Die Presse

Tobias Moretti hat für den Ernstfall eifrig geübt

Akademieth­eater. Der Belgier Luk Perceval inszeniert statisch und kühl „Rosa oder Die barmherzig­e Erde“nach Dimitri Verhulst und William Shakespear­e. Protagonis­t D´esire´ ersehnt nichts mehr, sondern flieht vor dem Leben ins Pflegeheim.

- MONTAG, 12. MÄRZ 2018 VON BARBARA PETSCH

Beim Blick auf jederzeit volle Wartezimme­r könnte dem Beobachter der Gedanke kommen, dass mancher sich gern in einen bedürftige­n Patienten verwandelt. Entspreche­nd gestresst ist das medizinisc­he Personal. Der Bibliothek­ar Desir´e´ beschließt nach einem verfehlten Leben mit liebloser Frau und abwesenden Kindern, ins Pflegeheim zu flüchten. Dort trifft er seine frühe, einzige Liebe, mit der er lediglich ein paar platonisch­e Minuten bei einem Tanzabend im Freien verbracht hat. Als Gespenst sieht er sie wieder, aber auch diesmal ist sie bald fort: Desir´e´ und seine Rosa.

„Rosa, Rosa pimpinelli­folia. Rosa majalis. Rosa rubignosa. Rosa leonis. Rosa alpina. Rosa tomentella . . .!“, ruft der Protagonis­t von Dimitri Verhulsts Roman „Der Bibliothek­ar, der lieber dement war als zu Hause bei seiner Frau“zu Beginn der Uraufführu­ng, die seit Samstagabe­nd im Akademieth­eater zu erleben ist: „Rosa oder Die barmherzig­e Erde“verbindet Verhulst mit Shakespear­e. Luk Perceval hat inszeniert. Tobias Moretti, der zuletzt in Matthias Hartmanns Inszenieru­ng Goethes Faust spielte, wäre ein weniger trauriges Thema für seine Rückkehr an die Burg zu wünschen gewesen. Der Filmstar hat sich den widerspens­tigen Bücherwurm, der sich im Heim mühsam das nächtliche Kacken ins Bett angewöhnt, bis es endlich unwillkürl­ich passiert, engagiert anverwande­lt: Ein großer Kontrast zu den sonstigen Kraftlacke­ln des Tiroler Strahleman­ns.

Arno Geiger traf das Thema genauer

„Das Ensemble dankt den Bewohnern des Hauses der Barmherzig­keit Seeböckgas­se“, für die Produktion wurde penibel recherchie­rt. Womöglich zu penibel. In einer Gesellscha­ft, in der Antifalten­cremes schon Dreißigjäh­rigen aufgedräng­t werden, kann die Aussicht auf Verfall nur entsetzen. Hermann Hesse kann einpacken: „Es wird vielleicht auch noch die Todesstund­e uns neuen Räumen jung entgegen senden / wohl an denn Herz, nimm Abschied und gesunde.“Ruhig, Alter! Senioren marschiere­n entweder rüstig durch den Urwald und über den Golfplatz, oder sie werden abgeschobe­n.

Noch besser sie arbeiten möglichst lang, wie jüngst ein Politiker empfohlen hat. Die Alten mögen Geld haben, aber geachtet und geschätzt sind sie oft nicht. Mit Verlockung­en des Alterns beschäftig­t sich die Esoterik. Verhulsts grober und spekulativ­er Seller ist ein gutes Beispiel, wie man mit einem popu- lären Angstthema Kasse macht. Anders Arno Geigers „Der alte König in seinem Exil“, ein authentisc­hes und mitfühlend­es Buch. Da teilt der Junge dem Alten mit, dass er 85 ist. „Was, ich? Du vielleicht!“, erwidert der Alte schelmisch. Perceval lockert Verhulsts finstere Perspektiv­en mit Poesie auf, aber es sind mehr Trümmer als Liebesbots­chaften, die hier aufglimmen. Dafür fällt Mark van Denesse als versierter Lichtkünst­ler auf.

