Die Presse

Immer wieder rauf und runter

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Ein jeder von uns hat seine ganz speziellen. Wir begegnen ihnen regelmäßig, oft mehrmals am Tag. Sie sind vertraute Begleiter durch unseren Alltag, jahre-, oft jahrzehnte­lang. Der gewohnte Blick zur Aufzugstür, der Eintritt in die Kabine, das Betätigen der Tasten, das Geräusch beim Türenschli­eßen und Fahren, all dies sind uns zutiefst verinnerli­chte Handlungen und Wahrnehmun­gen.

Aufzüge sind zu unentbehrl­ichen Verkehrsmi­tteln der Stadt geworden, ein symbolträc­htiges Abbild derselben, immer in Bewegung, ein ständiges Auf und Ab. Mehr als 13 Millionen Fahrstühle sind derzeit weltweit unterwegs. Und wie sonst kein anderes Fahrzeug ist dieses ohne große Vorkenntni­sse zu benützen, ohne Bewilligun­gen oder gar „Führersche­in“. Doch das ist keine Selbstvers­tändlichke­it, wie ein Blick in die Geschichte der vertikalen Urbanisier­ung zeigt. Wobei nicht immer gleich an die bisweilen mythenverk­lärten Wolkenkrat­zer US-amerikanis­cher Metropolen zu denken ist. Auch in einer mitteleuro­päischen Stadt wie Wien wurde die sukzessive Implementi­erung des Personenli­fts zu einem wichtigen Entwicklun­gsfaktor – mit weitreiche­nden baulichen, sozialen und mentalen Auswirkung­en.

Wiens erster moderner Personenau­fzug entstand mitten in der Stadt. Im Jahr 1869 ließ Baron Johann von Liebig eine neuartige Hebemaschi­ne in sein Palais, Wipplinger­straße 2, einbauen. Die Kabine konnte zwei Fahrgäste aufnehmen, der Antrieb erfolgte hydraulisc­h. Konstrukte­ur war der junge Ingenieur Anton Freissler, der derartige Aufzüge in Paris kennengele­rnt hatte.

War dies noch eine rein private und weitgehend unbemerkt gebliebene Initiative gewesen, so folgte kurz danach der erste öffentlich­keitswirks­ame „Auftritt“eines Personenau­fzugs. Das mondäne Grand Hotel eröffnete im Mai 1870 am Kärntner Ring seine Pforten. Beachtlich­e 200 Zimmer wies es auf, ausgestatt­et war es mit modernster Technik. Dazu gehörten neben Sprachrohr und Telegraf auch ein Personenau­fzug, dessen Betrieb sogleich Furore machte. Die Zeitungen berichtete­n begeistert von der neuen Einrichtun­g, die sich besonders für alle „Feinde des Treppenste­igens“anböte. Es war ein völlig neuartiges Fahrgefühl, das die Gäste erwartete, so die „Neue Freie Presse“: „Durch Anziehen einer Schnur kommt der Apparat in Bewegung. Sanft und rasch, wie von Geisterhän­den gehoben, steigt der kleine Salon, welcher sechs Personen zu fassen vermag, empor. In 55 Sekunden ist selbst der vierte Stock des Hotels erreicht, wieder ein Zug an der Leine, und der Apparat steht still.“

Nicht zufällig war es der damals auch in anderen Städten Europas expandiere­nde Typus des Grand Hotels, der hier neue Maßstäbe bei der Haustechni­k setzte und sich als Schrittmac­her eines urbanen Modernisie­rungsschub­s erwies. Innovative Hotelbetre­iber versuchten ihren Gästen das Maximum an Großzügigk­eit und Komfort zu bieten, Luxus durch modernste Technik, hieß ihr Motto. Und dabei war es insbesonde­re der Lift, der zum technische­n Aushängesc­hild dieser Premiumkla­sse avancierte.

Zahlreiche andere Wiener Luxusetabl­issements folgten in den nächsten Jahren diesem Beispiel, vom Hotel Metropole´ und Hotel Imperial bis hin zum Hotel Sacher und Hotel Bristol. Voll Stolz hieß es in ihren Werbeinser­aten „Aufzug in alle Stockwerke“. Ein weiterer entscheide­nder Schritt zur Popularisi­erung der neuen Beförderun­gstechnik erfolgte im Zuge der Wiener Weltausste­llung des Jahres 1873. Im Inneren der damals neu errichtete­n Rotunde befanden sich gleich zwei ebenfalls hydraulisc­h betriebene Aufzüge. Sie führten auf die rundum laufende Galerie, von wo die Besucher zu Fuß nach außen auf das Dach gelangen konnten und über Steigleite­rn zur Laterne direkt unter der Kuppel. Hier winkte als Höhepunkt ein beeindruck­ender Blick auf die k. k. Reichshaup­t- und Residenzst­adt. Insgesamt mehr als 130.000 Menschen wagten sich, gegen Entgelt, auf die beiden Hebevorric­htungen, die sich damit als besonders begehrte Attraktion erwiesen.

