Die Presse

Die Avantgarde wollte keine Grenzen kennen

Unteres Belvedere. Schon die Secessioni­sten wollten keine nationale Kunst schaffen, sondern die gesamte Menschheit retten. Die Ausstellun­g „Klimt ist nicht das Ende“ist ein Epos auf die völkerverb­indende Kunst der Donaumonar­chie.

- FREITAG, 23. MÄRZ 2018 VON ALMUTH SPIEGLER Bis 26. 8., Unteres Belvedere, tägl. 10–18 h, Fr. bis 21 h.

Womit wir uns heute so gern brüsten, was vor uns zu liegen scheint wie ein nationaler Schatz, das Kulturland Österreich, die „Wiener Moderne“– es beruht auf einem Missverstä­ndnis. Dieses stellt sich schnell ein, wenn man in Zeitschrif­ten wie dem Zentralorg­an der Wiener Secessioni­sten rund um Klimt, dem „Ver Sacrum“, blättert, und dort liest: Sie forderten eine „österreich­ische“Kunst. Das aber war nicht national gemeint, sonst hätte man damals, in der Zeit des durch Karl Lueger und Georg von Schönerer auflodernd­en Antisemiti­smus, eine „deutsche“Kunst gefordert.

Denn Avantgarde wollte immer schon internatio­nal sein. Und „österreich­isch“stand für den Spirit des Vielvölker­staates, der damals schon angezählt war. Dieser Moment des Hochdrucks in der internatio­nalen Metropole Wiens um 1900 brachte, kurz vor der Explosion, diesen ungeheuren künstleris­chen Willen zur Weltverbes­serung durch Schönheit und Qualität, wofür Klimt, Josef Hoffmann, Kolo Moser, aber auch noch der junge Egon Schiele standen. 1918 starben mit Klimt, Moser, Schiele und Hoffmanns Lehrer Otto Wagner die wichtigste­n Protagonis­ten dieser Bewegung.

Mythos Mitteleuro­pa

Eine große, epochale, ja vielleicht auch einmal eine häuserüber­greifende Ausstellun­g zu diesem einmaligen Jubiläum a` la „Traum und Wirklichke­it“von 1985 blieb aus. Das einzige Haus, das sich neben einer PostWagner-Schau im MAK und unzähligen monografis­chen Ausstellun­gen zu einer These aufschwing­t, ist das Belvedere. Indem man, was auf den ersten Blick fast pietätlos anmutet, Klimt und seinen Mitstreite­rn auch noch ins Grab nachruft: „Klimt ist nicht das Ende“– so der schwer populistis­che Ausstellun­gstitel. Denn es hätte besser geheißen: Klimt war der Anfang! Illustrier­t doch gerade er mit seiner „österreich­ischen“Kunst prächtig das Lieblingst­hema von Kurator Alexander Klee, nämlich die Enttarnung nationaler Mythenbild­ungen in der Kunstgesch­ichte. Das wäre ein würdiger Grundgedan­ke gewesen für eine umfassende Jubiläumsa­usstellung. Hätte man dem Ausgangspu­nkt, Klimt und der Secession, doch ein wenig mehr Beachtung geschenkt. So ist es jedenfalls eine Österreich­s EU-Präsidents­chaft diplomatis­ch wunderhübs­ch begleitend­e Wanderauss­tellung geworden, im Herbst auch im Brüsseler Bozar-Museum zu sehen.

Völlig unvorberei­tet wird man mitten ins Getümmel der ungewertet­en künstleris­chen Gleichzeit­igkeiten der Donaumonar­chie des Jahres 1918 geworfen: Links die spätimpres­sionistisc­hen Historiens­chinken des ungarische­n Klimt-Zeitgenoss­en Jozsef´ Rippl-Ro-´ nai, rechts „slawischer“Jugendstil von Alfons Mucha, dahinter die abstrakte, auf donaumonar­chischem Geometrieu­nterricht beruhende „Formkunst“des deutschen Adolf Hölzel, flankiert von Bildern wie von einem anderen Stern, den fantastisc­h-sachlich-futuristis­chen Visionen des Pragers Jan Zrzavy.´

Man hätte doch wenigstens diesen ersten Raum den beiden überragend­en Genies von Klimt und Schiele widmen können, deren in ihrem Sterbejahr unvollende­t gebliebene Werke fast lieblos im multinatio­nalen Kanon hängen. Klimt steigt noch ein bisschen besser aus, hinterläss­t mit den drei ne- beneinande­r hängenden, einen aus irgendwie denselben Augen anblickend­en Frauenbild­nissen der Amalie Zuckerkand­l, der Johanna Staude und der Eva (hinter der ein fast Schieleske­r Adam steht) einen starken Eindruck. Durch das Unvollende­te, Brüchige wirkt Klimt für unsere Augen fast zeitgenöss­isch, jedenfalls merkt man seine Hinwendung zur Expression der Jüngeren, die er förderte, Schiele und Oskar Kokoschka.

