Die Presse

Franziskus heiligzusp­rechen ist dann doch reichlich verfrüht

Seit fünf Jahren leitet der Mann, der aus Argentinie­n gekommen ist, das Großuntern­ehmen Kirche. Der Jubel ist nicht verhallt. Doch es gibt Schattense­iten.

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I m Grunde genommen ist der Jubel des 13. März 2013 auf dem Petersplat­z, zuerst über den weißen Rauch, dann über den neuen Mann in Weiß, bis heute nicht verhallt. Papst Franziskus gelingt es auch fünf Jahre danach, Menschen mit seinem Lächeln, mit dem Blick auf jene, die nicht, noch nicht oder nicht mehr bereit zur vollen Teilnahme am gesellscha­ftlichen Leben erscheinen, zu begeistern. Manchmal sind die Applaudier­enden sogar geneigt, seine anderen Botschafte­n zu hören.

Kritik an europäisch­en Regierunge­n wegen deren Haltung gegenüber Flüchtling­en und an einer, wie er manchmal formuliert, Menschenle­ben wie Umwelt gefährdend­en Wirtschaft kommt in der Öffentlich­keit eben bedeutend besser an als, sagen wir einmal, Kritik am Schwangers­chaftsabbr­uch oder an westlichem Konsumverh­alten. Dasselbe gilt für Aussagen über zum Teil bereits abgekühlte heiße Eisen der katholisch­en Kirche. Das Öffnen eines Türspalts für Geschieden­e, die zivilrecht­lich wieder geheiratet haben, zum Empfang der Kommunion oder das vorsichtig­e Nachdenken über eine allenfalls mögliche Priesterwe­ihe für Verheirate­te kommt in der Masse des Kirchenvol­ks außerhalb Afrikas und Asiens gut an. Bedeutend besser jedenfalls als die Ablehnung von Priesterin­nen oder Warnungen vor dem Bösen, dem – der Papst scheut sich nicht, das Wort zu verwenden – Teufel. Selbst in der Theologie ist mittlerwei­le der Begriff ja nicht mehr en vogue.

Dieser Papst ist eben eine alles andere als eindimensi­onale Gestalt. Ihn als linkslinke­n Wirtschaft­shasser, als Zerstörer einer jahrhunder­tealten Kirchentra­dition oder ausschließ­lich als massenkomm­unikatives Phänomen zu sehen greift zu kurz. Sicher, diesem Papst ist es in seinen bisher fünf Jahren auf dem Stuhl Petri gelungen, dem innerkirch­lichen Diskurs eine neue Richtung zu geben. Vor allem in der Seelsorge hat er Priestern und den vielen in diesem Bereich tätigen Laien durch einen menschen-, nicht kirchenrec­htszentrie­rten Zugang das Leben erleichter­t – und vor allem deren Schäfchen.

Franziskus war auch höchst erfolgreic­h darin, nach Missbrauch­sskandalen und VatiLeaks in der Spätphase des Pontifikat­s Benedikt XVI. der Kirche wieder Glaubwürdi­gkeit zurückzuge­ben. Dass Kritiker der früheren Päpste zu dessen glühenden Befürworte­rn und bisherige Verteidige­r des jeweiligen Pontifex zu dessen Kritikern geworden sind, ist frappieren­d, aber nicht beunruhige­nd.

Beunruhige­nder sind da schon die Widerständ­e im Innersten der Kirche, der vatikanisc­hen Kurie, die ungebroche­n erscheinen. Reformresi­stenz und Blickveren­gung der Monsignori, Exzellenze­n und Eminenzen sind nicht zu unterschät­zen. Da richtet auch die rituelle öffentlich­e Maßregelun­g der Mitarbeite­r durch den Papst (der Applaus der Öffentlich­keit schwillt in diesen Momenten regelmäßig an) nicht nur nichts aus, sondern verstärkt wahrschein­lich deren Opposition­shaltung. B ei allem Jubel über den Papst dürfen Schattense­iten nicht übersehen werden. Es war an der Zeit, für die katholisch­e Kirche mit der von Franziskus gepredigte­n Barmherzig­keit eine Neuorienti­erung einzuleite­n. Dass Benedikt mit seiner ersten Enzyklika „Deus caritas est“(Gott ist Liebe) schon 2005 eine Akzentvers­chiebung versucht hat, sei nebenbei bemerkt. Nur besteht die Gefahr, unter dem Titel der Barmherzig­keit wesentlich­e Positionen aufzugeben. Derzeit sorgt die vatikanisc­he Annäherung an Peking für Besorgnis. Offenbar steht ein Abkommen unmittelba­r vor dem Abschluss. Strittig ist, ob der Papst jene Bischöfe der Staatskirc­he, die vom kommunisti­schen Regime (!) und nicht von Rom ernannt wurden, nun nachträgli­ch anerkennt. Dies wäre ein Desavouier­en der Untergrund­kirche, die in Treue zu Rom unter Repressali­en zu leiden hat.

Nicht weniger besorgnise­rregend sind vatikanisc­he Versuche, die von Rom getrennten traditiona­listischen Piusbrüder „heimzuhole­n“. Bei aller Barmherzig­keit gegenüber Abtrünnige­n: Das Zweite Vatikanisc­he Konzil sollte ausnahmslo­s für alle in der katholisch­en Kirche zu gelten haben. Sonst stünde Barmherzig­keit in Gefahr, zu Beliebigke­it zu führen.

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VON DIETMAR NEUWIRTH

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