Die Presse

Gezeichnet von Krieg und Drogen

Orangerie im Unteren Belvedere. Der Linzer Zeichner Klemens Brosch galt in der Zwischenkr­iegszeit als Shootingst­ar. Jung erlag er seiner Drogensuch­t. Ein Besuch in Wien.

- VON ALMUTH SPIEGLER bis 3. Juni, tägl. 10 bis 18 Uhr, Fr. bis 21 Uhr.

Die Geschichte des frühreifen Genies, das Klemens Brosch war, ist so tragisch wie vergessen. Zumindest außerhalb von Linz, jedenfalls in Wien, wo seit 1982 im Palais Palffy keine Einzelpräs­entation dieses Zwischenkr­iegs-Zeichners zu sehen war. Das Belvedere hat gerade einmal drei Blätter von ihm in der Sammlung, der große Rest ist in Linzer Museen verwahrt, wo Brosch hoch geehrt wird, erst 2016/17 wurde ihm im Oberösterr­eichischen Landesmuse­um und im Nordico-Stadtmuseu­m eine große Retrospekt­ive ausgericht­et. Es war eine der letzten Ausstellun­gen, die Stella Rollig als Lentos-Chefin eröffnete, sie brachte Brosch also sozusagen im Gepäck mit ins Belvedere, inklusive der Expertin für dessen Werk, Elisabeth Nowak-Thaller.

Ein Glücksfall, durchaus, so kann man sich in der Orangerie jetzt endlich ein Bild machen von diesem aus Wiener Sicht mysteriöse­n, angeblich verkannten, jedenfalls tragischen Wunderkind, das durch den Weltkrieg zum Drogensüch­tigen wurde und sich mit 32 am Pöstlingbe­rg das Leben nahm. Nach vielen Morphium- und Kokainentz­ügen legte Brosch sich dort im Dezember 1926 im blauen Skianzug auf ein Grab und chloroform­ierte sich mit einer Gasmaske zu Tode. Ein geplanter Selbstmord, er hinterließ mehrere Abschiedsb­riefe.

Einer davon beschließt auch die Wiener Ausstellun­g, allerdings ohne Transkript­ion. So steht man ein wenig verzweifel­t und schaudernd vor diesen gestochen scharf geschriebe­nen Zeilen, die man doch nicht lesen kann (jedenfalls nicht jeder). So ähnlich geht es einem mit diesem ganzen Werk. Es wirkt sehr beeindruck­end, von den technisch unglaublic­hen, feinsten Zeichnunge­n aus der Schulzeit – Brosch wurde schon vom Vater, einem Hauptschul­direktor und Fotografie­pionier, gefördert – bis zu den späten malerische­n Fantasy-Visionen im Drogenraus­ch, die aussehen wie aus den „Star Wars“-Filmen, nur eben aus den 1920er-Jahren.

Zwischen diese Pole hat Brosch eine enorme Palette an Stilen und Inhalten gepackt, die einen überforder­t mit ihrem Wust an Einflüssen von Goya über Max Klinger bis zu pompöser Kinoästhet­ik. Auch früheste Konzeptkun­st findet sich – eine ganze Wand voll Zeichnunge­n ausgetrete­ner Schuhe von 1915, die sich wohl auf ein Schuhpaar van Goghs zurückführ­en lassen (siehe Bild).

Gemalt hat Brosch sie in Wien, an der Akademie. Die Berufung des Buben war klar, der Weg vorgezeich­net – „Zeichnen ist Schicksal“, wie schon der andere große oberösterr­eichische Zeichner, Alfred Kubin, es formuliert­e (der Brosch übrigens, völlig unbegreifl­icherweise, nicht gekannt haben dürfte). Ohne Aufnahmepr­üfung wurde Brosch in Wien angenommen. Ein Jahr zuvor schon hatte er als Maturant eine Art Linzer Secession mitgegründ­et, den „März“, den Vorfrühlin­g sozusagen, gemeinsam u. a. mit Franz Sedlacek, dem späteren Maler einer Art fantastisc­hen Sachlichke­it. Brosch war also gewohnt, Erfolg zu haben, an der Akademie gewann er alle Preise, alle Stipendien, die es zu gewinnen gab. Er war ein „Shootingst­ar“, bezeichnet es Kuratorin Nowak-Thaller.

Dieser frühe Erfolg erklärt vielleicht auch einen Teil der späteren Zerrüttung, die vor allem aber einem geschuldet war, dem Krieg. 1914 meldete Brosch sich noch freiwillig. Nur eineinhalb Monate hielt es dieser Augenmensc­h aber an der Front in Galizien aus. Lunge, Herz waren zu schwach, er litt an Ohnmachtsa­nfällen, schließlic­h wurde er vom Kriegsdien­st befreit und kehrte an die Akademie zurück. Diese eineinhalb Monate veränderte­n trotzdem alles. In gespenstis­chen Zeichnunge­n sieht man, was er sah, wie er nicht wegschauen konnte von den Gräueln, von Erhängten, Erschossen­en, Verhungert­en, mit seinen für jedes Detail geschulten Augen. Es sind extrem harte Zeichnunge­n, die besten wirken wie überbelich­tete Fotos. Dieser fotografis­che, später anscheinen­d auch filmische Blick ist es, den man heraushebe­n sollte aus diesem stilistisc­h manchmal unentschlo­ssenen Werk, ihm kann man folgen, er führt einen auf die sichere, auf Broschs höchsteige­ne Seite.

Der Schrecken reichte für ihn weit über den Krieg hinaus. Er war während seines Einsatzes mit Morphium in Kontakt gekommen und ihm verfallen. Auch während seiner anschließe­nden Akademieze­it, die bis 1919 dauerte, kam er nicht mehr davon los. Seine Frau war ebenfalls Morphinist­in, gemeinsam rutschten sie in die Wiener Drogenszen­e ab, dann in die Linzer. 1920 veränderte sich dadurch Broschs Werk, das Zeichnen fiel ihm schwerer, es wurde malerische­r, die Szenen dramatisch­er, fantastisc­her, psychotisc­her, bis zu einem irren, wie eine Kulisse für „Jurassic Park“wirkenden Dinosaurie­r-Fries. Es folgen mehrere Entzugsver­suche, Selbstmord­versuche mit und ohne seine Frau, und schließlic­h, 1926, die finale Tat.

Das Wunderkind, so stellt man es sich zumindest vor, wird von den Bildern, die es rief, verschlung­en. Man blickt auf das „Ex Libris“, das er für sich zeichnete: Ein junger Mann, die nackte Künstlerex­istenz, hockt auf einer Riesenhand, die den Zeichensti­ft hält. Sie ist wie eine Faust hochgereck­t ins unendliche Weltall. Brosch blickt darauf wie gebannt hinauf in dieses Sternenmee­r, ein Abwenden unmöglich.

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