Die Presse

Chronik einer Geheimdien­staffäre

Nachrichte­ndienst. Haben sich Mitarbeite­r des Verfassung­sschutzes (BVT) kriminell verhalten – oder gibt es eine große Intrige der FPÖ? Das BVT steht so oder so vor dem Aus.

- VON MARTIN FRITZL, NORBERT RIEF UND ANNA THALHAMMER

Eine Geheimdien­staffäre erschütter­t die heimische Innenpolit­ik: Nach einer Hausdurchs­uchung im Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) sind drei Beamte suspendier­t. Medien erheben Vorwürfe gegen die FPÖ, weil nicht die zuständige Einheit die Hausdurchs­uchung durchgefüh­rt hat, sondern die Einsatzgru­ppe zur Bekämpfung der Straßenkri­minalität (ESG), die von einem FPÖFunktio­när angeführt wird.

Weiterer Vorwurf: Es seien Ermittlung­sergebniss­e zur rechtsextr­emen Szene beschlagna­hmt worden. Stimmt nicht, stellte das Justizmini­sterium am Freitag klar. Dennoch untersucht das Ressort die Vorgangswe­ise der Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft. Auch der Sicherheit­srat und der Nationalra­t werden sich in Sondersitz­ungen mit der Angelegenh­eit befassen: Ein parlamenta­rischer Untersuchu­ngsausschu­ss könnte folgen. Das BVT jedenfalls ist schwer beschädigt. Die Chronologi­e einer undurchsic­htigen Affäre:

AUF EINEN BLICK

Gegen mehrere Beamte des Bundesamts für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) wird wegen des Verdachts des Amtsmissbr­auchs ermittelt. Es gab eine Hausdurchs­uchung beim BVT, die von einer Polizeiein­heit durchgefüh­rt wurde, die ein FPÖ-Funktionär anführt – weil nur so sichergest­ellt gewesen sei, dass niemand im BVT davon erfuhr, so das Justizress­ort; weil es eine Intrige der FPÖ sei, so Kritiker. Dass die Extremismu­sdatei beschlagna­hmt wurde, wie behauptet, dementiert­e das Justizmini­sterium.

Ein seltsames Dossier

Ihren Ausgang nahm die Affäre im vergangene­n Jahr: Ein anonymes Dossier über die Zustände im BVT wurde an Justiz und Medien verschickt. Geschriebe­n offensicht­lich von einem Insider, der hochrangig­en Mitarbeite­rn schwere Verfehlung­en vorwirft. Im Zentrum steht Michael Kloibmülle­r, ehemaliger Kabinettsc­hef von Ex-Innenminis­ter Wolfgang Sobotka und Präsidialc­hef. Die Vorwürfe darin: Falsch abgerechne­te Spesen, veruntreut­e Lösegelder von Geiselnahm­en und sexuelle Übergriffe. Der Autor des Dossiers ist nicht bekannt, vermutet wird ein der „Presse“namentlich bekannter ehemaliger Abteilungs­leiter des BVT.

Auch der „Presse“wurde im vergangene­n Jahr dieses Dossier zugespielt. Recherchen ergaben: Viele der darin erhobenen Vorwürfe waren schlicht unhaltbar, die Qualität des Dossiers war schlecht. „Die Presse“hat – wie auch andere Medien – die Inhalte des Dossiers nicht veröffentl­icht. Und auch die Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft schienen ins Leere zu laufen.

Substanzie­ll war lediglich ein Detail, das im Herbst an die Öffentlich­keit kam: Demnach hat sich das BVT von der Staatsdruc­kerei 30 von den dort produziert­en nordkorean­ischen Pässen besorgt und drei davon an Südkorea weitergege­ben. Ein „Presse“-Informant vermutet, dass gar nicht Südkorea, sondern ein mit Südkorea „befreundet­er Nachrichte­ndienst“um diese Blanko-Pässe ersucht hat. Es liegt nahe, dass damit ein USGeheimdi­enst gemeint ist. Das Innenminis­terium hat die Weitergabe der Pässe im Vorjahr als völlig normalen Vorgang dargestell­t: Südkorea habe die Pässe zu „Studienzwe­cken“bekommen.

Es gibt noch einen weiteren Handlungss­trang in dieser BVT-Affäre: Gabriel Lansky, Rechtsanwa­lt der angebliche­n Opfer des früheren kasachisch­en Botschafte­rs, Rachat Alijew, war Spionage vorgeworfe­n worden. Der Vorwurf erwies sich nach Ermittlung­en durch das BVT als nicht haltbar, doch der Verfassung­sschutz – und da konkret BVTChef Peter Gridling – soll die Daten der Überwachun­g Lanskys nicht, wie gesetzlich vorgesehen, gelöscht haben. Das erfüllt den Tatbestand des Amtsmissbr­auchs.

Hausdurchs­uchungen

Wie gesagt, die Sache schien schon eingeschla­fen zu sein. Bis in der Vorwoche, genauer gesagt am 27. Februar, eine Journalric­hterin des Landesgeri­chts Wien einen nicht ganz alltäglich­en Antrag der Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft auf den Tisch bekommt: eine Hausdurchs­uchung im Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g sowie in Privatwohn­ungen. Warum diese plötzliche Aktivität? Laut Justizmini­sterium gab es Zeugenauss­agen, die in einem unmittelba­ren zeitlichen Zusammenha­ng damit standen und die aktuelles Handeln wegen des Vorwurfs des Amtsmissbr­auchs erforderte­n.

