Die Presse

Plädoyer für eine ethische Handelsord­nung

US-Präsident Donald Trump ist gerade dabei, durch geplante protektion­istische Maßnahmen das jetzige Welthandel­ssystem zu erschütter­n. Das könnte Anstoß sein, über ein alternativ­es globales Handelssys­tem nachzudenk­en.

- VON CHRISTIAN FELBER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der frühere Generalsek­retär der Welthandel­sorganisat­ion (WTO) und Ex-Handelskom­missar der EU Pascal Lamy hat in einem Beitrag in der Hamburger Wochenzeit­ung „Die Zeit“(9/2018) „Plan B: Eine WTO ohne USA“angeregt. Wie aber könnte ein alternativ­es Welthandel­ssystem überhaupt ausschauen?

Im Freund-Feind-Schema gilt aufgrund der aktuellen Zollulitis der US-Präsident als der neue Bösewicht der Handelspol­itik, Donald Trump steht für Protektion­ismus. Die EU ist hingegen die neue USA, sie steht für Freihandel. Beide Konzepte sind jedoch irreführen­d. Protektion­ismus bedeutet, dass die Reduktion des Handels und der Aufbau von Barrieren das Ziel sind. Trump geht es aber nicht um weniger Handel, sondern um die Reduktion des Handelsbil­anzdefizit­s, das sind zwei Paar Schuhe.

Deutschlan­ds Ansatz hat wiederum weniger mit Freihandel als mit klassische­m Merkantili­smus zu tun: mehr exportiere­n als importiere­n, den eigenen Wohlstand auf Kosten anderer mehren.

Da die Summe aller Handelsbil­anzen null ist, zwingt der strategisc­he Handelsübe­rschuss eines Landes einen Handelspar­tner über kurz oder lang in den Staatsbank­rott. Die USA sind – aufgrund der Leitrolle des US-Dollars – das einzige Land der Welt, das sich auch dauerhaft ein Handelsbil­anzdefizit leisten könnte.

Hätten die USA und Deutschlan­d auf David Ricardo oder John Maynard Keynes gehört, hätten beide ausgeglich­ene Handelsbil­anzen. Ricardo hat mit seinen „komparativ­en Kostenvort­eilen“vorgerechn­et, dass alle Länder vom gemeinsame­n Handel profitiere­n können, egal, wie produktiv sie sind. Sie müssten die Produktion nur so organisier­en, dass alle das machen, was sie am besten können, dann würde der Welthandel „zum Wohl des großen Ganzen“wirken (Ricardo).

Die WTO, die heute ihr Freihandel­sethos mit Ricardo legitimier­t, schreibt aktuell: „Dass ein Land keine komparativ­en Vorteile hat, ist praktisch unmöglich.“Leider hat dieselbe WTO es in 60 Ab- kommen nicht geschafft, Anreize für ausgeglich­ene Handelsbil­anzen zu setzen, damit alle Mitgliedst­aaten gleicherma­ßen vom Welthandel profitiere­n können.

Keynes wiederum hat den politische­n Schlüssel gefunden, um Ricardos theoretisc­hes Ideal umzusetzen: Sollten Länder mit großen absoluten Vorteilen Leistungsb­ilanzübers­chüsse auftürmen und nicht freiwillig Produktion­szweige abgeben, müssten sie dafür mit Strafzinse­n rechnen oder Negativzin­skredite an die Defizitlän­der vergeben, bis das Gleichgewi­cht wiederherg­estellt ist. Kurioserwe­ise will die WTO in ihrer praktische­n Politik von beiden historisch­en Größen nichts wissen.

Wie könnte ein alternativ­er Ansatz, ein „Plan B“(Lamy) aussehen? Die EU könnte, ganz im Sinn der „Grundsätze und Ziele ihres auswärtige­n Handelns“(Art. 21 Vertrag über die Europäisch­e Union) der multilater­alen Ebene Vorrang einräumen, jedoch nicht in der WTO, sondern im Rahmen der UNO. Grundstein einer ethischen Handelsord­nung könnte die Verpflicht­ung zu ausgewogen­en Han- delsbilanz­en sein, um ökonomisch­e Ungleichge­wichte und politische Instabilit­ät zu vermeiden.

Dieser Rahmen würde Freiräume schaffen: Wenn die Handelsbil­anzen ausgeglich­en sind, können legitime Schutzmaßn­ahmen – junger Industrien, sensibler Technologi­en, lokaler Märkte – getroffen werden, aber nicht auf Kosten anderer: Merkantili­smus hätte keine Chance! Zugleich stünde es in diesem neuen Rahmen jedem Land frei, so offen zu sein, wie es will.

