Polen ist nicht vertrauenswürdig
Justiz. Ein irisches Gericht verweigert die Auslieferung eines Verdächtigen und verweist auf die mangelnde Unabhängigkeit der polnischen Justiz. Warschau droht die rechtliche Isolation.
Der High Court in Dublin hat eine juristische Lawine ins Rollen gebracht. Die Entscheidung, einen verdächtigen polnischen Staatsbürger nicht auszuliefern, weil die Unabhängigkeit der Justiz in dessen Heimat nicht mehr gewährleistet sei, erhöht den Druck auf die Regierung in Warschau, die politische Einflussnahme auf Gerichte zu stoppen. Was der EU-Kommission mit ihrem Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 7 bisher nicht geglückt ist, könnte nun über nationale Gerichte und in weitere Folge über den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gelingen: die Wiederherstellung einer verlässlichen Rechtsstaatlichkeit im sechstgrößten Mitgliedland der EU.
Polen, das von Irland als nicht mehr vertrauenswürdig eingestuft wird, droht andernfalls die rechtliche Isolation. Die irische Richterin Aileen Donnelly hatte die polnische Justizreform als „schädlich“für den Rechtsstaat und die Demokratie bezeichnet. Sie argumentierte: Sollte der wegen Drogendelikten verdächtige Pole in seine Heimat überstellt werden, erwarte ihn eine Justiz, deren Unabhängigkeit nicht garantiert sei.
Europarechtsexperte Walter Obwexer von der Universität Innsbruck kann diese Begründung nicht nur nachvollziehen, er betont im Gespräch mit der „Presse“sogar, dass die irische Richterin gar nicht anders hätte handeln dürfen. „Wenn die Person nach Polen ausgeliefert wird, könnte es nämlich passieren, dass aufgrund der nicht mehr gegebenen Unabhängigkeit der polnischen Gerichte deren Recht auf ein faires Verfahren verletzt würde.“Damit würde auch Irland die europäischen Grundwerte verletzen. Im Falle von Polen gebe es für die EU-Partnerländer gute Gründe, den Vollzug von Gerichtsentscheidungen oder einen Haftbefehl nicht mehr durchzuführen. Obwexer nennt als Beleg die kritische Bewertung der polnischen Justiz durch die Venedig-Kommission des Europarats und das von der EU-Kommission eingeleitete Verfahren. Der Rechtsexperte sieht den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, wie er im EU-Recht als Voraussetzung für die Zusammenarbeit der nationalen Justizbehörden verankert ist, nicht mehr gegeben.
Die polnische Regierung hat Richter des Obersten Gerichtshofs zwangsweise in Ruhestand geschickt und den politischen Einfluss auf deren Nachbesetzung erhöht. Sie hat die Veröffentlichung von Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs verweigert und in einer weiteren Reform die Absetzung und Neubestellung von Richtern an ordentlichen Gerichten so geregelt, dass diese künftig im Ermessen des Justizministers liegen.
Obwexer rechnet nun damit, dass auch andere Gerichte in der EU den Vollzug von Entscheidungen polnischer Gerichte verwei- gern werden. „Es könnte sein, dass ein Unternehmen aus der EU zwar in Polen rechtskräftig zur Bezahlung einer gewissen Summe verurteilt wird, aber dass die Gerichte jenes Landes, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat, die Vollstreckung verweigern.“Polen droht also auch wirtschaftlicher Schaden, wenn es auf die prekäre Situation nicht angemessen reagiert.
Vorerst scheint es aber nicht so zu sein: Der polnische Vize-Justizminister, Marcin Warchoł, übte heftige Kritik an Irland. „Das ist unglaublich, und ich hoffe, dass die Entscheidung geändert wird“, sagte er in einer ersten Reaktion. Richterin Donnelly habe sich von abstrakten Erwägungen und „Spekulationen“leiten lassen.
Zuletzt hatte die Regierung in Warschau gehofft, ausreichend Unterstützung weiterer Mitgliedstaaten zu erhalten, um das Arti- kel-7-Verfahren der EU-Kommission wegen Verstößen gegen die Grundwerte der Gemeinschaft abzuschmettern. Nach Ungarn kündigten auch die Regierungschefs der baltischen Staaten an, sie würden Sanktionen gegen Polen im Rat der EU nicht mittragen.
Die EU-Kommission hat Warschau bis Ende März Zeit gegeben, auf die Kritik an der Justizreform zu reagieren. Doch Ministerpräsident Mateusz Morawiecki betont, er sehe die Rechtsstaatlichkeit seines Landes ausreichend abgesichert.
hat die Auslieferung eines polnischen Staatsbürgers verweigert. Eine Richterin des High Court setzte damit das Abkommen zum Europäischen Haftbefehl außer Kraft. Sie begründet die Weigerung damit, dass dem Verdächtigen kein faires Verfahren in Polen garantiert werden könne, da die Gerichte nicht mehr unabhängig seien.