schlager, kitzelte die Bosheit aus Georg-Kreisler-Liedern hervor, sang von großen, weißen und von großen, schwarzen Vögeln. Ein besonderes Gustostückerl war das derb-erotische „Freitag im Hotel“aus der Feder von Filmemacher Rainer W. Fassbinder. Jacques Brels „Das allerletzte Glas“(„Le dernier repas“), das einst auch von Michael Heltau geherzt wurde, sollte, ja musste auch bei Fischer Anlass für neue Saufereien sein. Im dunklen Melos seiner Stimme erfuhr die Lebenslust eines Verzweifelten hier beklemmende Resonanz.