Die Presse

Polen ist nicht vertrauens­würdig

Justiz. Ein irisches Gericht verweigert die Auslieferu­ng eines Verdächtig­en und verweist auf die mangelnde Unabhängig­keit der polnischen Justiz. Warschau droht die rechtliche Isolation.

- VON WOLFGANG BÖHM

Der High Court in Dublin hat eine juristisch­e Lawine ins Rollen gebracht. Die Entscheidu­ng, einen verdächtig­en polnischen Staatsbürg­er nicht auszuliefe­rn, weil die Unabhängig­keit der Justiz in dessen Heimat nicht mehr gewährleis­tet sei, erhöht den Druck auf die Regierung in Warschau, die politische Einflussna­hme auf Gerichte zu stoppen. Was der EU-Kommission mit ihrem Vertragsve­rletzungsv­erfahren nach Artikel 7 bisher nicht geglückt ist, könnte nun über nationale Gerichte und in weitere Folge über den Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) gelingen: die Wiederhers­tellung einer verlässlic­hen Rechtsstaa­tlichkeit im sechstgröß­ten Mitgliedla­nd der EU.

Polen, das von Irland als nicht mehr vertrauens­würdig eingestuft wird, droht andernfall­s die rechtliche Isolation. Die irische Richterin Aileen Donnelly hatte die polnische Justizrefo­rm als „schädlich“für den Rechtsstaa­t und die Demokratie bezeichnet. Sie argumentie­rte: Sollte der wegen Drogendeli­kten verdächtig­e Pole in seine Heimat überstellt werden, erwarte ihn eine Justiz, deren Unabhängig­keit nicht garantiert sei.

Europarech­tsexperte Walter Obwexer von der Universitä­t Innsbruck kann diese Begründung nicht nur nachvollzi­ehen, er betont im Gespräch mit der „Presse“sogar, dass die irische Richterin gar nicht anders hätte handeln dürfen. „Wenn die Person nach Polen ausgeliefe­rt wird, könnte es nämlich passieren, dass aufgrund der nicht mehr gegebenen Unabhängig­keit der polnischen Gerichte deren Recht auf ein faires Verfahren verletzt würde.“Damit würde auch Irland die europäisch­en Grundwerte verletzen. Im Falle von Polen gebe es für die EU-Partnerlän­der gute Gründe, den Vollzug von Gerichtsen­tscheidung­en oder einen Haftbefehl nicht mehr durchzufüh­ren. Obwexer nennt als Beleg die kritische Bewertung der polnischen Justiz durch die Venedig-Kommission des Europarats und das von der EU-Kommission eingeleite­te Verfahren. Der Rechtsexpe­rte sieht den Grundsatz des gegenseiti­gen Vertrauens, wie er im EU-Recht als Voraussetz­ung für die Zusammenar­beit der nationalen Justizbehö­rden verankert ist, nicht mehr gegeben.

Die polnische Regierung hat Richter des Obersten Gerichtsho­fs zwangsweis­e in Ruhestand geschickt und den politische­n Einfluss auf deren Nachbesetz­ung erhöht. Sie hat die Veröffentl­ichung von Entscheidu­ngen des Obersten Gerichtsho­fs verweigert und in einer weiteren Reform die Absetzung und Neubestell­ung von Richtern an ordentlich­en Gerichten so geregelt, dass diese künftig im Ermessen des Justizmini­sters liegen.

Obwexer rechnet nun damit, dass auch andere Gerichte in der EU den Vollzug von Entscheidu­ngen polnischer Gerichte verwei- gern werden. „Es könnte sein, dass ein Unternehme­n aus der EU zwar in Polen rechtskräf­tig zur Bezahlung einer gewissen Summe verurteilt wird, aber dass die Gerichte jenes Landes, in dem das Unternehme­n seinen Sitz hat, die Vollstreck­ung verweigern.“Polen droht also auch wirtschaft­licher Schaden, wenn es auf die prekäre Situation nicht angemessen reagiert.

Vorerst scheint es aber nicht so zu sein: Der polnische Vize-Justizmini­ster, Marcin Warchoł, übte heftige Kritik an Irland. „Das ist unglaublic­h, und ich hoffe, dass die Entscheidu­ng geändert wird“, sagte er in einer ersten Reaktion. Richterin Donnelly habe sich von abstrakten Erwägungen und „Spekulatio­nen“leiten lassen.

Zuletzt hatte die Regierung in Warschau gehofft, ausreichen­d Unterstütz­ung weiterer Mitgliedst­aaten zu erhalten, um das Arti- kel-7-Verfahren der EU-Kommission wegen Verstößen gegen die Grundwerte der Gemeinscha­ft abzuschmet­tern. Nach Ungarn kündigten auch die Regierungs­chefs der baltischen Staaten an, sie würden Sanktionen gegen Polen im Rat der EU nicht mittragen.

Die EU-Kommission hat Warschau bis Ende März Zeit gegeben, auf die Kritik an der Justizrefo­rm zu reagieren. Doch Ministerpr­äsident Mateusz Morawiecki betont, er sehe die Rechtsstaa­tlichkeit seines Landes ausreichen­d abgesicher­t.

hat die Auslieferu­ng eines polnischen Staatsbürg­ers verweigert. Eine Richterin des High Court setzte damit das Abkommen zum Europäisch­en Haftbefehl außer Kraft. Sie begründet die Weigerung damit, dass dem Verdächtig­en kein faires Verfahren in Polen garantiert werden könne, da die Gerichte nicht mehr unabhängig seien.

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[ AFP ] Warschau sieht sich in der EU zunehmend isoliert. Jetzt wird auch noch die justiziell­e Zusammenar­beit aufgekündi­gt.

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