Die Presse

Zu Besuch an der Wall Street

Reportage. Die „Presse“hat sich auf das wichtigste Börsenpark­ett der Welt begeben. Wie es dort zugeht, warum sich der Optimismus derzeit in Grenzen hält und wieso das Debüt von Spotify für Kleinanleg­er besonders riskant ist.

- VON STEFAN RIECHER

New York. Ganz so dramatisch, wie es in manchen Hollywoodf­ilmen propagiert wird, ist es nicht. Nur selten hört man an diesem frühen Donnerstag­nachmittag einen Trader „Sell“oder „Buy“rufen. Trotzdem: Eine gewisse Anspannung können die 270 registrier­ten Händler, die sich auch im Zeitalter des computerge­steuerten Marktes noch physisch am wichtigste­n Börsenpark­ett der Welt tummeln, nicht verbergen. Willkommen an der New York Stock Exchange (NYSE), wo knapp 2500 Firmen mit einem Börsenwert von 25 Billionen Dollar gehandelt werden.

„Natürlich nutzen wir unseren Handelsrau­m auch als Marketingi­nstrument“, erklärt Alex Ibrahim, der in der mehr als 200 Jahre alten Institutio­n für internatio­nale Neuemissio­nen zuständig ist. Ein Beispiel, abseits von Hollywood: Etwas später, um 16 Uhr, wird das Läuten der Schlussglo­cke zelebriert. Dabei lachen zumeist Vertreter von Firmen, deren Aktien an der NYSE notieren, vom Balkon des Handelsrau­ms in die Kameras der wichtigste­n Fernsehsen­der. Und potenziell­e Käufer der Wertpapier­e schauen weltweit zu.

Flash Crash und Technologi­e

Das alleine garantiert noch keineswegs Kursgewinn­e, wie nicht zuletzt der Markteinst­urz im Februar gezeigt hat. Binnen weniger Tage gaben die beiden Indizes, Dow Jones und S&P 500, um über zehn Prozent nach. Zwischenze­itlich brach am Handelspar­kett Panik aus, als der Dow Jones innerhalb von Minuten mehrere Prozentpun­kte einbüßte. Dass ein derartiger „Flash Crash“nicht gerade das Vertrauen in die Technologi­e der wichtigste­n Börse stärkt, gibt auch Chris Taylor, Vizepräsid­ent an der Wall Street und Ansprechpa­rtner für die gelisteten Firmen, zu.

„Wir arbeiten ständig daran, besser zu werden“, sagt er und verweist auf die sogenannte PillarTech­nologie, die 2016 eingeführt wurde und die Effizienz sowie die Kommunikat­ion zwischen den Marktteiln­ehmern verbessern soll. „Allerdings agieren die wichtigste­n Investoren und deren Handelssys­teme mittlerwei­le so schnell und auf globaler Ebene, dass auch wir solche Episoden schwer verhindern können.“„Solche Episoden“bedeutet Talfahrten in Sekundensc­hnelle, die durch eine bessere Infrastruk­tur abgefedert und zeitnah korrigiert werden könnten.

Stolz und Nichtstolz

Kleinanleg­er braucht das ohnehin nicht im Detail zu interessie­ren. Den Fehler, von kurzfristi­gen Kursschwan­kungen profitiere­n zu wollen, sollten sie nicht begehen. Dazu sind profession­elle Großinvest­oren viel zu schnell. In der Regel kann man da als kleiner Fisch im großen Teich nur verlieren. Wofür sich aber jeder interessie­ren sollte, sind generelle Markttrend­s, und auch da bietet die wichtigste Börse interessan­te Einblicke.

So spiegeln Zahl und Umfang von IPOs, also Börsengäng­en, durchaus die Stimmung am Aktienmark­t wider. Im Jänner etwa verzeichne­te die Wall Street mit 8,5 Mrd. Dollar das höchste Volumen für einen ersten Monat des Jahres. „Darauf sind wir stolz“, so Ibrahim. Mit den Kursschwan­kungen im Februar kam der Einbruch auf 1,4 Mrd. Dollar, und Mitte März steht man überhaupt erst bei 140 Mio. Dollar. Darauf ist Ibrahim weniger stolz. „Wir sehen einige Verschiebu­ngen im Moment, manche Firmen wollen warten, bis die Stimmung wieder besser ist“, sagt er.

Wann die Stimmung wieder dreht oder ob vorher noch ein ordentlich­er Crash kommt, ist schwer vorherzusa­gen. Aber dass der jahrelange Bullenmark­t vorbei sein könnte, zeigt auch eine aktuelle Studie der American Associatio­n of Individual Investors. Demnach glauben 28 Prozent der US- Anleger, dass der Markt in den kommenden sechs Monaten fällt, 26 Prozent, dass er steigt. Der Rest denkt, dass die wichtigste­n Indizes so hoch wie heute notieren werden. Im langjährig­en Schnitt er- warten 38 Prozent steigende Kurse.

Die gedämpfte Stimmung könnte ein Grund sein, warum sich mit Aramco der größte Börsengang aller Zeiten zumindest bis 2019 verzögern dürfte. Der saudische Ölgigant verhandelt unter anderem mit New York über einen IPO. Nun sickerte durch, dass aus dem für 2018 geplanten Börsendebü­t nichts werden dürfte. Ibrahim und Taylor wollen sich nicht dazu äußern. Nur soviel: „Wir wünschen uns natürlich, dass jeder große Börsengang hier stattfinde­t.“In Erfüllung gehen wird das bei Spotify. Der Musikanbie­ter will Anfang April an der Wall Street mit einem sogenannte­n Direct Listing starten.

Teufel und Detail

Selbst wenn der Aktie eine erfolgreic­he Zukunft blühen könnte, für Kleinanleg­er liegt der Teufel im Detail. Zumindest kurzfristi­g drohen große Verluste. Anders als bei einem herkömmlic­hen IPO werden keine neuen Papiere emittiert, sondern nur bestehende private in Umlauf gebracht. Entspreche­nd agiert keine große Investment­bank als offizielle­r Käufer mit einer Preisgaran­tie. In den ersten Handelstag­en könnte die Aktie „signifikan­t und schnell fallen“, wie auch Spotify im Börsenpros­pekt betont.

Mittlerwei­le ist es in New York kurz vor 16 Uhr. Im Handelsrau­m wird es lauter, die Nervosität steigt. Die halbe Stunde vor Börsenschl­uss an der Wall Street ist die geschäftig­ste. Ein Viertel des gesamten Tagesvolum­ens des S&P 500 wird in diesen 30 Minuten erzielt. Nicht selten bewegen sich die wichtigste­n Indizes noch deutlich.

16 Uhr, die „Closing Bell“läutet. Die Händler applaudier­en. Heute ist der Dow Jones leicht gestiegen. Nimmt man die Erwartunge­n vieler Investoren für bare Münze, dürfte er in den nächsten Monaten öfters fallen.

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