In Guillermo del Toros Kinolabyrinth
Film. Nach dem Triumph seines Fantasy-Märchens „The Shape of Water“in Venedig und bei den Oscars steht der mexikanische Regisseur Guillermo del Toro im Zenit seines Erfolgs. Das Wiener Gartenbaukino widmet ihm eine Werkschau.
Es war einmal vor gar nicht allzu langer Zeit ein kleiner, neugieriger Bub aus Guadalajara, Mexico. Seine ganze Leidenschaft galt den Dingen, die gewöhnliche Menschen als Kinderkram und Hirngespinst abtun – oder auf dem Dachboden ihres Bewusstseins verstauben lassen: dem Unheimlichen und Unglaublichen, dem Grotesken und Geheimnisvollen, Monstern, Märchen und morbiden Mythen, fremden Welten und fantastischen Fabelwesen. Nachts träumte er von Feen und Faunen, Vampiren und Werwölfen, Geistern und Dämonen – doch sie machten ihm keine Angst, sie gaben ihm neuen Mut. Und nichts wünschte sich der Bub sehnlicher, als diese Träume Wirklichkeit werden zu lassen – und ihren Bewohnern Leben einzuhauchen.
Der Name des Buben lautete Guillermo del Toro – und sein Wunsch ging in Erfüllung. Heute ist er ein renommierter Regisseur und steht als Bannerträger kunstvoller Kinofantastik im Zenit seines Erfolgs. Del Toros erwachsenes Fantasy-Märchen „The Shape of Water“gewann vergangenen Sonntag den Oscar für den besten Film. Der mittlerweile 53-Jährige ist sich der Symbolwirkung des Triumphs bewusst: Die Faszination für das Fantastische mag im Mainstream angekommen sein, doch abseits sozial sanktionierter Popkultur-Monolithen wie „Herr der Ringe“oder „Game of Thrones“gilt sie nach wie vor als spleenige Außenseiterangelegenheit. Wie schon bei den Filmfestspielen von Venedig, wo „The Shape of Water“im Herbst den Hauptpreis einheimste, ermunterte del Toro in seiner Oscar-Dankesrede junge Filmemacher, Welt und Gesellschaft mit den Mitteln des Genrekinos zu reflektieren.
Del Toro hat sich im Lauf der letzten dreißig Jahre zum inoffiziellen Schutzpatron dunkler, avancierter Leinwand-Fantasy hochgearbeitet. Wo Quentin Tarantino Action- und Exploitation-Konfektionen aus der VideothekenWühlkiste auf Hochglanz poliert, rückt er Versatzstücke aus B-Movies, HorrorComics und klassischen Sagen mit Liebe und Sorgfalt in ein respektableres Großbudgetlicht – und drückt ihnen dabei seinen unverkennbaren Stilstempel auf. Dank Detailversessenheit und dichter Atmosphäre sind seine Arbeiten wie gemacht für die Wuchtleinwand des Ehepartner können ihre
beibehalten; führen Eltern keinen gemeinsamen Familiennamen, können sie bestimmen, wie das Kind heißen soll. Wiener Gartenbaukinos, das del Toro vom 9. bis zum 22. eine Werkschau widmet.
Schon sein mexikanisches Langfilmdebüt „Cronos“– in dem ein alter Antiquitätenhändler wider Willen zum Blutsauger wird – verblüfft mit der eleganten Verquickung eines berührenden Dramas über Vergänglichkeit mit mythologisch unterfüttertem Grusel. Dessen Hauptrequisit verdeutlicht eine Kernqualität von del Toros Kino: Plastizität. Der Vampirismus entspringt einem arabesken Goldskarabäus, den man trotz unheilvoller Aura bestaunen, ja anfassen möchte. Das Grauen ist immer auch schön, es bezirzt wie ein Fetisch, ein Totem. Del Toro legt bei jedem Ausstattungsaspekt Wert auf Einzigartigkeit, entwirft vieles selbst; besonders die Monster in seinen Filmen – etwa die Titelgestalt aus „Pans Labyrinth“(„El laberinto del fauno“) – zeugen von unbändiger Einbildungskraft.
Wenn es um Ästhetik geht, macht der kulturelle Allesfresser keinen Unterschied zwischen Pulp und Hochkultur, Nerddomänen und den Wundern der Natur. Seine Einflüsse reichen von Delacroix bis Dracula, von Tierdokus bis zum „Schrecken vom Amazonas“, dessen Wasserwesen den Look des Amphibienmanns in „Shape of Water“inspirierte (das Gartenbaukino zeigt den Horrorfilmklassiker als Ergänzung der Schau in 3-D). Und obwohl del Toro moderne Digitaleffekte nicht scheut, weiß er doch um den Charme und das spürbare Gewicht eines Ungeheuers aus Schaumstoff und Latex. Das, was anderswo bloßes Mittel zum Schreckzweck wäre, bildet in seinen Filmen das pochende Herz.
Bezeichnenderweise drehen sich diese oft um das Menschliche im Monströsen (und vice versa), machen Ängste und Sehnsüchte explizit. Die Franco-Diktatur oder der Kalte Krieg dienen ihnen als Hintergrund und Realitätsgrundierung. Popcornkino ist del Toro darob keinesfalls abhold, davon zeugen Action-Opern wie „Blade II“, die Comicverfilmung „Hellboy“und ihre Fortsetzung oder „Pacific Rim“, eine Anime- und „Godzilla“-Hommage im Gewand eines Blockbusters über Riesenroboter.
Dabei fiel es ihm nicht immer leicht, seine Vision durchzusetzen: Bei seinem USStudio-Einstand „Mimic“geriet er mit Harvey Weinstein aneinander – damals noch ausschließlich als despotischer Produzent berüchtigt (das Gartenbau zeigt den „Director’s Cut“des Insektenhorrors). Und sein Sisyphos-Projekt, eine ambitionierte Adaption der H.-P.-Lovecraft-Erzählung „At the Mountains of Madness”, schmort schon seit gefühlter Ewigkeit in der Entwicklungshölle. Vielleicht hilft ja die Macht des Oscars, es endlich daraus zu befreien.