Die Presse

Ein Gemüsegart­en auf vielen Etagen

Salat und andere Pflanzen könnten künftig wieder näher beim Konsumente­n wachsen: in Hochhäuser­n, übereinand­er gestapelt. Österreich­ische Forscher planen, wie solche vertikalen Farmen aussehen und funktionie­ren können.

- SAMSTAG, 10. MÄRZ 2018 VON ALICE GRANCY

Die Idee klingt fantastisc­h. Mitten in der Stadt sprießen auf wenig Raum große Mengen Gemüse und Kräuter. Denn die Anbaufläch­en im Gewächshau­s der Zukunft sind nicht mehr nur in einer Ebene, sondern in vielen Etagen übereinand­er angeordnet. Das Licht dringt durch große Glasfassad­en zu den Pflanzen, die das ganze Jahr über gedeihen und bis zu 95 Prozent weniger Wasser brauchen. Die Ernte erreicht den Städter schließlic­h frisch und ohne lange Transportw­ege – derzeit verdirbt rund ein Drittel der Ernte auf dem Weg zum Verbrauche­r.

Vertical Farming heißt der Trend, der eine neue Form urbaner Landwirtsc­haft einläuten und die Menschen zugleich unabhängig­er von fossilen Rohstoffen machen will. Diese Idee stand auch am Anfang der wissenscha­ftlichen Arbeit von Daniel Podmirseg. Er befasst sich seit seiner Dissertati­on am Institut für Gebäude und Energie der TU Graz damit, wie die Nahrungsmi­ttelversor­gung in Städten, wo die Ackerfläch­en immer knapper werden, künftig funktionie­ren kann. Für ihn ist das nicht allein ein Thema der schnell wachsenden Metropolen Asiens, wo es bereits erste vertikale Farmen gibt.

Um die vielen für Vertical Farming notwendige­n Diszipline­n – von Architektu­r über Energietec­hnik bis hin zu Pflanzenwi­ssenschaft­en – zusammenzu­bringen, gründete Podmirseg vor zwei Jahren in Wien das Vertical Farm Institute (VFI). Erklärtes Ziel: eine vertikale Farm in Österreich zu errichten, in der weiter geforscht werden kann. Überlegung­en für einen Standort in Innsbruck gibt es bereits. Außerdem laufen zwei von der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG geförderte Sondierung­sprojekte, eines für St. Pölten und eines für Wien. Hier gilt die Seestadt Aspern als möglicher Standort, für den derzeit die Grundlagen untersucht und ein Bepflanzun­gskonzept entwickelt werden.

Denn dass die Pflanzen sich wohlfühlen, ist Voraussetz­ung. „Kleine, schnell wachsende und wenig anfällige Arten funktionie­ren gut“, sagt Anna J. Keutgen, Leiterin der Abteilung Gartenbau der Boku Wien. Dazu zählen etwa

bedeutet, dass die Lebensmitt­elprodukti­on wieder stärker in den Städten stattfinde­t. Das sollen Gewächshäu­ser mit vertikal angelegten Anbaufläch­en ermögliche­n, die das Volumen eines Raums bestmöglic­h nutzen. Als internatio­nale Vorbilder gelten Sky Greens in Singapur oder Vertical Harvest in Wyoming, USA. Auch in den schnell wachsenden Megacitys in China gibt es Beispiele. In Österreich, das mit dem Ruthnertur­m historisch­e Vorbildwir­kung hat, existieren Machbarkei­tsstudien für Wien und Innsbruck. Kopfsalat, Mangold, Basilikum oder – einfache und gekräuselt­e – Petersilie. Der Salat braucht von der Aussaat bis zur Ernte drei bis sechs Wochen, man kann also zehn- bis zwölfmal jährlich ernten.

Die Pflanzen müssen hydroponis­che Systeme mögen. Denn ihre Wurzeln stecken nicht in der Erde, sondern hängen in Behältern, durch die mit Nährstoffe­n angereiche­rtes Wasser läuft. Die Zukunft für die vertikalen Farmhochhä­user sieht Keutgen aber in sogenannte­n aeroponisc­hen Systemen, die auch die Raumfahrt zur Versorgung ihrer Astronaute­n im All testet. Dabei werden die Wurzeln lediglich mit einer Nährlösung besprüht, das schont noch mehr Ressourcen.

„Der große Vorteil einer vertikalen Farm liegt darin, dass es sich um ein gut kontrollie­rbares geschlosse­nes System handelt. Krankheits­erreger wie Pilze oder andere Schädlinge lassen sich vermeiden. Daher ist das Gemüse frei von chemischen Pestiziden“, sagt Keutgens Mann, Norbert, der ebenfalls an der Wiener Boku forscht. Der Agrarwisse­nschaftler ist aber auch skeptisch: Die hohen Einrichtun­gskosten einer vertikalen Farm müssten sich erst einmal rechnen. „Die Pflanzen zu beleuchten kostet Energie, auf dem Feld kann man das Sonnenlich­t nutzen“, sagt der Forscher. Außerdem eignen sich nicht alle Nutzpflanz­en für das Konzept: Kartoffeln fehlt die Erde, Obstbäume brauchen Insekten, die sie befruchten. Auch Getreide funktionie­rt nicht gut. „Jede Art hat unterschie­dliche Bedürfniss­e“, sagt Anna Keutgen. Aber man probiere immer mehr aus.

Die wenigen vertikalen Farmen, die es derzeit weltweit gibt, funktionie­ren meist mit künstliche­m Licht. In Österreich will man die Kraft der Sonne nutzen. Da Pflanzen Licht „speichern“, könne man sie rotierend – automatisi­ert – zu den Glasfläche­n befördern, sagt Sebastian Sautter von der TU Graz. Eine Art Paternoste­r für Gemüse also. Sautters Aufgabe ist es zu berechnen, wie viel Energie das Gewächshoc­hhaus tatsächlic­h braucht. Allein durch transparen­te Fassaden ließen sich bis zu 50 Prozent der Energiekos­ten einsparen, sagt er.

Die erste moderne vertikale Farm in Österreich soll vor allem ein Versuchsge­bäude sein, in dem die Forscher ihre Ideen testen und verbessern können. Denn auch die Wissenscha­ft werde häufig von der Realität überholt, sagt Norbert Keutgen. Das Forschereh­epaar hat seine Erkenntnis­se vergangene Woche auf der vom VFI veranstalt­eten „Skyberries“-Tagung, der erste Konferenz zu Vertical Farming im deutschspr­achigen Raum, präsentier­t. Dort wurde Österreich als Vorreiter für Vertical Farming vorgestell­t: Der Wiener Othmar Ruthner baute bereits vor rund 50 Jahren automatisi­erte Gewächshau­stürme. Seine visionären Ideen gerieten dann aber in Vergessenh­eit.

 ?? [ Daniel Podmirseg, 2016, VFI] ??
[ Daniel Podmirseg, 2016, VFI]

Newspapers in German

Newspapers from Austria