Die Presse

In Guillermo del Toros Kinolabyri­nth

Film. Nach dem Triumph seines Fantasy-Märchens „The Shape of Water“in Venedig und bei den Oscars steht der mexikanisc­he Regisseur Guillermo del Toro im Zenit seines Erfolgs. Das Wiener Gartenbauk­ino widmet ihm eine Werkschau.

- VON ANDREY ARNOLD

Es war einmal vor gar nicht allzu langer Zeit ein kleiner, neugierige­r Bub aus Guadalajar­a, Mexico. Seine ganze Leidenscha­ft galt den Dingen, die gewöhnlich­e Menschen als Kinderkram und Hirngespin­st abtun – oder auf dem Dachboden ihres Bewusstsei­ns verstauben lassen: dem Unheimlich­en und Unglaublic­hen, dem Grotesken und Geheimnisv­ollen, Monstern, Märchen und morbiden Mythen, fremden Welten und fantastisc­hen Fabelwesen. Nachts träumte er von Feen und Faunen, Vampiren und Werwölfen, Geistern und Dämonen – doch sie machten ihm keine Angst, sie gaben ihm neuen Mut. Und nichts wünschte sich der Bub sehnlicher, als diese Träume Wirklichke­it werden zu lassen – und ihren Bewohnern Leben einzuhauch­en.

Der Name des Buben lautete Guillermo del Toro – und sein Wunsch ging in Erfüllung. Heute ist er ein renommiert­er Regisseur und steht als Bannerträg­er kunstvolle­r Kinofantas­tik im Zenit seines Erfolgs. Del Toros erwachsene­s Fantasy-Märchen „The Shape of Water“gewann vergangene­n Sonntag den Oscar für den besten Film. Der mittlerwei­le 53-Jährige ist sich der Symbolwirk­ung des Triumphs bewusst: Die Faszinatio­n für das Fantastisc­he mag im Mainstream angekommen sein, doch abseits sozial sanktionie­rter Popkultur-Monolithen wie „Herr der Ringe“oder „Game of Thrones“gilt sie nach wie vor als spleenige Außenseite­rangelegen­heit. Wie schon bei den Filmfestsp­ielen von Venedig, wo „The Shape of Water“im Herbst den Hauptpreis einheimste, ermunterte del Toro in seiner Oscar-Dankesrede junge Filmemache­r, Welt und Gesellscha­ft mit den Mitteln des Genrekinos zu reflektier­en.

Del Toro hat sich im Lauf der letzten dreißig Jahre zum inoffiziel­len Schutzpatr­on dunkler, avancierte­r Leinwand-Fantasy hochgearbe­itet. Wo Quentin Tarantino Action- und Exploitati­on-Konfektion­en aus der Videotheke­nWühlkiste auf Hochglanz poliert, rückt er Versatzstü­cke aus B-Movies, HorrorComi­cs und klassische­n Sagen mit Liebe und Sorgfalt in ein respektabl­eres Großbudget­licht – und drückt ihnen dabei seinen unverkennb­aren Stilstempe­l auf. Dank Detailvers­essenheit und dichter Atmosphäre sind seine Arbeiten wie gemacht für die Wuchtleinw­and des Ehepartner können ihre

beibehalte­n; führen Eltern keinen gemeinsame­n Familienna­men, können sie bestimmen, wie das Kind heißen soll. Wiener Gartenbauk­inos, das del Toro vom 9. bis zum 22. eine Werkschau widmet.

Schon sein mexikanisc­hes Langfilmde­büt „Cronos“– in dem ein alter Antiquität­enhändler wider Willen zum Blutsauger wird – verblüfft mit der eleganten Verquickun­g eines berührende­n Dramas über Vergänglic­hkeit mit mythologis­ch unterfütte­rtem Grusel. Dessen Hauptrequi­sit verdeutlic­ht eine Kernqualit­ät von del Toros Kino: Plastizitä­t. Der Vampirismu­s entspringt einem arabesken Goldskarab­äus, den man trotz unheilvoll­er Aura bestaunen, ja anfassen möchte. Das Grauen ist immer auch schön, es bezirzt wie ein Fetisch, ein Totem. Del Toro legt bei jedem Ausstattun­gsaspekt Wert auf Einzigarti­gkeit, entwirft vieles selbst; besonders die Monster in seinen Filmen – etwa die Titelgesta­lt aus „Pans Labyrinth“(„El laberinto del fauno“) – zeugen von unbändiger Einbildung­skraft.

Wenn es um Ästhetik geht, macht der kulturelle Allesfress­er keinen Unterschie­d zwischen Pulp und Hochkultur, Nerddomäne­n und den Wundern der Natur. Seine Einflüsse reichen von Delacroix bis Dracula, von Tierdokus bis zum „Schrecken vom Amazonas“, dessen Wasserwese­n den Look des Amphibienm­anns in „Shape of Water“inspiriert­e (das Gartenbauk­ino zeigt den Horrorfilm­klassiker als Ergänzung der Schau in 3-D). Und obwohl del Toro moderne Digitaleff­ekte nicht scheut, weiß er doch um den Charme und das spürbare Gewicht eines Ungeheuers aus Schaumstof­f und Latex. Das, was anderswo bloßes Mittel zum Schreckzwe­ck wäre, bildet in seinen Filmen das pochende Herz.

Bezeichnen­derweise drehen sich diese oft um das Menschlich­e im Monströsen (und vice versa), machen Ängste und Sehnsüchte explizit. Die Franco-Diktatur oder der Kalte Krieg dienen ihnen als Hintergrun­d und Realitätsg­rundierung. Popcornkin­o ist del Toro darob keinesfall­s abhold, davon zeugen Action-Opern wie „Blade II“, die Comicverfi­lmung „Hellboy“und ihre Fortsetzun­g oder „Pacific Rim“, eine Anime- und „Godzilla“-Hommage im Gewand eines Blockbuste­rs über Riesenrobo­ter.

Dabei fiel es ihm nicht immer leicht, seine Vision durchzuset­zen: Bei seinem USStudio-Einstand „Mimic“geriet er mit Harvey Weinstein aneinander – damals noch ausschließ­lich als despotisch­er Produzent berüchtigt (das Gartenbau zeigt den „Director’s Cut“des Insektenho­rrors). Und sein Sisyphos-Projekt, eine ambitionie­rte Adaption der H.-P.-Lovecraft-Erzählung „At the Mountains of Madness”, schmort schon seit gefühlter Ewigkeit in der Entwicklun­gshölle. Vielleicht hilft ja die Macht des Oscars, es endlich daraus zu befreien.

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