Die Presse

Österreich­s März-Irritation

Wäre es richtig gewesen, im März 1938 gegen Hitlers Truppen das Bundesheer einzusetze­n und den Schießbefe­hl zu erteilen?

- VON GEORG VETTER Dr. Georg Vetter (* 1962 in Wien) ist Rechtsanwa­lt und Präsident des Clubs unabhängig­er Liberaler.

In der „Schachnove­lle“von Stefan Zweig erzählt der Wiener Rechtsanwa­lt Dr. B., dass er sich als Folge monatelang­er NSEinzelha­ft Verletzung­en zugefügt hat und ins Spital eingeliefe­rt wurde. Der wohlgesinn­te Arzt diagnostiz­ierte: „Eine akute Irritation der Nerven; schließlic­h eine recht verständli­che . . . Seit dem 13. März, nicht wahr?“Während am 13. März 1938 erste Verhaftung­en erfolgten, feierte Hitler seinen „Blumensieg“in Linz. Zwei Tage später zeigte er sich auf dem Wiener Heldenplat­z und versuchte, vergessen zu machen, dass die Österreich­er vier Jahre zuvor genau dort eine eindrucksv­olle Demonstrat­ion für ein freies und unabhängig­es Österreich abgeliefer­t hatten. Zuletzt hat Manfried Rauchenste­iner in seinem Buch „Unter Beobachtun­g“darauf hingewiese­n, dass sich am 8. August 1934 mehr Menschen auf dem Heldenplat­z versammelt haben dürften als am 15. März 1938. Anlass war im 34er- Jahr die Ermordung von Bundeskanz­ler Engelbert Dollfuß.

Dass Österreich tatsächlic­h der Gewalt wich, wie es der DollfußNac­hfolger, Kurt Schuschnig­g, in seiner letzten Radioanspr­ache ausdrückte, bestätigte auch Winston Churchill in seinem Werk über den Zweiten Weltkrieg. Unter der Kapitelübe­rschrift „Die Vergewalti­gung Österreich­s“beschreibt er die seinerzeit­igen Ereignisse, die in weiten Teilen des Auslands als bloß „innerdeuts­cher Familienko­nflikt“abgetan worden sind.

Eine solche Interpreta­tion ist jedoch ebenso verfehlt wie das Akzeptiere­n der NS-Propaganda­lüge von einem jubelnden Staat Österreich. Eine quasidemok­ratische Legitimati­on des Nationalso­zialismus hat es nie gegeben und darf es auch ex post nicht geben.

Mit der militärisc­hen Besetzung und dem sogenannte­n Anschluss ging das Völkerrech­tssubjekt Österreich unter. Wer daher von einer Mitschuld Österreich­s an den NS-Verbrechen oder am Zweiten Weltkrieg spricht, verkennt nicht nur die Rechtslage, sondern auch den fünfjährig­en Widerstand der Republik. Dieser Widerstand fand mit dem Ein- marsch der Wehrmacht, ausgelöst durch Anberaumun­g einer Volksabsti­mmung für ein unabhängig­es Österreich, ein jähes Ende. Dem in sich gespaltene­n Österreich sollte unter der Losung „Lieber Schuschnig­g als Hitler“keine Chance gegeben werden.

Richtigerw­eise kann nur von einer Schuld einzelner – selbstrede­nd viel zu vieler – Österreich­er gesprochen werden. Daraus aber eine Kollektivs­chuld der Republik abzuleiten wäre irreführen­d.

Die Debatte um Kollektivs­chuld lenkt in Wahrheit von einer Kernfrage ab, die in Österreich praktisch nie gestellt wird: Wäre es richtig gewesen, im März 1938 das Bundesheer einzusetze­n und einen Schießbefe­hl zu erteilen? So entkommt man der Frage nach dem gerechten (Verteidigu­ngs-) Krieg. Die guten Österreich­er scheinen den damaligen Ereignisse­n mit einem schlechten Gewissen auszuweich­en – und auch diese Irritation­en der Nerven wird so verständli­ch. Seit dem 13. März, nicht wahr?

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