Von Höhlenfischen ein Rezept gegen Diabetes lernen?
Genetik. Um in ihrer unwirtlichen Welt zu überleben, haben die Tiere Strategien entwickelt und in ihrem Genom fixiert, die Menschen Krankheiten bescheren würden. Aber den Fischen tun sie nichts, deshalb sind ausgerechnet diese Exoten interessant für die M
Lustig ist das Leben von Fischen nicht, die in Höhlen verfrachtet werden, in denen es kein Licht gibt – weshalb über die Generationen die Augen schwinden und die Haut erbleicht –, und aus denen es kein Entkommen gibt. Oft ist auch nichts zu fressen da, so ist das in Höhlen in Mexiko, in denen fast das ganze Jahr kein Futter zur Verfügung steht, aber dann, mit dem Frühjahrshochwasser, kommt eine üppige Fuhre. An der fressen die Fische sich fett, es muss reichen für elf Monate.
So exotisch sind die Höhlenfische, und lange haben sich allenfalls spezialisierte Ichthyologen für sie interessiert. Bis ein paar mexikanische Exemplare ins Labor des Genetikers Julius Tabin (Harvard Medical School) gerieten. Der bemerkte an Genvergleichen dieser Fische mit ihren Verwandten in Bächen unter freiem Himmel, dass Erstere deshalb so rasch so viel in sich hinein stopfen können, weil sie Mutationen an einem Gen haben (MC4R), das den Appetit bremst. Menschen haben das gleiche Gen, und die gleiche Mutation führt zu Heißhunger, der sich nicht stillen lässt, und zu Fettleibigkeit, mit allen ihren Gesundheitsfolgen.
Insulinresistent, aber nicht krank
Höhlenfische ersparen sich böse Folgen, mit noch nicht durchschauten Tricks, und nun hat das Team um Tabin bemerkt, dass das auch bei einem Leiden so ist, das mehr Menschen plagt als Heißhunger: Diabetes. Bei dem gerät die Regulierung die Zuckerhaushalts durcheinander: Wenn nach dem Essen die Zuckerspiegel im Blut steigen, setzen Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse das Hormon Insulin frei, das bindet an Rezeptoren in Leber-, Muskel- und Fettzellen, die nehmen daraufhin Zucker auf.
Aber bei Diabetes Typ I werden die Betazellen zerstört, es kann kein Insulin produziert werden. Beim Typ II gibt es das zwar, aber es ist entweder zu wenig oder es wird von den Rezeptoren nicht angenommen, dann herrscht „Insulin-Resistenz“, sie ist die erste Stufe zum Diabetes. Und zu dem kommt es bei Höhlenfischen nicht. Sie haben zwar mehr Zucker im Blut als ihre Verwandten in Bächen, und sie sind insulinresistent, haben eine Mutation in den entsprechenden Rezeptoren. Die ist obendrein die gleiche, die Menschen Diabetes-Probleme macht und das Leben verkürzt.
Aber die Fische in den Höhlen werden so alt wie ihre Verwandten draußen. Zudem bleiben sie gesünder, obwohl sie viel Zucker im Blut haben. Bei Menschen bindet sich dieser an viele Proteine, die dann ihre Dienste einstellen. Bei Höhlenfischen nicht, auch dagegen haben sie ein Mittel gefunden.
Und das ist noch nicht das Ende ihrer Rätsel: Insulin spielt nicht nur im Zuckerhaushalt mit, es ist auch ein Wachstumshormon, und bei Menschen ist das Fehlen eines funktionsfähigen Rezeptors mit gehemmtem Wachstum verbunden und damit, dass wenig Fett angesetzt wird. Aber die mexikanischen Höhlenfische sind, trotz ihrer seltenen Kost, extrem fett (Nature 21. 3.).
„Wir wissen nicht, ob das Studieren dieses Fischs uns direkt helfen wird“, schließt Tabins Mitarbeiter Nicolas Rohner: „Aber die Evolution ist smarter als wir. Es wäre verrückt, nicht hinzuschauen.“Und das nicht nur bei Höhlenfischen, auch von anderen Tieren könnte die Medizin lernen: „Auch Robben haben extrem hohe Blutzuckergehalte, und Giraffen haben einen hohen Blutdruck, um das Blut ihren langen Hals hinauf zu bringen. Aber fast niemand beschäftigt sich mit diesen natürlichen Strategien.“