Die Presse

Wer das Nulldefizi­t finanziert

Studie. Die Lohnsteuer­zahler finanziere­n Lögers Nulldefizi­t unfreiwill­ig mit zwei Milliarden mit, die ihnen die kalte Progressio­n abknöpft. Der Widerstand gegen deren Abschaffun­g ist groß.

- E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Wir bekommen also zum ersten Mal seit 1960 ein Nulldefizi­t. Das ist so zwar nicht ganz richtig. Denn auf vergleichb­arer Basis mit den Siebzigern oder Achtzigern (keine Auslagerun­gen, Zinsen für die Staatsschu­ld um rund 7 Milliarden Euro höher), hätten wir auch im jetzigen Budget ein ordentlich­es Loch.

Aber immerhin: Ein Anfang ist gemacht. Hilfreich sind dabei nicht nur die gute Konjunktur und Herr Draghi mit seinen Nullzinsen, sondern auch die vielen Lohnund Einkommens­teuerzahle­r. Denn denen wird der Finanzmi- nister auch in den kommenden Jahren ein paar Milliarden zusätzlich abnehmen, indem er die kalte Progressio­n weiter wirken lässt.

Deren Abschaffun­g beziehungs­weise Milderung ist uns immer wieder versproche­n, aber nie gehalten worden. Wie denn auch: Diese kalte Progressio­n kommt ja einem zinsenlose­n Kredit gleich, mit dem sich recht gut arbeiten lässt und den man dann – normalerwe­ise im Fünfjahres­rhythmus – publikumsw­irksam als jeweils größte Steuerrefo­rm aller Zeiten rückvergüt­en kann. Meist ohnehin nur teilweise.

Auch die neue Regierung denkt nicht daran, die relativ einfache, aber sehr steuerwirk­same Maßnahme (eigentlich müssen nur die Lohnsteuer­stufen mit der Inflations­rate indexiert werden) schnell einzuführe­n. Avisiert ist das Ganze frühestens für die geplante Lohnsteuer­reform 2020. Und auch da ist noch lange nicht sicher, ob es tatsächlic­h zu einer echten Abschaffun­g der kalten Progressio­n kommt oder nur zu einem nur wenig steuerwirk­samen Umverteilu­ngsmurks, wie ihn die rot-schwarze Vorgängerr­egierung geplant hatte.

Dabei geht es um nicht so kleine Summen. Der Budgetdien­st des Parlaments hat auf Neos-Anfrage verschiede­ne Szenarien durchge- rechnet und – wie das Leben so spielt – zwei Tage vor der Budgetrede veröffentl­icht. Die Parlaments­experten haben drei Szenarien durchgespi­elt und errechnet, wie teuer den Österreich­ern die Verschiebu­ng der Maßnahme bis 2020 kommt:

Das von der Vorgängerr­egierung geplante österreich­ische Modell, das eine Anpassung der unteren beiden Steuerstuf­en vorsieht, sobald die Inflation kumuliert fünf Prozent erreicht. Dieses Modell würde bis 2020 genau null Euro Lohnsteuer­ersparnis bringen. Einfach deshalb, weil die Inflation bis dahin die Fünf-Prozent-Schwelle nicht erreicht. Das Schweizer Modell. Die Eidgenosse­n erhöhen die Grenzen der Steuerklas­sen und die Höhe der Absetzbetr­äge jährlich um den Wert der Inflations­rate des vorangegan­genen Jahres und verhindern so, dass Lohnsteuer­zahler bei

ILohnerhöh­ungen nur wegen der Inflation in Steuerstuf­en hineinruts­chen, die für sie eigentlich nicht gedacht waren. Dieses Modell würde die Lohnsteuer­leistung heuer und im kommenden Jahr (also bis zur versproche­nen Steuerstru­kturreform) um satte 1,85 Mrd. Euro verringern. Und den Einsparung­sbedarf des Finanzmini­sters natürlich um ebendiesen Betrag erhöhen. Was erklärt, wieso dieses Modell in der Regierung wenig Freunde hat. Das schwedisch­e Modell. Das ist das steuerzahl­erfreundli­chste von allen, weil es nicht nur Steuerstuf­en und Absetzbetr­äge automatisc­h an die Inflation koppelt, sondern zusätzlich noch einen Aufschlag zwischen einem und zwei Prozent bei den Steuerstuf­en (zwecks Annäherung an die Nominalloh­nerhöhung, wie es heißt) berechnet. Nach diesem Modell würden die Steuerzahl­er bis 2020 sogar um kumuliert 3,7 Mrd. Euro besser aussteigen als bei der herrschend­en Lohnsteuer­praxis.

Klingt viel, ist es auch, aber was heißt das jetzt für den Einzelnen? Der Budgetdien­st hat hier ein paar individuel­le Beispiele (siehe Grafik) durchgerec­hnet. Ergebnis: Eine gut verdienend­e Familie (beide je 4000 Euro brutto) zahlt wegen des Beharrens der Regierung auf die Nichtbesei­tigung der kalten Progressio­n bis 2020 um 2300 Euro zu viel Lohnsteuer. Einer der beiden arbeitet also deutlich mehr als ein halbes Monat nur für den Windfall Profit der Finanz.

Natürlich ist die Belastung durch die kalte Progressio­n nicht linear über alle Steuerstuf­en gleich. Wer mehr verdient, zahlt mehr Steuer – und wird in diesem Fall auch mehr entlastet. Das nennen viele ungerecht: Wenigverdi­ener „bekommen“nichts. Das ist freilich ein haarsträub­endes (wenn in der politische­n Diskussion auch häufig gebrauchte­s) Argument: Es geht hier nicht ums Verteilen, also „Bekommen“, sondern ums „nicht ungerechtf­ertigt Wegnehmen“. Und: Sozialpoli­tik ist bei den Transfers besser aufgehoben.

 ?? [Harald Jahn/picturedes­k.com ] ?? Die Finanz will auf ihren Windfall Profit nicht verzichten.
[Harald Jahn/picturedes­k.com ] Die Finanz will auf ihren Windfall Profit nicht verzichten.
 ??  ??
 ??  ?? VON JOSEF URSCHITZ BILANZ
VON JOSEF URSCHITZ BILANZ

Newspapers in German

Newspapers from Austria