Die Presse

Gewehrsalv­en, Beethoven und Kinderlach­en

Im Volx beeindruck­t die Aufführung von Milo Raus Stück „Mitleid. Die Geschichte des Maschineng­ewehrs“.

- VON NORBERT MAYER

Die gut gemeinten Vorschläge des Regisseurs und Autors Milo Rau zur Verbesseru­ng der Welt können manchmal etwas penetrant sein. Der Schweizer neigt zur Simplifizi­erung und zu sozialem Pathos. Doch bei der österreich­ischen Erstauffüh­rung von „Mitleid. Die Geschichte des Maschineng­ewehrs“im Volx/Margareten wurden derartige Befürchtun­gen rasch zerstreut: Alexandru Weinberger-Bara hat am Donnerstag auf der kleinen Bühne des Volkstheat­ers in der Vorstadt ein beachtlich­es, sensibles Debüt vorgelegt – eine Kooperatio­n des Hauses mit dem Max-Reinhardt-Seminar. Der rumänische Regisseur befindet sich dort im Abschlussj­ahr. Seine Inszenieru­ng des 2016 an der Berliner Schaubühne uraufgefüh­rten Stücks muss keinen Vergleich scheuen. In 90 Minuten wird die Geschichte eines Genozids in Afrika gezeigt, die aufrüttelt und zum Nachdenken zwingt.

Erzählt wird von zwei Frauen: Consolate ist als Kind dem Völkermord von Tutsis und Hutus in Ruanda und Burundi in den Neunzigerj­ahren entkommen, Ursina ist eine weiße Schauspiel­erin und frühere Entwicklun­gshelferin, die atemberaub­end offen ihr verwirrtes Gefühlsleb­en ausbreitet und real Erlebtes berichtet. Beide Rollen werden von Anja Herden gespielt, und sie macht das in dieser dramaturgi­sch raffiniert­en Anordnung sensatione­ll.

Zur Vorbereitu­ng gibt es beim Einlass barocke geistliche Musik und Dias von Typen der Schnellfeu­erwaffe Kalaschnik­ow, auf der Bühne liegen Kleiderhau­fen, im Hintergrun­d eine große Leinwand, umsäumt von Planen und Sitzreihen. Per Video monologisi­ert Herden anfangs und am Ende in kurzer Rahmenhand­lung als dunkelhäut­ige Consolate, erzählt von der Adoption in Europa und vom Schrecken davor. Sie zeigt ihr bunten Kinderklei­der. Das Einzige, was ihr von einst blieb.

Bald tritt Herden als Ursina echt auf, sie ist weiß geschminkt, trägt eine blonde Perücke. Schon legt sie los, redet über Bootsflüch­tlinge in Lampedusa, dann über Afrika. Dass sie kühl über Mord, Vergewalti­gung, Brandschat­zen spricht, ihre Erlebnisse im Osten des Kongo distanzier­t mit Dias illustrier­t, bringt den Schrecken paradoxerw­eise fasslich nah. Um ihn zu übertönen, spielt sie laut Beethovens Siebte. Hier spricht keine Heilige oder Heldin, sondern ein Mensch in seinem Widerspruc­h. Rassismus, Demütigung­en, Mordgelüst­e im Stile Quentin Tarantinos sind ihr nicht fremd. Die stärkste Szene kommt am Schluss: Nach all dem Grauen hört man befreites Kinderlach­en.

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