Der Ursprung des Kosmos
Österreichische Forscher schauen von Chile aus Sternen beim Sterben zu.
Ende Februar rüttelte eine heftige Eruption auf unserem Nachbarstern Proxima Centauri die Wissenschaft auf. Bereits am 24. März 2017 soll die Helligkeit dieser Sonne für zehn Sekunden um das Tausendfache verstärkt gewesen sein – genug, um etwaige Lebensbedingungen auf dem umkreisenden Planeten Proxima b zu vernichten. „In den Milliarden Jahren, seit sich Proxima b gebildet hat, konnten Eruptionen wie diese jede Art von Atmosphäre oder Ozeane verdunsten lassen“, so Meredith MacGregor, Astronomin vom Carnegie-Institut in Washington. Es komme für die Bewohnbarkeit eines Planeten also „auf mehr an als auf die richtige Distanz zur Sonne und flüssiges Wasser“.
Genau danach halten zahlreiche Astrophysiker heuer Ausschau: eventuell bewohnbare sogenannte Exoplaneten. Mehr 3700 sind in der Milchstraße schon bekannt, 2017 wurden die ersten sieben außerhalb unserer Galaxie entdeckt. Für ihre Beobachtungen nutzen Wissenschaftler neue Superteleskope, das größte: Alma, das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array. Auf dem Chajnantor-Plateau in 5050 Metern Höhe in den chilenischen Anden vereint dieses Radioteleskop – mit dessen Hilfe die Proxima-Centauri-Eruption in 4,2 Lichtjahren Entfernung entdeckt wurde – 66 teilweise mobile Antennen, die über eine Fläche mit 16 Kilometern Durchmesser variabel gruppiert werden können.
Das nächstgrößte Mehr-Antennen-Teleskop, Very Large Array in New Mexico (USA), hat 27 Antennen, die größte Parabolantenne „Fast“in China einen Durchmesser von 500 Metern. Als größtes optisches Teleskop wird in Chile gerade das European Extremly Large Telescope (E-ELT) gebaut, mit einem Linsendurchmesser von 39,3 Metern – bald viermal so groß wie bei seinen Vorläufern.
Ein Besuch von Alma hat es in sich. Schon die Auffahrt vom Atacama-Salzsee zur Basisstation auf knapp 3000 Metern lässt die Anstrengung in der Höhe fühlen. Wilde Esel grasen an den Hängen, ein Wüstenfuchs quert die Piste, auf der Lastwagen 40, andere Fahrzeuge maximal 60 Stundenkilometer fahren dürfen. „Arbeit unter diesen Bedingungen braucht extreme Sicherheitsvorkehrungen“, sagt Alma-Sprecher Danilo Vidal. „Weil das Gehirn bei dünner Luft langsamer ist, haben wir viele Check-Listen und redundante Systeme.“Im Camp herrscht Alkoholverbot, die rund 200 Mitarbeiter arbeiten im Wochenschichtdienst. Externe in „Chiles Shangri-La“, wie Angestellte mitunter sagen, müssen sich Alkohol- und Blutdrucktest unterziehen. Und ein Papier unterschreiben, das auf „mögliche schwere gesundheitliche Schäden bis hin zum Tod“aufmerksam macht. Techniker und Sicherheitsleute tragen Sauerstoffgeräte bei sich.
„Alma hat den besten Beobachtungsplatz der Welt“, schwärmt Franz Kerschbaum, ehemaliger Leiter des Instituts für Astrophysik der Universität Wien. Die trockene Atmosphäre in der Höhe sowie die extreme Leistung der kombinierten Teleskope – es können hier auf Wellenlängen von 0,3 bis 9,6 Millimetern, also im Grenzbereich zwischen Infrarot- und Radiostrah- lung, selbst schwächste Objekte im Universum von unserem Planetensystem bis in fernste Galaxien beobachtet werden – erlaubten Forschungen ganz neuer Dimension. Kerschbaum veröffentlichte mit Alma-Daten Untersuchungen zum Sterben alternder Sterne, das unter anderem Aufschluss über kosmische Kreisläufe gibt. Beim Kohlenstoffstern U Antilae war ein rapider Masseverlust entdeckt worden, eine Art Gaswolke mit faserartigen Strukturen. Das „dreidimensionale“Datenset von Alma hatte – ähnlich einer Computertomografie – die Bewegungen der Gase in unterschiedliche Richtungen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten dokumentiert.
