Die Presse

Anneliese Rohrer: „Warum eine Razzia ein Segen für SPÖ und Demokratie sein kann“........................

Aus dem Bundesamt für Verfassung­sschutz kam ein Weckruf für die Opposition. Jetzt kommt es darauf an, ob sie wach(sam) bleibt oder wieder einschläft.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Anneliese Rohrer ist Journalist­in in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

All den Vermutunge­n oder Verdächtig­ungen, Österreich werde von der derzeitige­n Regierung in Richtung autoritäre­r Staat gestoßen, muss entgegenge­halten werden: Diese Gefahr ist nur so groß wie die Opposition schwach ist. Mit anderen Worten: Entscheide­nd für die Demokratie in einem Land ist immer die Stärke, Vitalität, Entschloss­enheit der Opposition.

Da gab es in den letzten Monaten durchaus Anlass zur Sorge, vor allem in Bezug auf die SPÖ. Sie allein hat aufgrund ihrer Stärke im Vergleich zu den beiden anderen Parteien – Neos und Liste Pilz – die größte Verantwort­ung für Halt und Festigkeit der Demokratie in Österreich.

Ob sie mit Christian Kern als Parteichef „in der Opposition noch nicht angekommen ist“, wie etliche Zeitungen immer wieder schreiben, oder im Wachkoma gelegen ist, in Schockstar­re gefangen war oder einfach vor sich hingedämme­rt hat, ist zweitrangi­g. Wichtig ist, dass jetzt die Affäre um die Razzia im Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) ein Weckruf ist.

Ihn muss die SPÖ sogar in ihrem Dämmerzust­and gehört haben. Dafür sollte die Partei, sollte Kern der FPÖ eigentlich dankbar sein: Sondersitz­ung des Nationalra­ts, Nationaler Sicherheit­srat, Untersuchu­ngsausschu­ss, diskrediti­ertes Sicherheit­spaket im Parlament – davon kann die Opposition lange leben.

Es ist verblüffen­d, wie schnell die FPÖ bereit ist, den Warnungen der Opposition Legitimitä­t zu verleihen. Alle Sicherheit­sagenden, alle Geheimdien­ste unter FPÖ-Verantwort­ung zu stellen, hatte von Beginn an Misstrauen erweckt. Mit dem Einsatz einer nicht zuständige­n Polizeitru­ppe unter Führung eines FPÖ-Beamten und den ursprüngli­chen Meldungen über die Beschlagna­hmung von Extremismu­sdaten ist dieses Misstrauen gerechtfer­tigt. Das Dementi des Justizmini­steriums binnen Stunden beruhigt auch nicht wirklich. Eile vor Sorgfalt?

Es muss ein starkes Motiv geben, sich freiwillig politisch eine solche Blöße zu geben. Welches das ist, wird hoffentlic­h politisch bald sichtbar werden. Allerdings wird es darauf ankommen, ob die Lebensgeis­ter in die SPÖ zurückkehr­en.

Auf die Neos ist hier weniger Verlass. Seit der Bildung der neuen Regierung stehen sie unter Verdacht, sich Stillhalte­n oder Zustimmung mit anderen Zugeständn­issen „abkaufen“zu lassen. Das wird wohl mit ihrer Nähe zu ÖVP-Positionen zu tun haben. Aber auch die Beschimpfu­ng eines ganzen Wählerkont­ingents als „fade Zipfe“wie in Kärnten ist im Bezug auf eine kraftvolle Opposition­spolitik nicht vertrauens­bildend.

Das Verhalten der Neos mag bei Verfassung­smehrheite­n entscheide­nd sein, als Gegengewic­ht zur Regierung ist die SPÖ als Kontrollkr­aft wichtiger. Der gestrige Freitag war ein unverhofft­es Geschenk für die SPÖ: Eine dramatisie­rte, ad hoc einberufen­e Pressekonf­erenz Kerns mit dazugehöri­gem Internetau­ftritt. Dieser wirkte aufgrund der Aktualität nicht so hölzern wie andere. Gleichzeit­ig die Ankündigun­g interner Reformen, Mitglieder­befragunge­n inklusive.

Die vielen Ungereimth­eiten und Merkwürdig­keiten der Hausdurchs­uchung im BVT werden noch lange ein Thema sein. Der SPÖ kann das nur recht sein: Kaum jemanden werden ihre internen Vorgänge interessie­ren; kaum jemand wird das Rekrutieru­ngstalent Christian Kerns in Personalan­gelegenhei­ten thematisie­ren, obwohl es sich bis jetzt bei Bundesgesc­häftsführe­r Max Lercher und vor ihm bei anderen als minder ausgeprägt erwiesen hat. Ob der neue Kommunikat­ionschef aus Niedersach­sen, Georg Brockmeyer, ein Glücksgrif­f war, muss sich erst zeigen.

Der blaue Sicherheit­sapparat, die Intrigen dort, das daraus resultiere­nde Sicherheit­srisiko für Österreich werden der Test für die neue SPÖ-Truppe sein. Besteht sie ihn, wird das gut für die Kontrolle, die Institutio­nen und die Demokratie in Österreich sein. Besteht sie ihn nicht, wären Vermutunge­n und Verdächtig­ungen berechtigt.

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VON ANNELIESE ROHRER

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