„Basisdemokratie ist der richtige Weg“
Interview. Landeshauptmann Hans Niessl will die SPÖ-Mitglieder über Positionen und Wahllisten abstimmen lassen. Auch die Direktwahl des Parteichefs sei vorstellbar. Von der SPÖ wünscht sich der Burgenländer mehr Aktivität in der Opposition.
Die Presse: Die Kärntner SPÖ hat die burgenländische als stärkste Landesorganisation abgelöst. Sie haben vor drei Jahren 42 Prozent geholt, Peter Kaiser nun 48. Was hat er besser gemacht? Hans Niessl: Zunächst muss man Peter Kaiser und seinem Team gratulieren, das ist ein toller Erfolg. Wir haben aufgrund der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 – Stichwort Nickelsdorf – in einem Monat fünf bis sechs Prozentpunkte verloren. Aber wir werden bei der nächsten Landtagswahl wieder nachziehen.
Ohne Flüchtlingskrise hätten Sie 2015 die Absolute geholt? Die Absolute – das möchte ich so nicht sagen. Aber die Leute waren damals verunsichert, weil über das Burgenland Tausende Flüchtlinge nach Österreich gekommen sind. Dieses Thema hat den Landtagswahlkampf überlagert. Insofern haben wir bei der Wahl 2020 ein großes Potenzial nach oben.
Was hat den Wahlerfolg von Peter Kaiser ausgemacht? Er hat sich auf die Herausforderungen konzentriert, die das Land zu bewältigen hat, vor allem auf die Hypo. So haben die Menschen Vertrauen zu ihm gewonnen. Wenn man so will, war das ein Sieg der Sachpolitik über die Eventpolitik.
Peter Kaiser wird nun schon als nächster SPÖ-Chef gehandelt, sollte Christian Kern eines Tages in die Privatwirtschaft wechseln. Ich gehe davon aus, dass Christian Kern Parteichef bleibt und mit guter Oppositionspolitik einen Beitrag leistet, damit die SPÖ wieder stärkste Partei im Bund wird.
Sind Sie zufrieden mit der Oppositionspolitik der SPÖ? In einigen Punkten hat sie sehr gut gegriffen, etwa beim Familienbonus. Ich kann Christian Kern da nur recht geben: Wenn gut verdienende Familien 1500 Euro pro Kind bekommen, Geringverdiener aber leer ausgehen, dann ist das alles andere als sozial gerecht.
Die Regierung argumentiert, dass nur Steuerzahler einen Steuerbonus bekommen können. Das ist der neoliberale Zugang. Jedes Kind sollte gleich viel wert sein. Außerdem leistet eine Alleinerzieherin mindestens so viel wie Familien mit einem Monatseinkommen von 10.000 Euro. Diese Differenzierung ist Unfug. Die Alleinerzieherin würde gern mehr Steuern zahlen, aber sie kann nur Teilzeit arbeiten, weil sie ein Kind betreuen muss.
Also macht Kern alles richtig? Es gibt auch andere in der SPÖ, Abgeordnete, viele ehemalige Minis- ter und – ich nehme mich da nicht aus – Landeshauptleute, die in der Lage sind, Oppositionsarbeit zu leisten. Alles nur auf Christian Kern zu fokussieren ist zu wenig. Die gesamte Partei ist gefordert.
Sind manche nicht aktiv genug? Die gesamte Partei wird sicherlich aktiver werden müssen, um die unsozialen Maßnahmen der Regierung aufzuzeigen.
Wie sehr schmerzt die Abschaffung des Pflegeregresses? Wichtig ist zunächst, dass er abgeschafft wurde. Das war eine langjährige Forderung der SPÖ. Der Pflegeregress war ja quasi eine Erbschaftssteuer, während Millionäre keine zahlen. Nicht selten musste das Haus verkauft werden, wenn jemand ein Pflegefall geworden ist. Getroffen hat das die Mittelschicht. Es ist nicht gerecht, wenn man sich ein Leben lang etwas erarbeitet hat und das Ganze dann für die Pflege verwendet wird.
Aber die Finanzierung dieser Maßnahme ist jetzt offenbar ein Problem für die Länder. Natürlich ist das ein Problem. Da wird es noch intensive Gespräche geben müssen. Wir Landeshauptleute sind da der einhelligen Meinung, dass die Vorgangsweise so nicht funktionieren wird. Der Bund schafft den Pflegeregress ab, und die Länder haben dann die Mehrkosten zu tragen. Die Regierung hat uns zwar 100 Millionen Euro zugesagt, aber das ist viel zu wenig.
Von wie vielen Mehrkosten reden wir im burgenländischen Fall? Wenn wir „nur“die Kosten rechnen, sind wir bei sechs, sieben Millionen Euro. Aber durch die Abschaffung des Pflegeregresses ist die Nachfrage nach Heimplätzen um 15 Prozent gestiegen. Wir müssen also mehr Pflegeheime bauen, was wieder neue Kosten verursacht. Alles in allem kommen wir deutlich über 20 Millionen Euro.
SPÖ-Bundesgeschäftsführer Max Lercher kann sich vorstellen, dass der Parteivorsitzende künftig von den Mitgliedern gewählt wird und die Wahllisten basisdemokratisch erstellt werden. Was sagen Sie dazu? Ich bin ein Anhänger der direkten Demokratie, aber man muss behutsam mit ihr umgehen, damit nicht aus Stimmungen heraus Entscheidungen getroffen werden, die langfristig schlecht sind – siehe Brexit. Wir sollten Schritt für Schritt vorgehen. Und der erste Schritt müsste sein, dass man die Mitglieder über inhaltliche Positionierungen abstimmen lässt. Natürlich muss sich die SPÖ auch mit Minderheitenthemen beschäftigen. Aber wer die Mehrheit nicht mitnimmt, wird auf Dauer keinen Wahlerfolg haben.
Und die nächsten Schritte? Ich halte eine basisdemokratische Listenerstellung für den richtigen Weg. Im Burgenland gehen wir ihn bereits. Und wenn man diese beiden Punkte – Positionen und Listen – umgesetzt hat, kann ich mir ohne Weiteres vorstellen, dass die Mitglieder auch in die Wahl des Parteivorsitzenden und des Spitzenkandidaten eingebunden werden.
Max Lercher hat auch angeregt, eines der beiden Spitzengremien der SPÖ, also Präsidium oder Vorstand, abzuschaffen. Da sehe ich den Mehrwert nicht. Das Präsidium braucht man ja, um den Vorstand vorzubereiten. Im Sinne einer effizienten Arbeit halte ich beide Gremien für wichtig.