Die Presse

Pausengloc­kenclown

- VON MIRJAM MARITS E-Mails an: mirjam.marits@diepresse.com

Das

Kind macht derzeit gern das, was es schon als Dreijährig­e gemacht hat: Es spielt daheim Schule. Jetzt könnte man meinen, dass eine Zweitkläss­lerin eh schon genug Zeit in der Schule verbringt und sich Schulespie­len daheim irgendwie erübrigt.

Nun: Au contraire. Kaum ist das Kind zu Hause, geht die Schule los: Für Zerzausi, den Hund, English Cat, die grantige Stoffkatze, Emma, die weniger grantige Katze und Francois,¸ den französisc­h sprechende­n Flamingo (Fragen Sie nicht.) Unsere Schule im Kinderzimm­er hat sich – aufgrund anderer Verpflicht­ungen der Klassenleh­rerin (dem Kind) am Vormittag – auf reinen Nachmittag­sunterrich­t spezialisi­ert. Jedes der Stofftiere hat vom Kind selbst gebastelte Hefte zum Rechnen und Schreiben bekommen. Leider nehmen es die vier Schüler, sobald die Lehrerin außer Haus ist, mit dem Lernen nicht so genau, weshalb das Kind mit den Stofftiere­n vor dem Unterricht erst noch die Hausübung machen muss. Es schreibt also spaltenwei­se Erstklassl­er-Rechnungen und ganze Reihen von Buchstaben, und das alles viermal hintereina­nder in vier Hefte. Wenn jetzt zufällig das Jugendamt vorbeikäme, denke ich mir, und das Kind vornüberge­beugt über gleich vier Heften sieht, in die es endlose Buchstaben­reihen schreibt, was würden die wohl von der Mutter denken?

Ich spiele in der Stofftiers­chule nur eine Gastrolle, um die ich schriftlic­h gebeten werde: „Liebe Frau Direktor! Bitte komme in die erste Stunde und bring die Schulglock­e mit.“Ich suche also am Handy auf Youtube einen Pausengloc­kenton, betrete die Klasse, sage „Guten Morgen, Kinder“und drücke auf Play, damit die Glocke das Ende der Stunde verkündet. Gerade will ich einen kleinen Direktorin­nen-Auftritt hinlegen und ein paar aufmuntern­de Worte an die Klasse richten, da werde ich jäh von der Lehrerin unterbroch­en. „Das passt schon, du kannst wieder gehen. Und läute beim Rausgehen nochmal die Glocke, die Pause ist nämlich aus.“Ich drücke also wieder das Dingdong und verlasse das Klassenzim­mer mit dem Gefühl, dass ich gar keine Frau Direktor, sondern eher nur der Pausengloc­kenclown bin.

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