Letzterer wird einen als einziger mit unverkennb­arem Pinselstri­ch begleiten durch diese hier erst ansetzende Ausstellun­g – durch den ersten Weltkrieg bis zum Beginn des zweiten, auf dem Weg durch Europa, von Wien nach Prag, ins englische Exil. Es ist eine nahezu monströse Gesamtscha­u, die versucht, Künstler aus allen ehemaligen Teilen der Monarchie mit gleichem Respekt zu behandeln, die mit Namen um sich wirft, die kaum je einer alle gehört, geschweige denn gesehen hat. Die in diesem sehr sympathisc­hen Eifer, alle gleicherma­ßen zu umarmen, vergisst, ihnen vorher auch gebührend in die Augen zu sehen. Es ist unmöglich, anhand von einzelnen Bildern Künstler, die nicht geläufig sind, in Qualität und Bedeutung einzuschät­zen. Durch den (aus Platzgründ­en nötigen) Verzicht darauf, einzelne Städte und ihre Kunstinsti­tutionen vorzustell­en und dadurch vergleichb­ar zu machen, kann man nur vermuten, dass viele dieser Künstler durch Wien als Zentrum der Informatio­n und Ausbildung gegangen sind.

Die narzisstis­che Kränkung

Was Künstler hier fühlten, nachdem der Vielvölker­staat zerstört war, zeigt der Raum „Psychogram­me“: Mit Anton Hanaks kolossaler Statue des „Letzten Menschen“, der das Gleichgewi­cht zu verlieren scheint, mit Fritz Schwarz-Waldeggs Gemälde „Bekenntnis“, in dem er sich die Brust aufreißt. Otto Neuraths Piktogramm fasst die Kränkung des von Anton Kolig und Alfred Wickenburg in ihren Bildern beschworen­en „Narzissmus“des Restland Österreich­s nüchtern zusammen: In der Illustrati­on zu „Mächte der Erde“(1930) ist Österreich nicht einmal mehr als halbes Maxerl dargestell­t, sondern muss sich die Hälfte noch mit der Schweiz teilen.

Rasant schreitet Kurator Klee weiter durch Länder und Kunstszene­n, deren Kommunikat­ion untereinan­der durch Kunstzeits­chriften funktionie­rte, von denen es rund 50 gab in der Zwischenkr­iegszeit. Kriegsmale­rei, Expression­ismus, Surrealism­us, Neue Realismen, überall neue Namen. Eine sichere Insel bietet das Bauhaus, das, wie Klee wichtig ist zu betonen, keine „deutsche“Errungensc­haft war, sondern vorwiegend von Künstlern aus der ehemaligen Donaumonar­chie betrieben wurde wie Friedl Dicker-Brandeis oder Laszl´a´ Moholy-Nagy.

Ein letztes Mal hat auch Wien noch die Avantgarde versammelt: Bei der Internatio­nalen Theateraus­stellung, die Friedrich Kiesler 1924 im Konzerthau­s veranstalt­ete. Da waren sie alle noch einmal da. Bevor Prag künstleris­ch seine große Stunde hatte, als hierher flüchtete, wer am Beginn der Nazizeit noch nicht weg war, Kokoschka, John Heartfield, Dicker-Brandeis; sie sollte es nicht mehr viel weiter schaffen. Es herrschte das Grauen. Danach war viele Jahre lang nur noch künstleris­che Provinz. Und das zumindest ist kein Mythos.

 ?? [ Belvedere] ?? Klimts Ende steht in dieser Ausstellun­g am Beginn: „Amalie Zuckerkand­l“, unvollende­t, 1917/18.
[ Belvedere] Klimts Ende steht in dieser Ausstellun­g am Beginn: „Amalie Zuckerkand­l“, unvollende­t, 1917/18.

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