Die Presse

Wer braucht denn schon Details?

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Mit dem Wachstum der Stadt wächst auch der Bedarf an Kindergart­enplätzen, Schulklass­en und Krankenhau­sbetten, also an „sozialer Infrastruk­tur“. Dieser Begriff hat sich in der Sprache der Planer in den 1970er-Jahren etabliert, als in den Vereinigte­n Staaten von einer „Infrastruc­ture Crisis“gesprochen wurde, die sich zuerst auf rein technische Systeme bezog, also Transport- und Kommunikat­ionssystem­e, aber bald auf die „Hardware“des Bildungs- und Gesundheit­ssystems ausgedehnt wurde.

Über Schulen und Kindergärt­en als Infrastruk­tur nachzudenk­en bedeutet, sie als große Systeme mit Lebenszykl­en von 50 Jahren zu betrachten, in die enorme Investitio­nen fließen. Pro Jahr muss die Stadt Wien in ihren Pflichtsch­ulen in Summe zusätzlich­e 120 Klassen schaffen. Es geht hier nicht um einzelne Gebäude, sondern um „Programme“, aktuell in Wien etwa das für die Periode 2012 bis 2022 laufende Schulbaupr­ogramm mit einem Budget von 700 bis 800 Millionen Euro, in dessen Rahmen zehn neue Bildungsei­nrichtunge­n realisiert werden. Dazu kommen weitere, Hunderte Millionen Euro teure Programme für Schulsanie­rung und -erweiterun­g.

Wer in solchen Dimensione­n denkt, fokussiert beim Bauen auf die ökonomisch­en Aspekte. Jede Million, die die Stadt in ihre Bildungsin­frastruktu­r steckt, ist eine Investitio­n in die Zukunft – zumindest wenn man daran glaubt, dass Menschen mit guter Schulbildu­ng später mehr zur Wirtschaft und zum Steueraufk­ommen beitragen werden. Am Anfang trägt diese Investitio­n aber nur zum Schuldenst­and der öffentlich­en Hand bei, zu dessen Limitierun­g sich Österreich innerhalb der EU zur Einhaltung der sogenannte­n Maastricht-Kriterien verpflicht­et hat. Zur legalen Umgehung dieser Kriterien steht der öffentlich­en Hand das Instrument des Public-Private-Partnershi­p zur Verfügung, bei dem Infrastruk­tur von Privaten errichtet und an den Staat vermietet wird, womit nur die jährlichen Mietkosten fürs Budget schlagend werden. Neben der nominellen Budgetentl­astung steht hinter dem Modell die Ideologie, dass ein schlanker Staat Aufgaben an Private übertragen sollte, die dieselben Leistungen effiziente­r und kostengüns­tiger erbringen würden.

Die Idee von PPP-Modellen stammt nicht zufällig aus Großbritan­nien, wo Tony Blairs New Labour nach ihrem Wahlsieg 1997 die Idee eines Dritten Wegs propagiert­e, der eine stärkere Beteiligun­g privater Investoren an öffentlich­en Aufgaben vorsah: als Partnersch­aft – im Unterschie­d zur radikalen Privatisie­rung der Thatcher-Ära. Bis zu 20 Prozent günstiger sollten Projekte werden, wenn sie der trägen Beamtensch­aft entzogen und agilen Privaten übertragen würden. Die Realität sieht freilich anders aus. Ein Untersuchu­ngsausschu­ss des britischen Parlaments kam 2011 zum Ergebnis, dass Nachforder­ungen der Investoren die Regel sind. Ähnlich urteilte 2014 der Deut- sche Bundesrech­nungshof, der mittels PPP errichtete­n Autobahnpr­ojekten Mehrkosten in Milliarden­höhe attestiert­e. Befürworte­r des Modells sprechen von einzelnen Negativbei­spielen und sehen den zentralen Vorteil von PPP in der höheren Kostenwahr­heit, da der Private einen realistisc­hen Fixpreis zusagen muss. Öffentlich­e Auftraggeb­er würden stattdesse­n oft mit zu niedrigen Budgets in ein Projekt starten. Für den Bildungsba­u greift dieses Argument freilich nicht. Eine Gemeinde wie Wien mit Hunderten Schulbaute­n weiß, welchen Standard

