Politik mit erhobenem Zeigefinger
Busek/Brix fordern einen neuen EU-Blickwinkel auf die mitteleuropäischen Staaten.
Als sich Erhard Busek und Emil Brix 1986 zusammentaten und ein Buch mit dem Namen „Projekt Mitteleuropa“schrieben, erregte dies Aufsehen. Zwei ausgewiesene Mittelosteuropa-Experten befassten sich darin – einige Jahre vor dem Fall des Eisernen Vorhangs – ausführlich mit der Vision eines grenzüberschreitenden Mitteleuropas. Jetzt, mehr als 30 Jahre später, haben die beiden sich wieder zusammengesetzt und ein gemeinsames Buch verfasst. „Mitteleuropa revisited“heißt das Werk, das vergangene Woche auch in der Diplomatischen Akademie präsentiert wurde.
Mittlerweile sind die meisten früheren kommunistischen Staaten EU-Mitglieder – und zugleich auch im Mittelpunkt aktueller politischer Debatten, weil sie sich nicht so verhalten, wie Brüssel das erwartet. Stichworte: nationalistische Strömungen, Populismus, Nein zur Flüchtlingspolitik.
Die Autoren versuchen, die Ursachen für diese Entwicklung darzulegen, aber auch Lösungen zu formulieren. Einer der Gründe – besonders in Sicherheitsfragen – ist die Erfahrung dieser Länder mit Moskau. „Sie brauchen Zeit, um das zu überwinden. Sie sind in einer Phase des Lernprozesses“, gab sich Busek bei der Präsentation des Buches gelassen.
Ein zweiter wichtiger Punkt ist das Verhältnis der alten EU- zu den neuen Mitgliedern. „Der Westen kommt mit erhobenem Zeigefinger daher, gibt ihnen das Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein, und will sie bevormunden“, meinte Brix. Erst, wenn man in Brüssel dies einsehe und auf glei- cher Augenhöhe miteinander rede, gebe es echte Integration.
Brix sieht derzeit sogar die Gefahr eines Auseinanderbrechens der EU. Im Moment kümmere sich in Brüssel niemand um Mittelosteuropa, daher würden die Türkei und China das Vakuum ausfüllen. Die EU-Politik müsse ihren Blick weniger auf Westeuropa richten und Symbole setzen, dass sie es mit ihrer Neuorientierung in Richtung Osten ernst meine. Etwa, indem man Krakau als zweite EUHauptstadt deklariere. (gb)