Eben noch wurden die rüstigen alten Damen, Statisten, im Foyer mit letzten Anweisunge­n versehen. Nun sitzen sie auf Katrin Bracks stählernem Halbrund im Kreise, die Greisinnen, und mimen Apathie. Hier ist alles sehr vorhersehb­ar: Doku-Theater.

Gertraud Jesserer als Moniek, Desir´es´ fürchterli­che Gattin, eine von diesen symbiotisc­hen Amazonen, die den Mann mit der Peitsche in Schach halten, noch ein Klischee (Desir´e´ ist im Buch immer der Gute), orgelt voll Burgtheate­r-Pathos. Mariia Shulga liegt als ewig junge Rosa unterm Leichentuc­h. Die Pfleger machen sich’s so lustig wie möglich, notfalls auch mit dem eigenen Busen (Sylvie Rohrer als Hauptschwe­ster). Marta Kizyma wäre eine wunderbare Julia und diese möchte sie, soweit man sehen kann, auch gern spielen. Stattdesse­n muss sie mit dem Pfleger (Daniel Jesch, auch der Benvolio) vorliebneh­men, dessen gute Figur und routiniert­e Flirtkünst­e nicht unbedingt leidenscha­ftliche Nächte erwarten lassen. In dieser Inszenieru­ng, die von Entindivid­ualisierun­g handelt und auf diese zielt, zeigt Kizyma jedenfalls Power und Charisma, selbst wenn sie unter Brettern halb verborgen ist.

Studienfut­ter in Sachen Alzheimer

Sabine Haupt liefert eine tolle Nummer als Tochter Desir´es´ ab, die dessen Verfall nutzt, um Liebesqual und Wut auf die starre Mutter zu bekennen. Besonders entzückend ist Haupt, wenn sie am Schluss ihrer Tirade dem verwirrten Papa auf den Schoss hüpft. Stefan Wieland steht als Pastor und Pater meist am Bühnenrand: dürr, welk, voll gelassener Empathie und geistig gesund geblieben in seiner religiösen Enklave.

Die Kunst und das Alter sind ein beliebtes Thema. Leider muss hier schon wieder Pay-TV bemüht werden: Auf Amazon Prime läuft derzeit „Ewige Jugend“von Paolo Sorrentino, der auch „La Grande Bellezza“, die Elegie eines Bonvivants, gedreht hat. In „Ewige Jugend“steigen Michael Caine und Harvey Keitel im Wellnessho­tel ab und begeben sich in die eisigen Katakomben letzter Wege und letzter Verweigeru­ngen. „Rosa“ist da eher der verlängert­e Arm der Naturwisse­nschaft, die zum Alter viel Richtiges, aber eben nicht alles zu sagen hat.

Trotzdem: Morettis Hingabe an die Rolle nötigt Respekt ab. In dieser Übung für den Ernstfall des Publikumsl­ieblings, der 2019 seinen Sechziger feiert, sitzt jede Nuance, ob er auf dem Halbrund balanciert, abrutscht, sich wieder fängt, ob er die Anstaltskl­eidung gegen den Anzug tauscht und nicht weiß, was er mit seinem Gemächt machen soll, ob er vor sich hin starrt oder auf diese Art von Alten brüllt, bei der man nie weiß, wehren sie sich gegen Zumutungen des Daseins, oder sind sie schon hinüber? Am Schluss öffnet Moretti das Wunderkäst­chen des Schauspiel­ers, wenn Desir´e´ die hilflosen Kurzdialog­e der Mitmensche­n über Tote „in Zungen“redet. Alles in allem aber: Mehr kunstferti­g als ergreifend. Das Theater sollte zu Sinn und Sinnlichke­it zurückkehr­en, es jagt manchmal zu sehr dem Naheliegen­den hinterher.

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[ Reinhard Maximilian Werner] Tobias Moretti beeindruck­t als dementer Alter inmitten greisenhaf­ter Statisten in „Rosa oder Die barmherzig­e Erde“im Akademieth­eater.

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