Kerschbaum ist einer von mehreren Österreichern, die mit Alma arbeiten. Manuel Güdel und sein Team, ebenfalls Uni Wien, nutzen das Riesenteleskop, um junge Sterne und des Entstehen von Planeten in deren Umgebung zu untersuchen. Am 7. März wurde eine spektakuläre Aufnahme veröffentlicht, die Filamente aus kaltem Gas in 1350 Lichtjahren Entfernung im Orionnebel zeigt – Strukturen, die nur mit Teleskopen wie Alma zu erkennen sind, und Ergebnis der Arbeit von Joao˜ Alves und seinem Team an der Wiener Universität.
Auf dem Chajnantor-Plateau schieben sich derweil dicke Wolken über den Grat. Um die Sechstausender zieht der „bolivianische Winter“auf – ein Wetterphänomen mitten im Sommer der Südhalbku- 16 Kilometer Durchmesser: In Chiles Atacama-Wüste ist seit 2013 das weltgrößte Radioteleskop Alma in Betrieb.
simulieren eine Linse von circa 200 Quadratkilometern Fläche – und damit ein gigantisches Teleobjektiv ins All. Der größte Parabolspiegel, „Fast“, wurde in China eingeweiht, Durchmesser: 500 Meter. Das größte optische Teleskop, European Extremly Large Telescope (E-ELT), entsteht derzeit in Chile: 39 Meter Durchmesser, auf 3000 Metern Höhe. gel: Westwinde vom Atlantik treiben die Amazonas-Feuchtigkeit die Anden hinauf, wo sie Schneewolken bildet. Im Februar sind die Wetterbedingungen lausig und der Himmel oft bedeckt, weshalb die Anlage dann geschlossen und überholt wird.
Alma, finanziert von der Europäischen Südsternwarte (ESO), der US-Organisation für Radioastronomie (NRAO) und der japanischen NAOJ, wurde für 50 Jahre konzipiert. Und Kerschbaum, auch Mitglied im ESO European Science Advisory Committee für die Alma-Beteiligung, stellt mittel- und langfristig technische Verbesserungen in Aussicht, um auf weiteren Frequenzen arbeiten zu können und noch schärfere Bilder zu bekommen.
Die jährlichen Beobachtungszyklen, für die unabhängige Gremien Principal Investigators (PI) auswählen, beginnen im Oktober. Haben die PIs ihre Daten erhalten, bleibt ihnen ein Jahr, diese exklusiv zu nutzen. Anschließend gibt Alma die Daten frei. Die Auswahl der Forschungsprojekte folgt rein fachlichen Kriterien, dagegen gehen die Zuliefereraufträge nach Länderproporz. Österreich, seit 2009 ESO-Mitglied – Beitrag 2017: 3,8 Millionen Euro –, hat Alma-Technik im Wert von knapp einer Million Euro geliefert. Chile stehen zehn Prozent der Kapazitäten aller Teleskope im Land zu.
Sprecher Vidal, mit Bart, Jeans und schwarzer Sonnenbrille, macht auf zwei schwere gelbe Transporter aufmerksam, je 14 Achsen, die neben Antennen parken. Otto und Lore, wohl benannt nach den Kindern vom Chef des deutschen Herstellers Scheuerle – Deutschland ist mit 36 Millionen Euro jährlich größter ESO-Geldgeber –, können die rund 100 Tonnen schweren Antennen nach Belieben versetzen. „Auf diese Weise wird das Array zu einem riesigen Zoom.“Alma schaue sozusagen mit 66 Augen ins All und könne eine Linse von annähernd 200 Quadratkilometern simulieren.
„Almas Auftrag ist die Suche nach unseren kosmischen Ursprüngen“, sagt Vidal. Je nach Auftrag gehe es um die Zutaten, die Leben möglich machen. „Sollten wir Schwefel, Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Phosphat und Natrium zusammen finden, schlagen wir Alarm.“