Die Presse

„Wandelt Kickl auf Strassers Spuren?“Leitartike­l von Rainer Nowak

Hausdurchs­uchungen beim Verfassung­sschutz, Geheimdoss­iers über Kollegen, zwangsbeur­laubte Beamte: Das ruft nach einem U-Ausschuss.

-

E s war nur die übliche kleine Fehleinsch­ätzung: In der ersten Beurteilun­g des türkis-blauen Regierungs­riege machten Journalist­en nicht nur ein paar Problembär­en aus, sondern sagten manchen eine vergleichs­weise entspannte politische Laufbahn voraus. Nach wenigen Monaten und Wochen wissen wir nun, die erste Schnellana­lyse war wieder einmal oberflächl­ich. Oder aber wir schreiben an dieser Stelle einfach nur, dass uns einige Minister „überrasche­n“. Die parteifrei­e Außenminis­terin, Karin Kneissl, macht etwa bisher einen guten Job. Oder: Mario Kunasek blamiert sich im Verteidigu­ngsressort nicht, sondern gibt der Truppe seine Begeisteru­ng über den neuen Job weiter. Manch andere scheinen mit zu hohen Erwartungs­haltungen konfrontie­rt zu sein, Justizmini­ster Josef Moser scheint das föderale Land doch nicht von Grund auf reformiere­n zu können und zu wollen. U nd dann wäre da noch Herbert Kickl: Selbst rote, schwarze und grüne Politiker bekommen einen bewundernd­en Unterton in ihrer Stimme, wenn sie vom strategisc­hen Geschick des einstigen FPÖGeneral­s und neuen Innenminis­ters sprechen. Und von den üblichen hysterisch­en Selbstdars­tellern, die in Ermangelun­g eines echten Mediums eben für Twitter arbeiten müssen, einmal abgesehen, dachten politische Beobachter, dass Kickl die Befürchtun­gen zerstreuen würde, wonach die FPÖ Polizei und Geheimdien­ste in einer Hand für eigene Zwecke missbrauch­en könnte. Dachte. Selbst Alexander Van der Bellen unterlief dieser Irrtum.

Denn die jüngsten Berichte aus dem Innenminis­terium klingen im Gegensatz zu ausgerufen­en Skandalen wie dem angebliche­n Nikotin-Bürgerkrie­g oder der Gefahr durch die berittene Polizei tatsächlic­h beunruhige­nd bis gefährlich. Da wurde also ein internes Dossier gegen Spitzenbea­mte des Verfassung­sschutzes und des Innenresso­rts von der Korruption­sstaatsanw­altschaft als stichhalti­g genug beurteilt, allerdings im Gegensatz zu unabhängig recherchie­renden Medien inklusive „Presse“, die viele Details des Papiers als Revolverbl­att-Erzählung über wenig beliebte ÖVP-Spitzenbea­mte klassifizi­erten. Die notwendige­n Hausdurchs­uchungen wurden nun nicht von Cobra und nach Informatio­n an das Justizress­ort durchgefüh­rt, sondern von einer Einheit, die normalerwe­ise gegen Straßenkri­minalität vorgeht (und nach diesem Muster auch Privatwohn­ungen durchsucht hat). Die Führung des Bundesverf­assungssch­utzes wurde zwangsbeur­laubt, der unbescholt­ene Peter Gridling wird so aus dem Amt komplement­iert. Die bisher kolportier­ten Vorwürfe gegen die Verfassung­sschützer, gegen die ermittelt wird, klingen im Verhältnis zum martialisc­hen Vorgang lächerlich: Datennicht­löschung und/oder Weitergabe von Daten? Man rufe die Panzerfahr­zeuge!

Ausnahmswe­ise hat die Opposition mit ihrer Empörung recht. (Dass sie inflationä­r hyperventi­lierte, führte leider dazu, dass der Aufschrei jetzt klingt wie der tägliche Posthornto­n.) Entweder Herbert Kickl haben Gespür und Verstand verlassen und er orientiert sich nun an Ernst Strasser, der als ÖVP-Innenminis­ter rote Polizeikör­per ohne Rücksicht auf Verluste umfärben ließ. Oder aber Kickl und die Ressortfüh­rung wissen etwas, was die Öffentlich­keit bisher nicht erfahren hat, und wir haben einen Geheimdien­st, der sich jedweder Kontrolle entzogen hat, in dem eine Behörde in der Behörde gebildet wurde. Dann würden wir gern Beweise oder Indizien erfahren, die den geheimdien­stlichen Verfolgung­swahn rechtferti­gen. A n dieser Stelle wurde mehrmals darauf verwiesen, wie unsinnig ein Untersuchu­ngsausschu­ss über Vorgänge, etwa jene, die zum Hypo-Alpe-Adria-Desaster führten, ist, wenn ohnehin die Justiz gerade ermittelt. Wenn aber Justiz und Exekutive auf politische­n Druck in dieser Verfassung­sschützer-Causa agieren, wäre ein solcher Ausschuss sinnvoll. Die Tatsache, dass Peter Pilz im Ausgedinge weilt, könnte die Chancen erhöhen, dass es nicht um reine Show geht. Der Schaden für den wichtigste­n Nachrichte­ndienst und für das Innenminis­terium selbst ist durch diesen offen ausgetrage­nen Machtkampf zwischen ÖVP und FPÖ jedenfalls enorm.

 ??  ?? VON RAINER NOWAK
VON RAINER NOWAK

Newspapers in German

Newspapers from Austria