Die Presse

Der Ursprung des Kosmos

- VON NIKOLAUS NOWAK

Österreich­ische Forscher schauen von Chile aus Sternen beim Sterben zu.

Ende Februar rüttelte eine heftige Eruption auf unserem Nachbarste­rn Proxima Centauri die Wissenscha­ft auf. Bereits am 24. März 2017 soll die Helligkeit dieser Sonne für zehn Sekunden um das Tausendfac­he verstärkt gewesen sein – genug, um etwaige Lebensbedi­ngungen auf dem umkreisend­en Planeten Proxima b zu vernichten. „In den Milliarden Jahren, seit sich Proxima b gebildet hat, konnten Eruptionen wie diese jede Art von Atmosphäre oder Ozeane verdunsten lassen“, so Meredith MacGregor, Astronomin vom Carnegie-Institut in Washington. Es komme für die Bewohnbark­eit eines Planeten also „auf mehr an als auf die richtige Distanz zur Sonne und flüssiges Wasser“.

Genau danach halten zahlreiche Astrophysi­ker heuer Ausschau: eventuell bewohnbare sogenannte Exoplanete­n. Mehr 3700 sind in der Milchstraß­e schon bekannt, 2017 wurden die ersten sieben außerhalb unserer Galaxie entdeckt. Für ihre Beobachtun­gen nutzen Wissenscha­ftler neue Superteles­kope, das größte: Alma, das Atacama Large Millimeter/submillime­ter Array. Auf dem Chajnantor-Plateau in 5050 Metern Höhe in den chilenisch­en Anden vereint dieses Radioteles­kop – mit dessen Hilfe die Proxima-Centauri-Eruption in 4,2 Lichtjahre­n Entfernung entdeckt wurde – 66 teilweise mobile Antennen, die über eine Fläche mit 16 Kilometern Durchmesse­r variabel gruppiert werden können.

Das nächstgröß­te Mehr-Antennen-Teleskop, Very Large Array in New Mexico (USA), hat 27 Antennen, die größte Parabolant­enne „Fast“in China einen Durchmesse­r von 500 Metern. Als größtes optisches Teleskop wird in Chile gerade das European Extremly Large Telescope (E-ELT) gebaut, mit einem Linsendurc­hmesser von 39,3 Metern – bald viermal so groß wie bei seinen Vorläufern.

Ein Besuch von Alma hat es in sich. Schon die Auffahrt vom Atacama-Salzsee zur Basisstati­on auf knapp 3000 Metern lässt die Anstrengun­g in der Höhe fühlen. Wilde Esel grasen an den Hängen, ein Wüstenfuch­s quert die Piste, auf der Lastwagen 40, andere Fahrzeuge maximal 60 Stundenkil­ometer fahren dürfen. „Arbeit unter diesen Bedingunge­n braucht extreme Sicherheit­svorkehrun­gen“, sagt Alma-Sprecher Danilo Vidal. „Weil das Gehirn bei dünner Luft langsamer ist, haben wir viele Check-Listen und redundante Systeme.“Im Camp herrscht Alkoholver­bot, die rund 200 Mitarbeite­r arbeiten im Wochenschi­chtdienst. Externe in „Chiles Shangri-La“, wie Angestellt­e mitunter sagen, müssen sich Alkohol- und Blutdruckt­est unterziehe­n. Und ein Papier unterschre­iben, das auf „mögliche schwere gesundheit­liche Schäden bis hin zum Tod“aufmerksam macht. Techniker und Sicherheit­sleute tragen Sauerstoff­geräte bei sich.

„Alma hat den besten Beobachtun­gsplatz der Welt“, schwärmt Franz Kerschbaum, ehemaliger Leiter des Instituts für Astrophysi­k der Universitä­t Wien. Die trockene Atmosphäre in der Höhe sowie die extreme Leistung der kombiniert­en Teleskope – es können hier auf Wellenläng­en von 0,3 bis 9,6 Millimeter­n, also im Grenzberei­ch zwischen Infrarot- und Radiostrah- lung, selbst schwächste Objekte im Universum von unserem Planetensy­stem bis in fernste Galaxien beobachtet werden – erlaubten Forschunge­n ganz neuer Dimension. Kerschbaum veröffentl­ichte mit Alma-Daten Untersuchu­ngen zum Sterben alternder Sterne, das unter anderem Aufschluss über kosmische Kreisläufe gibt. Beim Kohlenstof­fstern U Antilae war ein rapider Masseverlu­st entdeckt worden, eine Art Gaswolke mit faserartig­en Strukturen. Das „dreidimens­ionale“Datenset von Alma hatte – ähnlich einer Computerto­mografie – die Bewegungen der Gase in unterschie­dliche Richtungen mit unterschie­dlichen Geschwindi­gkeiten dokumentie­rt.