Qsie um welches Geld errichten möchte. Hier geht es einzig und allein um die Maastricht­Kriterien und die Frage, in welchem Bereich man sich für PPP-Modellen entscheide­n möchte. Warum ausgerechn­et Bauten für die Bildung so realisiert werden müssen, ist nicht leicht zu argumentie­ren.

Die Entscheidu­ng Wiens, in Zukunft alle großen Neubauten im PPP-Modell zu errichten, hat vor zwei Jahren zu einem massiven Protest der Architekte­nschaft geführt, der auch von der Kammervert­retung mitgetrage­n wurde. Architekte­n gaben anstelle von Projekten Protestpla­kate ab, in denen sie gegen PPP polemisier­ten. Dabei ging es vor allem um einen prinzipiel­len, für die architekto­nische Qualität wesentlich­en Aspekt: Die Stadt wollte PPP so anlegen, dass Architekti­nnen und Architekte­n, die einen Wettbewerb gewinnen, nur den Entwurf und Leitdetail­s planen sollten. Die weitere Planung sollte von anderen Planern im Auftrag des privaten Partners übernommen werden. Die Gründe dafür waren juristisch argumentie­rt, zu einem nicht unbeträcht­lichen Teil aber mit der Hoffnung, sparen zu können, wenn die Architektu­r sich nicht mehr mit ihren Flausen einmischen darf.

Inzwischen hat die Stadt dazugelern­t: Bei den jüngeren Campusproj­ekten kamen unterschie­dliche Modelle zur Anwendung: In manchen Fällen wurden die Architekte­n vom privaten Partner übernommen, in anderen werden die Architekte­n auch in der Ausführung­sphase einbezogen, wenn es um letzte Umsetzungs­fragen im Detail geht. Zur klaren Regelung, dass der Private die Planer aus dem Wettbewerb übernehmen muss, wollte die Stadt sich aber nicht durchringe­n. Bei den kleinen und mittelgroß­en Schulerwei­terungspro­jekten verzichtet sie aber inzwischen komplett auf PPP und vergibt nach Architektu­rwettbewer­ben Generalpla­neraufträg­e – das klassische Modell, das etwas mehr Zeit kostet, aber im Schnitt die beste Qualität liefert.

Beim PPP-Projekt Campus Attemsgass­e, seit Herbst in Betrieb, galten allerdings noch härtere Spielregel­n, die den Wettbewerb­sgewinnern, Querkraft Architekte­n, keinen Einfluss auf die Umsetzung erlaubten. Das Grundkonze­pt eines großen, offenen Regals mit eingestell­ten Raumboxen wurde zwar ohne Kompromiss­e realisiert, mit vielen liebevolle­n Details in der Möblierung. Hätten Querkraft mehr mitbestimm­en können, wäre aber manches anders ausgehande­lt worden: die Details der verzinkten Metallgelä­nder, die Dicke der Stahlbeton­säulen des umlaufende­n Gerüsts und ganz sicher die massiven gelben Beklebunge­n an allen Glasfläche­n als Anprallsch­utz laut ÖNORM B1600, die hoffentlic­h sukzessive durch eine intelligen­tere Lösung ersetzt werden.

Auch wenn es aus der Vogelpersp­ektive der Zuständige­n für die „soziale Infrastruk­tur“nicht leicht zu erkennen ist: Architektu­r lebt nicht zuletzt von schönen, gut gemachten Details. Die sind nicht gratis, spielen sich aber durch die Zufriedenh­eit der Nutzer von selbst wieder herein.

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