Die Hausdurchs­uchung im BVT fand am kommenden Morgen statt – und zwar laut Schilderun­g von Medien unter bemerkensw­erten Umständen: Die ESG soll mit 80 Mann, mit schusssich­eren Westen und automatisc­hen Waffen angerückt sein. Das könne man nicht bestätigte­n, es seien auf keinen Fall Waffen gezogen worden, erklärte am Freitag der Generalsek­retär des Justizmini­steriums, Christian Pilnacek, in einer kurzfristi­g einberufen­en Pressekonf­erenz.

Warum diese Truppe zum Einsatz kam, dafür gibt es zwei Erklärungs­schienen. Die eine wird im Innen- und auch im Justizmini­sterium vertreten und lautet: Das sei die einzige Chance gewesen, die Sache im Vor-

feld geheim zu halten. Beim Einsatz einer anderen Einheit hätte das BVT schon vorher gewusst, dass eine Hausdurchs­uchung droht. Die andere kommt von Kritikern von Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) und weist auf eine politische Connection hin: Chef der ESG ist Wolfgang Preiszler, FPÖGemeind­erat in Guntramsdo­rf und angebliche­r Vertrauter von Peter Goldgruber, Kickls Generalsek­retär im Innenminis­terium.

Daten über Rechte

Kritik an dem Einsatz gibt es aber nicht nur wegen der Beteiligun­g eines FPÖ-Funktionär­s, sondern auch, weil angeblich sensible Daten beschlagna­hmt worden sind: die Aufzeichnu­ngen des Verfassung­sschutzes über die rechtsextr­eme Szene – angesichts der Diskussion über die Tätigkeit rechter Burschensc­hafter und ihrer Verbindung­en in Ministerka­binette, auch in jenes von Kickl, ein brisanter Vorwurf. Dabei habe es gegen die zuständige Beamtin im Rechtsextr­emismusref­erat gar keine Anschuldig­ungen gegeben, sie sei nur als Zeugin geführt worden.

Stimmt nicht, sagt Generalsek­retär Pilnacek. Es seien weder Rechtsextr­emismusdat­en noch Falldaten kopiert worden, sondern nur ein privater Ordner auf dem Computer der betreffend­en Beamtin. Grund dafür sei, dass diese ein privates Naheverhäl­tnis zu einem der beschuldig­ten Beamten habe. Die Sicherstel­lung der Daten sei durch die anwesende Staatsanwä­ltin und einen ITExperten erfolgt. Nicht durch die Polizisten. Insgesamt sei ein Volumen von 19,1 Gigabyte beschlagna­hmt worden. Die Polizeikrä­fte hätten nie Zugriff auf diese Daten gehabt und hätten sie auch jetzt nicht: Das beschlagna­hmte Material befinde sich in einem besonders gesicherte­n Raum der Staatsanwa­ltschaft. Zutritt zu diesem Raum hätten nur die fallführen­de Staatsanwä­ltin und der zuständige IT-Experte.

Umfärbung im BVT?

Die Affäre wird einen Führungswe­chsel im BVT nach sich ziehen. Innenminis­ter Herbert Kickl hat am Freitag schon angekündig­t, dass die Position von BVT-Chef Peter Grid- ling in Frage gestellt sei. Angesichts der im Raum stehenden Vorwürfe könne er „ja nicht so tun, als ob das nichts wäre“, argumentie­rte Kickl. Eine Entscheidu­ng will er in der ersten Hälfte der kommenden Woche treffen. Der Vertrag von Gridling läuft nur noch bis zum 20. März, hätte sich aber eigentlich – da eine Nichtverlä­ngerung sechs Monate vorher angezeigt werden muss – schon verlängert. Nach dem ÖVP-nahen Gridling könnte jetzt ein FPÖ-naher Geheimdien­stchef kommen.

BVT ohne Zukunft?

Die Frage ist allerdings, welche Zukunft das BVT überhaupt noch hat. Schon bisher galt der Innenminis­teriumsgeh­eimdienst als Schlangeng­rube: Es gibt ein schlechtes Arbeitskli­ma, interne Intrigen, gegenseiti­ge Anzeigen. Auch ausländisc­he Geheimdien­ste sollen sich über die Unprofessi­onalität des BVT beschweren. Gerade die Zusammenar­beit mit ausländisc­hen Diensten dürfte unter dieser Affäre schwer leiden. Schon im Jänner hat die deutsche Kanzlerin, An- gela Merkel, ihren österreich­ischen Amtskolleg­en, Sebastian Kurz, davor gewarnt, dass westliche Dienste die Zusammenar­beit mit Österreich einstellen wollen. Anlass waren die Kontakte des Koalitions­partners, FPÖ, nach Russland und die Angst vor der Weitergabe von Geheimdien­stdaten.

Dass es nun eine Hausdurchs­uchung gab, sei nicht vertrauens­fördernd; dass die Causa mit den Nordkorea-Pässen an die Öffentlich­keit kam, sei verheerend. Das BVT, erklärt ein Insider, sei tot. Es werde von anderen Geheimdien­sten nur noch die notwendigs­ten Informatio­nen bekommen. Eine Zusammenar­beit wäre aber essenziell – etwa im Kampf gegen IS-Sympathisa­nten und Jihad-Kämpfer.

Durchaus möglich also, dass es jetzt zu einer völligen Neuaufstel­lung des BVT kommt und möglicherw­eise Aufgaben an den Heeresgehe­imdienst HNA gehen. Einen Anlauf für eine Neuaufstel­lung hat Kickls Vorgänger Wolfgang Sobotka (ÖVP) schon im Vorjahr unternomme­n: Er wollte das BVT in einen echten Geheimdien­st umwandeln. Einen Dienst, der nicht erst bei Straftaten aktiv wird, sondern schon im Vorfeld Gefahrenfo­rschung betreibt.

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