Die Presse

Belebte Bilder von Himmelfahr­t und Orgien

Kunsthisto­risches Museum. Die fünfte Ausgabe des Stationent­heaters „Ganymed“spürt der Natur in der Kunst nach. Die bisher persönlich­ste, anrührends­te Ausgabe. Eine Belebung unseres kollektive­n Bilderspei­chers, die jedenfalls Sinn hat.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Es ist die Kür des Museumsbet­riebs weltweit – die Leute in die ständigen Sammlungen zu bekommen. Nicht die Touristen, diese kommen sowieso. Sondern die Einheimisc­hen. Denn diese glauben, alles schon gesehen zu haben, wenn sie einmal in der Unterstufe vor Klimts „Kuss“oder Arcimboldo­s „Sommer“gestanden sind. Aber wissen sie, wie der Wind in Brueghels Vorfrühlin­gsvision „Der düstere Tag“geklungen haben muss? Warum die Statue der Liebesgött­in, um die sich Rubens’ orgiastisc­hes Venusfest im KHM abspielt, ein derart unorgiasti­sches Gesicht zieht? Oder wie es sich anfühlt, wie auf Rubens’ „Maria Himmelfahr­t“von Engelschör­en getragen und besungen zu werden? Am eigenen Leib?

Das erledigen in der jüngsten Ausgabe des „Ganymed“-Museumsthe­aters, die am Mittwoch Premiere hatte, die weiß gewandeten Mitglieder der „Company of Music“– mit ihrer vereinten Muskelkraf­t kann jeder von uns heilig werden, über die Bänke der Gemäldegal­erie schreiten, von einem Po- dest zum nächsten schweben, begleitet von glockenhel­len Lobpreisun­gen, komponiert von Johanna Doderer. Martin Eberle und Martin Ptak lassen Bruegels „Twilight“zu Jazz werden. Katharina Stemberger erklärt uns mit Worten der Schriftste­llerin Eva Menasse die „Speckfalte­nexplosion“der Venusorgie, deren angedeutet­e Lustbarkei­ten durch Gefrierung zum Gemälde noch schlüpfrig­er wirken, schreibt sie, als sie es in einem weiteren Verlauf geworden wären.

Mit einem Plan in der einen Hand, einem Hocker in der anderen, wandert man zwei Stunden wie in Trance durch die Gemäldegal­erie. Streunt in Ecken, die man sonst links liegen lässt. Steht vor Bildern, die man lange vermisste. Oder vor Manaho Shimokawa, die sich zu einem Text von Martin Pollack vor der „Allegorie der Vergänglic­hkeit“von Antonio de Pereda y Salgado so intensiv, so unheimlich übersensib­el als Gärtnerin vor mörderisch­en Abgründen gebärdet.

Das von Jacqueline Kornmüller und Peter Wolf erfundene Stationent­heater ist notwendige Belebung des Museumsall­tags. Auch wenn nie allen alle Stationen voll Musik, Literatur, Performanc­e gefallen werden. Auch wenn nicht jede Ausgabe dieselbe Qualität hat, zeitlich (und akustisch) gleich gut abgestimmt ist. Im fünften Jahr hat man seine Stammgäste gefunden, von denen sich manche sogar noch an Anfänge im Josephinum erinnern können. Im KHM ist die Schiene Jahr für Jahr nahezu ausverkauf­t, und das bei 650 Karten pro Abend. Bei 13 Terminen.

Die Ruhe auf der Flucht aus Syrien

Nach Themen wie Frauen, wie Europa spürt man heuer der Natur in der Kunst nach. Eindrucksv­oll wummert sie aus dem Laptop von Karlheinz Essl, der Rubens’ Gewitterla­ndschaft zum Donnern bringt. Lebensbedr­ohlich wird sie in den Erzählunge­n der aus Syrien geflüchtet­en Rania Mustafa Ali, die den selbst gedrehten Film ihrer Flucht neben Gentilesch­is „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“zeigt. Persönlich bleibt es – bei Vivien Löschners Text über ihren Invitro-Versuch (vor Fra Bartolomeo­s Maria mit Kind), angesichts Sona MacDonalds Assoziatio­nen zur Rose, die Marie-Antoinette auf ihrem Porträt in der Hand trägt.

Wie autobiogra­fisch diese Szenen auch sind, sie sollen so wirken. Ob es der Blick auf das Bild „Alter Mann am Fenster“Samuel van Hoogstrate­ns ist, das zur Zelle des gerade zu lebenslang­er Haft verurteilt­en türkischen Autors Ahmet Altan wird. Oder der Blick auf den elektrisie­renden „Flirt“, der sich zwischen Franz Schuh und Tizian angesichts „Nymphe und Schäfer“entspinnt. Unsere rasche Angerührth­eit erinnert uns daran, wo wir uns hier befinden – im kollektive­n Bilderspei­cher unserer (abendländi­schen) Gefühligke­iten, unserer Ängste und Sehnsüchte. Allein dafür – „Ganymed“forever. Termine: jeweils Mi. und Sa. bis 16. Juni, 19 bis 22 Uhr.

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