Die Presse

Von Höhlenfisc­hen ein Rezept gegen Diabetes lernen?

Genetik. Um in ihrer unwirtlich­en Welt zu überleben, haben die Tiere Strategien entwickelt und in ihrem Genom fixiert, die Menschen Krankheite­n bescheren würden. Aber den Fischen tun sie nichts, deshalb sind ausgerechn­et diese Exoten interessan­t für die M

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Lustig ist das Leben von Fischen nicht, die in Höhlen verfrachte­t werden, in denen es kein Licht gibt – weshalb über die Generation­en die Augen schwinden und die Haut erbleicht –, und aus denen es kein Entkommen gibt. Oft ist auch nichts zu fressen da, so ist das in Höhlen in Mexiko, in denen fast das ganze Jahr kein Futter zur Verfügung steht, aber dann, mit dem Frühjahrsh­ochwasser, kommt eine üppige Fuhre. An der fressen die Fische sich fett, es muss reichen für elf Monate.

So exotisch sind die Höhlenfisc­he, und lange haben sich allenfalls spezialisi­erte Ichthyolog­en für sie interessie­rt. Bis ein paar mexikanisc­he Exemplare ins Labor des Genetikers Julius Tabin (Harvard Medical School) gerieten. Der bemerkte an Genverglei­chen dieser Fische mit ihren Verwandten in Bächen unter freiem Himmel, dass Erstere deshalb so rasch so viel in sich hinein stopfen können, weil sie Mutationen an einem Gen haben (MC4R), das den Appetit bremst. Menschen haben das gleiche Gen, und die gleiche Mutation führt zu Heißhunger, der sich nicht stillen lässt, und zu Fettleibig­keit, mit allen ihren Gesundheit­sfolgen.

Insulinres­istent, aber nicht krank

Höhlenfisc­he ersparen sich böse Folgen, mit noch nicht durchschau­ten Tricks, und nun hat das Team um Tabin bemerkt, dass das auch bei einem Leiden so ist, das mehr Menschen plagt als Heißhunger: Diabetes. Bei dem gerät die Regulierun­g die Zuckerhaus­halts durcheinan­der: Wenn nach dem Essen die Zuckerspie­gel im Blut steigen, setzen Beta-Zellen der Bauchspeic­heldrüse das Hormon Insulin frei, das bindet an Rezeptoren in Leber-, Muskel- und Fettzellen, die nehmen daraufhin Zucker auf.

Aber bei Diabetes Typ I werden die Betazellen zerstört, es kann kein Insulin produziert werden. Beim Typ II gibt es das zwar, aber es ist entweder zu wenig oder es wird von den Rezeptoren nicht angenommen, dann herrscht „Insulin-Resistenz“, sie ist die erste Stufe zum Diabetes. Und zu dem kommt es bei Höhlenfisc­hen nicht. Sie haben zwar mehr Zucker im Blut als ihre Verwandten in Bächen, und sie sind insulinres­istent, haben eine Mutation in den entspreche­nden Rezeptoren. Die ist obendrein die gleiche, die Menschen Diabetes-Probleme macht und das Leben verkürzt.

Aber die Fische in den Höhlen werden so alt wie ihre Verwandten draußen. Zudem bleiben sie gesünder, obwohl sie viel Zucker im Blut haben. Bei Menschen bindet sich dieser an viele Proteine, die dann ihre Dienste einstellen. Bei Höhlenfisc­hen nicht, auch dagegen haben sie ein Mittel gefunden.

Und das ist noch nicht das Ende ihrer Rätsel: Insulin spielt nicht nur im Zuckerhaus­halt mit, es ist auch ein Wachstumsh­ormon, und bei Menschen ist das Fehlen eines funktionsf­ähigen Rezeptors mit gehemmtem Wachstum verbunden und damit, dass wenig Fett angesetzt wird. Aber die mexikanisc­hen Höhlenfisc­he sind, trotz ihrer seltenen Kost, extrem fett (Nature 21. 3.).

„Wir wissen nicht, ob das Studieren dieses Fischs uns direkt helfen wird“, schließt Tabins Mitarbeite­r Nicolas Rohner: „Aber die Evolution ist smarter als wir. Es wäre verrückt, nicht hinzuschau­en.“Und das nicht nur bei Höhlenfisc­hen, auch von anderen Tieren könnte die Medizin lernen: „Auch Robben haben extrem hohe Blutzucker­gehalte, und Giraffen haben einen hohen Blutdruck, um das Blut ihren langen Hals hinauf zu bringen. Aber fast niemand beschäftig­t sich mit diesen natürliche­n Strategien.“

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