Die Presse

Wahlalter: Mit 16 besonders motiviert

2007 wurde das Wahlalter gesenkt. Die politische Teilhabe nimmt schon nach wenigen Jahren ab. Weibliche Erstwähler­innen unterschät­zen ihr Wissen oft – und bleiben daheim.

- VON ERICH WITZMANN

Je jünger, desto interessie­rter an der Politik. Die 16- und 17-Jährigen beteiligte­n sich an der Nationalra­tswahl im Oktober 2017 in höherem Ausmaß als die 18- bis 20-Jährigen – wobei diese Jahrgänge zum ersten Mal zu einer Parlaments­wahl aufgerufen waren. „Dieses Detail hat uns auch überrascht“, sagt die Politikwis­senschaftl­erin Sylvia Kritzinger.

Seit das Wahlalter für alle politische­n Körperscha­ften in Österreich von 18 auf 16 Jahre gesenkt wurde, also seit 2007, hat das Parlament wissenscha­ftliche Studien über das Wahlverhal­ten der Erstwähler nach den Nationalra­tswahlen 2008, 2013 und 2017 in Auftrag gegeben. Sylvia Kritzinger vom Institut für Staatswiss­enschaft der Uni Wien analysiert mit einem Team seit 2009 die Wahlbeteil­igung der Erstwähler. „16- und 17-Jährige sind noch in der Schule und im Elternhaus eingebette­t“, so die Uni-Professori­n. In der Schule gibt es das Fach Politische Bildung und besondere Informatio­nen zu den Wahltermin­en. Mit den Eltern werde ebenfalls über Politik gesprochen.

Zu unreif und zu unreflekti­ert für die Wahlteilna­hme seien die Jugendlich­en jedenfalls nicht, heißt es schon in der Kurzfassun­g der jüngsten Studie zur Wahl 2017. Ihre Wahlbeteil­igung ist wieder etwas gestiegen. Denn 2013 rutschte sie auf gerade einmal 63 Prozent bei den 16- und 17-Jährigen sowie

sind jene Jahrgänge besonders interessan­t, die vor der Wahlalters­enkung im Jahr 2007 noch nicht wahlberech­tigt waren, also die 16und 17-Jährigen. Fazit: Sie wurden in der Schule gut informiert und nehmen meist auch an Wahlen teil.

gehören zur Erstwähler­gruppe. Ihre Wahlbeteil­igung ist im Vergleich zu den beiden jüngeren Jahrgängen bereits etwas geringer. 59 Prozent bei den 18- bis 20-Jährigen ab – bei einer Gesamtbete­iligung von 74,9 Prozent. Die Schule als Bildungsin­stanz dürfte einer der wesentlich­en Faktoren für die Stimmabgab­e sein. Das zeigt sich etwa daran, dass Berufstäti­ge – darunter fallen auch Lehrlinge – bezüglich der Wahlteilna­hme weniger aufgeschlo­ssen sind.

Jene, die die Schule verlassen haben, einer Erwerbsarb­eit nachgehen, haben bereits weitergehe­nde Lebensinte­ressen. Eine schon 2009 veröffentl­ichte Studie von Flooh Perlot (Institut für Strategiea­nalysen in Wien) und Martina Zandonella (Sora, Institute for Social Research and Consulting) zeigt, dass bei erwerbstät­igen Erstwähler­n der Anteil derjenigen, die wenig oder gar nicht an der Politik interessie­rt sind, bei 54 Prozent liegt, bei AHS-Schülern hingegen nur bei 27 Prozent. Bei den BHS–Schülern zeigen schon 36 Prozent der Schüler kein oder wenig Politikint­eresse.

Ähnlich wie die Berufstäti­gen stehen auch Erstwähler­innen der Politik eher distanzier­t gegenüber, ihre Wahlbeteil­igung liegt deutlich unter jener ihrer männlichen Altersgeno­ssen. „Wir beobachten den Geschlecht­eruntersch­ied seit mehreren Jahrzehnte­n“sagt Sylvia Kritzinger. In den Erhebungen habe sich gezeigt, dass junge Frauen genauso viel über die Politik und die politische­n Vertretung­skörper wissen wie die Männer. Kritzinger: „Aber ihre Selbsteins­chätzung und Selbstwahr­nehmung ist eine andere.“Hier wirke noch das alte Rollenbild nach, nach dem die Politik eine Angelegenh­eit der Männer ist.

Wichtig ist die erste Teilnahme an einer Wahl. Bei jenen, die schon bei der ersten Gelegenhei­t wegbleiben, ist die Gefahr, zum ständigen Nichtwähle­r zu werden, groß. Und jene, die bei ihrer ersten Wahlberech­tigung auch aktiv wurden, müssen sozusagen bei der Stange gehalten werden. Denn es zeigt sich beim Vergleich der vergangene­n drei Nationalra­tswahlen, dass die Beteiligun­g der Erst- wählergrup­pe bei der nachfolgen­den Wahl zurückgega­ngen ist.

Dass die Schüler eine zufriedens­tellende Beteiligun­g bei den Nationalra­tswahlen, hingegen die Studenten eine äußerst ernüchtern­de bei den Hochschüle­rschaftswa­hlen – 24,5 Prozent bei der ÖH-Wahl 2017 – zeigen, erklärt Kritzinger mit dem Fachtermin­us der „Wahlen verschiede­ner Ordnung“. So stuft die Politikwis­senschaftl­erin den bundesweit­en Urnengang für den Nationalra­t als „erste Ordnung“ein, Landtagsun­d Gemeindera­tswahlen als „zweite Ordnung“. Die „Wahlen dritter Ordnung“wie etwa jene der Arbeiterka­mmerwahl oder eben die ÖH-Wahl treffen auf ein weitaus geringeres Interesse.

Österreich ist zurzeit das einzige Land in der EU, das auf allen politische­n Ebenen das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt hat. Die jüngsten österreich­ischen Studien werden von „Autnes – Austrian National Election Study“durchgefüh­rt. Die Plattform wurde bis 2016 vom Wissenscha­ftsfonds FWF und seit 2017 über das Wissenscha­ftsministe­rium finanziert.

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[ Clemens Fabry ]

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