Zu Besuch an der Wall Street
Reportage. Die „Presse“hat sich auf das wichtigste Börsenparkett der Welt begeben. Wie es dort zugeht, warum sich der Optimismus derzeit in Grenzen hält und wieso das Debüt von Spotify für Kleinanleger besonders riskant ist.
New York. Ganz so dramatisch, wie es in manchen Hollywoodfilmen propagiert wird, ist es nicht. Nur selten hört man an diesem frühen Donnerstagnachmittag einen Trader „Sell“oder „Buy“rufen. Trotzdem: Eine gewisse Anspannung können die 270 registrierten Händler, die sich auch im Zeitalter des computergesteuerten Marktes noch physisch am wichtigsten Börsenparkett der Welt tummeln, nicht verbergen. Willkommen an der New York Stock Exchange (NYSE), wo knapp 2500 Firmen mit einem Börsenwert von 25 Billionen Dollar gehandelt werden.
„Natürlich nutzen wir unseren Handelsraum auch als Marketinginstrument“, erklärt Alex Ibrahim, der in der mehr als 200 Jahre alten Institution für internationale Neuemissionen zuständig ist. Ein Beispiel, abseits von Hollywood: Etwas später, um 16 Uhr, wird das Läuten der Schlussglocke zelebriert. Dabei lachen zumeist Vertreter von Firmen, deren Aktien an der NYSE notieren, vom Balkon des Handelsraums in die Kameras der wichtigsten Fernsehsender. Und potenzielle Käufer der Wertpapiere schauen weltweit zu.
Flash Crash und Technologie
Das alleine garantiert noch keineswegs Kursgewinne, wie nicht zuletzt der Markteinsturz im Februar gezeigt hat. Binnen weniger Tage gaben die beiden Indizes, Dow Jones und S&P 500, um über zehn Prozent nach. Zwischenzeitlich brach am Handelsparkett Panik aus, als der Dow Jones innerhalb von Minuten mehrere Prozentpunkte einbüßte. Dass ein derartiger „Flash Crash“nicht gerade das Vertrauen in die Technologie der wichtigsten Börse stärkt, gibt auch Chris Taylor, Vizepräsident an der Wall Street und Ansprechpartner für die gelisteten Firmen, zu.
„Wir arbeiten ständig daran, besser zu werden“, sagt er und verweist auf die sogenannte PillarTechnologie, die 2016 eingeführt wurde und die Effizienz sowie die Kommunikation zwischen den Marktteilnehmern verbessern soll. „Allerdings agieren die wichtigsten Investoren und deren Handelssysteme mittlerweile so schnell und auf globaler Ebene, dass auch wir solche Episoden schwer verhindern können.“„Solche Episoden“bedeutet Talfahrten in Sekundenschnelle, die durch eine bessere Infrastruktur abgefedert und zeitnah korrigiert werden könnten.
Stolz und Nichtstolz
Kleinanleger braucht das ohnehin nicht im Detail zu interessieren. Den Fehler, von kurzfristigen Kursschwankungen profitieren zu wollen, sollten sie nicht begehen. Dazu sind professionelle Großinvestoren viel zu schnell. In der Regel kann man da als kleiner Fisch im großen Teich nur verlieren. Wofür sich aber jeder interessieren sollte, sind generelle Markttrends, und auch da bietet die wichtigste Börse interessante Einblicke.
So spiegeln Zahl und Umfang von IPOs, also Börsengängen, durchaus die Stimmung am Aktienmarkt wider. Im Jänner etwa verzeichnete die Wall Street mit 8,5 Mrd. Dollar das höchste Volumen für einen ersten Monat des Jahres. „Darauf sind wir stolz“, so Ibrahim. Mit den Kursschwankungen im Februar kam der Einbruch auf 1,4 Mrd. Dollar, und Mitte März steht man überhaupt erst bei 140 Mio. Dollar. Darauf ist Ibrahim weniger stolz. „Wir sehen einige Verschiebungen im Moment, manche Firmen wollen warten, bis die Stimmung wieder besser ist“, sagt er.
Wann die Stimmung wieder dreht oder ob vorher noch ein ordentlicher Crash kommt, ist schwer vorherzusagen. Aber dass der jahrelange Bullenmarkt vorbei sein könnte, zeigt auch eine aktuelle Studie der American Association of Individual Investors. Demnach glauben 28 Prozent der US- Anleger, dass der Markt in den kommenden sechs Monaten fällt, 26 Prozent, dass er steigt. Der Rest denkt, dass die wichtigsten Indizes so hoch wie heute notieren werden. Im langjährigen Schnitt er- warten 38 Prozent steigende Kurse.
Die gedämpfte Stimmung könnte ein Grund sein, warum sich mit Aramco der größte Börsengang aller Zeiten zumindest bis 2019 verzögern dürfte. Der saudische Ölgigant verhandelt unter anderem mit New York über einen IPO. Nun sickerte durch, dass aus dem für 2018 geplanten Börsendebüt nichts werden dürfte. Ibrahim und Taylor wollen sich nicht dazu äußern. Nur soviel: „Wir wünschen uns natürlich, dass jeder große Börsengang hier stattfindet.“In Erfüllung gehen wird das bei Spotify. Der Musikanbieter will Anfang April an der Wall Street mit einem sogenannten Direct Listing starten.
Teufel und Detail
Selbst wenn der Aktie eine erfolgreiche Zukunft blühen könnte, für Kleinanleger liegt der Teufel im Detail. Zumindest kurzfristig drohen große Verluste. Anders als bei einem herkömmlichen IPO werden keine neuen Papiere emittiert, sondern nur bestehende private in Umlauf gebracht. Entsprechend agiert keine große Investmentbank als offizieller Käufer mit einer Preisgarantie. In den ersten Handelstagen könnte die Aktie „signifikant und schnell fallen“, wie auch Spotify im Börsenprospekt betont.
Mittlerweile ist es in New York kurz vor 16 Uhr. Im Handelsraum wird es lauter, die Nervosität steigt. Die halbe Stunde vor Börsenschluss an der Wall Street ist die geschäftigste. Ein Viertel des gesamten Tagesvolumens des S&P 500 wird in diesen 30 Minuten erzielt. Nicht selten bewegen sich die wichtigsten Indizes noch deutlich.
16 Uhr, die „Closing Bell“läutet. Die Händler applaudieren. Heute ist der Dow Jones leicht gestiegen. Nimmt man die Erwartungen vieler Investoren für bare Münze, dürfte er in den nächsten Monaten öfters fallen.