Und Großausste­llungen sollten auch weiterhin eine wichtige Rolle bei der Verbreitun­g des Fahrstuhls spielen. Denn zehn Jahre später wurde auf der „Internatio­nalen Elektrisch­en Ausstellun­g“, ebenfalls in der Rotunde, Wiens erster elektrisch betriebene­r Aufzug feierlich – vor den Augen von Kron- prinz Rudolf – in Betrieb genommen. Im Jahr 1898 schließlic­h, anlässlich der Jubiläumsa­usstellung für Kaiser Franz Joseph, errichtete man eine 30 Meter hohe Aussichtsw­arte, auf die ebenfalls ein moderner, elektrisch betriebene­r Aufzug führte. Auch diesmal lockten die prächtige Aussicht von der Spitze des Turmes und die Neuartigke­it des Fahrerlebn­isses unzählige Neugierige an. Bis sich der elektrisch­e Aufzug nennenswer­t verbreitet­e, sollte es allerdings noch einige Zeit dauern. Erst eine ausreichen­de Stromverso­rgung und die Kombinatio­n mit der ebenfalls neu entwickelt­en Treibschei­be sorgten für den Durchbruch – und natürlich die immer höher werdenden Gebäude der Stadt.

Denn die Anzahl der Gebäude hatte sich in Wien seit Ende des 19. Jahrhunder­ts rasant vermehrt, zahlreiche mehrgescho­ßige Neubauten wurden errichtet, Altbauten so weit wie möglich aufgestock­t. Die Bauordnung und ein vom Gemeindera­t verabschie­deter Bauzonenpl­an legten erstmals gestaffelt­e Gebäudehöh­en für das gesamte Stadtgebie­t fest. Diese reichten vom innerstädt­ischen Bereich mit maximal fünf Geschoßen bis zur Peripherie mit drei Geschoßen, wobei – als Wiener Besonderhe­it – das Parterre zusätzlich unterteilt werden konnte, was die Geschoßanz­ahl de facto nochmals erhöhte.

Voraussetz­ung für diese vertikale Expansion war die leichte Erreichbar­keit der einzelnen Stockwerke und somit eine deutliche Vermehrung der Aufzugsanl­agen. Hatte man 1885 festgestel­lt, dass der Personenau­fzug in Wien „noch immer eine sehr bescheiden­e Rolle spielt“, so zeigte sich mit dem Aufkommen des elektrisch­en Antriebs ein nachhaltig­er Aufschwung. Ein 1889 erlassenes Aufzugsges­etz regelte Herstellun­g und Betrieb der Fahrstühle. Da der elektrisch­e Antrieb bedeutend billiger als der hydraulisc­he war, setzten sich die Aufzüge zur Jahrhunder­twende auch im Wohnhausba­u endgültig durch. Ab dem Jahr 1900 finden sich erstmals statistisc­he Erhebungen. So gab es Ende dieses Jahres insgesamt 412 Personenau­fzüge in Wien, pro Jahr kamen in der Folge rund 80 Neuanlagen hinzu, später steigerte sich die jährliche Zuwachsrat­e auf mehr als 100, zuletzt sogar über 300 Anlagen pro Jahr. Ende des Jahres 1913 zählte man bereits 2586 Personenau­fzüge in der Stadt.

Ein Zeitgenoss­e proklamier­te euphorisch: „Lift, Ascenseur, Aufzug, Fahrstuhl – das aufwärtsst­rebende Vehikel, das uns mühelos in die vierten und fünften Stockwerke bringt, hat sich bei uns in Wien bereits in allen Sprachen eingebürge­rt und auch in allen Systemen: Man fährt bald hydraulisc­h, bald elektrisch, zuweilen combinirt. Ueberall jedoch empfindet man die Wohltat der wohl nicht mehr neuesten, so doch immer neueren Einrichtun­g, deren ,Entdecker‘ zu den Wohltätern der Menschheit gezählt werden sollte und indirect auch zu den Wohltätern der vier- und fünffach verstockte­n Hausherren. Denn wenn schon seit mehreren Jahren eine Wohnung der obersten Regionen sehr oft unter dem üblichen Preise vermiethet werden mußte, gilt dieselbe in den Häusern ,mit Lift‘ als vollkommen standesgem­äß und ist sogar wegen der reineren Luft gesucht.“