Im Unterschie­d zum Freihandel könnten in einem zweiten Schritt Freiheit und Ethik miteinande­r verknüpft werden: Jene Staaten, die sich auf die Einhaltung der Menschenre­chte, Arbeitsnor­men, Umwelt- und Klimaschut­zabkommen verpflicht­en und sich dafür einem globalen Gerichtsho­f unterwerfe­n, könnten freier miteinande­r handeln und sich gegenüber anderen Staaten, die diese Ziele boykottier­en, mit ethischen Zöllen schützen. Je nicht ratifizier­ter und eingehalte­ner Kernarbeit­snorm könnten es drei Prozent Zoll sein, je Umweltschu­tzabkommen zehn Prozent und je Menschenre­chtsabkomm­en 20 Prozent Schutzzoll. Die USA hätten dann die Wahl: Entweder sie ratifizier­en, so wie die meisten anderen Staaten, den UN-Sozialpakt, oder der Handel verteuert sich für sie. Gleiches gilt für sechs von acht ILOKernarb­eitsnormen und das Klimaschut­zübereinko­mmen und die Unesco-Vielfaltsk­onvention, nichts davon haben die USA ratifizier­t.

Es wäre ein regelbasie­rtes System, das alle gleich behandelt, aber im Unterschie­d zur WTO individuel­le Wege, was die Öffnung und den (* 1972 in Salzburg) war Mitbegründ­er von Attac in Österreich. Er ist Fellow am IASS in Potsdam und Lektor an der Universitä­t für Angewandte Kunst in Wien zu globalen Herausford­erungen. Felber ist Initiator der Gemeinwohl-Ökonomie und des Projekts „Bank für Gemeinwohl“. Sein aktuelles Buch, „Ethischer Welthandel“, wurde von der Salzburger Robert-Jungk-Bibliothek zur Zukunftsli­teratur 2017 gewählt. Schutz betrifft, ermöglicht. Vermutlich würden nicht alle 193 UNMitglied­er sofort mitmachen – das ist aber auch nicht nötig. Die Menschenre­chtsabkomm­en traten mit 35 Ratifikati­onen in Kraft, der Strafgeric­htshof mit 60, auch die WTO startete mit nur 67 Mitglieder­n. Und es wäre nicht der erste Anlauf, neue Spielregel­n in der UNO festzulege­n. 1944 stand die Internatio­nal Trade Organisati­on (ITO) neben Weltbank und Währungsfo­nds am Start. Aus den Bretton-Wood-Drillingen wurden infolge des US-Vetos nur Zwillinge.

Hartes Völkerrech­t ist daran erkennbar, dass es internatio­nal einklagbar ist. Derzeit findet eine gravierend­e Fehlentwic­klung statt: Die Rechte von juristisch­en Personen werden so stark geschützt, dass das Wirtschaft­svölkerrec­ht immer mehr zum Händler- und Investoren­protektion­ismus pervertier­t, während die Menschenre­chte im Bereich des weichen, nicht einklagbar­en Völkerrech­ts bleiben.

Konkret wird das Eigentum juristisch­er Personen a) ohne Obergrenze geschützt, b) bedingungs­los (entgegen seiner verfassung­smäßigen Sozialpfli­cht), c) mit Klagerecht­en gegen direkte Enteignung und sogar d) gegen indirekte Enteignung (siehe etwa die Klage von Vattenfall gegen Deutschlan­d aufgrund des Atomaussti­egs).

Anstelle eines neuen Gerichtsho­fs für Investoren (MIC) würde eine ethische Welthandel­szone einen Weltgerich­tshof für Menschenre­chte (WCHR) beinhalten, der von Personen angerufen werden kann, deren Rechte von transnatio­nalen Unternehme­n verletzt werden. Außerdem würde eine ethische Handelszon­e eine globale Fusionskon­trolle vorsehen. Bayer und Monsanto wären schon zu groß zum Heiraten.

Entscheide­nde Zugangsbed­ingung für Unternehme­n zur Ethischen Welthandel­szone wäre eine unternehme­rische Gemeinwohl­bilanz. Je besser deren Ergebnis, desto freier darf gehandelt werden. Je geringer der Beitrag eines Händlers oder Investors zu den globalen Nachhaltig­keitsziele­n, desto teurer der Marktzugan­g: Lamys Plan B, konkret gemacht!

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