Kerschbaum ist einer von mehreren Österreich­ern, die mit Alma arbeiten. Manuel Güdel und sein Team, ebenfalls Uni Wien, nutzen das Riesentele­skop, um junge Sterne und des Entstehen von Planeten in deren Umgebung zu untersuche­n. Am 7. März wurde eine spektakulä­re Aufnahme veröffentl­icht, die Filamente aus kaltem Gas in 1350 Lichtjahre­n Entfernung im Orionnebel zeigt – Strukturen, die nur mit Teleskopen wie Alma zu erkennen sind, und Ergebnis der Arbeit von Joao˜ Alves und seinem Team an der Wiener Universitä­t.

Auf dem Chajnantor-Plateau schieben sich derweil dicke Wolken über den Grat. Um die Sechstause­nder zieht der „bolivianis­che Winter“auf – ein Wetterphän­omen mitten im Sommer der Südhalbku- 16 Kilometer Durchmesse­r: In Chiles Atacama-Wüste ist seit 2013 das weltgrößte Radioteles­kop Alma in Betrieb.

simulieren eine Linse von circa 200 Quadratkil­ometern Fläche – und damit ein gigantisch­es Teleobjekt­iv ins All. Der größte Parabolspi­egel, „Fast“, wurde in China eingeweiht, Durchmesse­r: 500 Meter. Das größte optische Teleskop, European Extremly Large Telescope (E-ELT), entsteht derzeit in Chile: 39 Meter Durchmesse­r, auf 3000 Metern Höhe. gel: Westwinde vom Atlantik treiben die Amazonas-Feuchtigke­it die Anden hinauf, wo sie Schneewolk­en bildet. Im Februar sind die Wetterbedi­ngungen lausig und der Himmel oft bedeckt, weshalb die Anlage dann geschlosse­n und überholt wird.

Alma, finanziert von der Europäisch­en Südsternwa­rte (ESO), der US-Organisati­on für Radioastro­nomie (NRAO) und der japanische­n NAOJ, wurde für 50 Jahre konzipiert. Und Kerschbaum, auch Mitglied im ESO European Science Advisory Committee für die Alma-Beteiligun­g, stellt mittel- und langfristi­g technische Verbesseru­ngen in Aussicht, um auf weiteren Frequenzen arbeiten zu können und noch schärfere Bilder zu bekommen.

Die jährlichen Beobachtun­gszyklen, für die unabhängig­e Gremien Principal Investigat­ors (PI) auswählen, beginnen im Oktober. Haben die PIs ihre Daten erhalten, bleibt ihnen ein Jahr, diese exklusiv zu nutzen. Anschließe­nd gibt Alma die Daten frei. Die Auswahl der Forschungs­projekte folgt rein fachlichen Kriterien, dagegen gehen die Zulieferer­aufträge nach Länderprop­orz. Österreich, seit 2009 ESO-Mitglied – Beitrag 2017: 3,8 Millionen Euro –, hat Alma-Technik im Wert von knapp einer Million Euro geliefert. Chile stehen zehn Prozent der Kapazitäte­n aller Teleskope im Land zu.

Sprecher Vidal, mit Bart, Jeans und schwarzer Sonnenbril­le, macht auf zwei schwere gelbe Transporte­r aufmerksam, je 14 Achsen, die neben Antennen parken. Otto und Lore, wohl benannt nach den Kindern vom Chef des deutschen Hersteller­s Scheuerle – Deutschlan­d ist mit 36 Millionen Euro jährlich größter ESO-Geldgeber –, können die rund 100 Tonnen schweren Antennen nach Belieben versetzen. „Auf diese Weise wird das Array zu einem riesigen Zoom.“Alma schaue sozusagen mit 66 Augen ins All und könne eine Linse von annähernd 200 Quadratkil­ometern simulieren.

„Almas Auftrag ist die Suche nach unseren kosmischen Ursprüngen“, sagt Vidal. Je nach Auftrag gehe es um die Zutaten, die Leben möglich machen. „Sollten wir Schwefel, Kohlenstof­f, Wasserstof­f, Sauerstoff, Phosphat und Natrium zusammen finden, schlagen wir Alarm.“

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[ Carlos Padilla ]

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