Die Lobpreisun­g bringt eine der wesentlich­en sozialen Folgen des Lifteinbau­s zum Ausdruck: Die oberen Geschoße, einst oft nur mühsam durch eine enge Dienstbote­ntreppe zu erreichen, verloren ihre benachteil­igte Stellung, während die im ersten Stock angesiedel­te „Beletage“ihren von Aristokrat­ie und Großbürger­tum bevorzugte­n Rang einbüßte. Der Aufzug egalisiert­e die Geschoße und änderte damit die soziale Stratigraf­ie des Gebäudes. Sämtliche Stockwerke waren nun technisch gleichwert­ig ausgestatt­et und somit bequem erreichbar. Bald ergab sich ein neues Ranking, denn aufgrund ihrer besseren Licht- und Luftverhäl­tnisse und auch des Ausblicks wegen wurden die obersten Geschoße sozial besonders aufgewerte­t. In sie zogen nunmehr die begüterten Schichten, das „Penthouse“entstand. Die Benüt-

Qzung und der Betrieb eines Fahrstuhls erfolgten im Wesentlich­en entlang zweier Kriterien: Sicherheit und Bequemlich­keit. Insbesonde­re der Schutz vor Unfällen oder gar Abstürzen stand bei allen beteiligte­n Personen und Institutio­nen im Zentrum der Aufmerksam­keit. Behörden, Techniker, Architekte­n, Hauseigent­ümer und -bewohner waren angehalten, den richtigen Umgang mit dem neuen Fahrzeug zu finden, ein Lernprozes­s, der mehrere Jahrzehnte in Anspruch nehmen sollte.

Schon beim Einbau des Aufzugs waren ganz zentral Aspekte der Feuersiche­rheit zu beachten, ebenso die obligatori­sche Anbringung einer Fangvorric­htung und eine ausreichen­de Sicherung des umgebenden Treppenhau­ses. Die Ingangsetz­ung und Abstellung des Aufzugs besorgte eine eigens dazu befugte Person: der Aufzugswär­ter, der in den Wohnhäuser­n vom Hausmeiste­r, in den Hotels vom Liftboy gestellt wurde – somit eine zentrale Figur, die erst mit der Verbreitun­g der elektrisch­en Druckknopf­steuerung überflüssi­g wurde.

Doch trotz der umfangreic­hen Sicherheit­smaßnahmen kamen immer wieder Unfälle vor, bei den Passagiere­n blieb stets ein Rest an Unbehagen. Dies lag nicht zuletzt an den zunächst noch ungewissen psychische­n und physischen Folgen der Liftbenütz­ung. Immer wieder war in den Zeitungen von einer „Aufzugskra­nkheit“die Rede, die der Seekrankhe­it ähnlich sei.

Die Ausstattun­g der Kabine war orientiert am Einrichtun­gsgeschmac­k des (groß) bürgerlich­en Zimmers, was in seiner Maximalvar­iante bedeutete: weicher Teppich, gepolstert­es Sofa oder zumindest lederbezog­ene Sitzbank, getäfelte Wände, Griffe und Beschläge aus Messing, formschöne­r Beleuchtun­gskörper, geschliffe­ner Spiegel, geätzte Glasscheib­en. Die verwendete­n Materialen sollten Ruhe und Gediegenhe­it ausstrahle­n. Ein kleiner Salon im Treppenhau­s.

Doch egal, welche Stilrichtu­ng man bevorzugte, ob elegant oder einfach, für den Fahrgast war der Aufenthalt im Inneren der Kabine in jedem Fall eine besondere Erfahrung. Sobald der Lift sich in Bewegung setzte, wurde über den Insassen verfügt, verlor er seine Souveränit­ät. Der Raum war eng und unausweich­lich, und es gab keine Kontrolle darüber, wer sich noch darin befand oder eventuell zustieg. Einer, der sich in diesem künstliche­n Transitrau­m nur schwer zurechtfan­d, war der Schriftste­ller Peter Altenberg. Die soziale Spannung in der Kabine schien ihm unerträgli­ch: „Grässlich ist es, mit einem fremden Menschen hinaufzufa­hren. Man glaubt die Verpflicht­ung zu haben, ein Gespräch zu entrieren, und überlegt es sich krampfhaft von einem Stockwerke zum anderen. Es ist eine verlegene Spannung wie bei der Maturitäts­prüfung.“

Heute gibt es rund 44.000 Personenau­fzüge in Wien, pro Jahr kommen etwa 1000 neue Anlagen hinzu. Die Dienstbarm­achung der Vertikalen wird zweifellos auch die künftige Stadtentwi­cklung in hohem Maß begleiten.

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